Beim ausgedehnten Winterspaziergang durch den Wald hat jüngst ein Haufen von in Plastiknetzen gewickelten Bäumen Aufmerksamkeit bei uns erregt. Nach dem 24. Dezember will die offenbar keiner mehr, obwohl sich doch an der Qualität nichts geändert hat. Das wirft freilich die Frage auf, ob es sich nicht sogar lohnt, entgegen etablierter Zyklen zu leben.

Was heißt das überhaupt?

Antizyklisch kombiniert zwei Fremdworte aus dem Lateinischen; anti (lat. gegen) und cyclus (lat. Kreislauf). Es geht also darum, gegen den Kreislauf zu leben.

Die Natur ist voll von Kreisläufen: Tag und Nacht. Die Jahreszeiten. Makroskopisch betrachtet auch Geburt, Fortpflanzung und Tod. Als Wesen, die der Natur entstammen, sind wir all diesen Zyklen gleichermaßen unterlegen. Darüber hinaus erlegen wir uns selbst jedoch noch andere Zyklen auf, namentlich Wochen, Monate und damit verbunden Jahreszyklen entsprechend der Kalender, die wir gerade als richtig und gültig bestimmen.

Von wirtschaftlicher Seite wird sich sowohl der natürlichen als auch der anthropologischen Zyklen bedient. Der Tannenbaum ist natürlich nur ein repräsentatives Beispiel für all die artifiziell-saisonalen Produkte, die die freie Wirtschaft uns zu bieten hat: weihnacht- oder österlich verpackte Schokolade, Feiertagsdekoration, Kleidungskollektionen und Neuauflagen von technischen Geräten gehören ebenso dazu. Kaum ist die dafür allgemeinhin anerkannte und vorgesehene Jahreszeit vorüber, purzeln die Preise der entsprechenden Waren. Da drängt sich der Gedanke, warum man eigentlich mehr Geld ausgeben soll, nur um mit dem Strom zu schwimmen doch zwangsläufig auf.

Vorteile über Vorteile

Dank antizyklischem Verhalten kann man geringeren Preisen für ein und dieselben Produkte zahlen. Das gilt für Saisonschokolade ebenso wie für Technik: Wartet man den Hype ab, kann man beobachten wie bei Schlussverkäufen die Preise purzeln – bis die Ware in manchen Fällen sogar kostenfrei angeboten wird, wie man bei den verstoßenen, achtlos im Wald “entsorgten” Tannenbäumen sieht. Während meiner Auslandssemester in Israel habe ich regelmäßig kurz vor Schabbat auf dem Shuk darauf gewartet, dass die Unmengen Nahrung aufgrund des religiösenArbeitsverbots zurückgelassen werden, und so jede Menge frische Nahrung für lau bekommen. Geduld zahlt sich hier also wortwörtlich aus.

Ähnlich verhält es sich mit Reisen: Natürlich kann man zur Hauptsaison in den Urlaub und zu Stoßzeiten mit der Bahn fahren. Dann wird man eben wesentlich weniger Platz haben und dafür mehr bezahlen. Bisher habe ich durchweg positive Erfahrungen damit gemacht, bewusst nicht zu den Hauptreisezeiten unterwegs zu sein. Ehrlicher Weise hält man es während des Sommers in Deutschland ja auch ganz gut aus, oder?

Allgemeinhin empfinde ich Orte als schöner, wenn ich sie für mich allein oder gemeinsam mit den Liebsten genießen kann. Konkret bedeutet das: Lieber an Dienstagen, Mittwochen und Donnerstagen (in Israel äquivalent an Monaten, Dienstagen und Mittwochen) statt wochenendnah vereisen. Von Feiertagen lasse ich prinzipiell lieber die Finger. Eine Ausnahme mag hier Weihnachten bilden, weil Familien währenddessen gewöhnlich Zeit miteinander verbringen. Entsprechend sind am Tag davor und danach öffentliche Verkehrsmittel stark überfüllt, während der Feiertage selbst jedoch überraschend leer.

Apropos Feiertage: In unserer derzeitigen Fremdversorgungsgesellschaft ereignen sich vor Feiertagen ja doch des Öfteren Situationen in Supermärkten, die sich eigentlich nur mit Katastrophenwarnungen erklären lassen. Dem kann man mit antizyklischem Verhalten natürlich auch gegensteuern.

Und im Tagesgeschehen? Offensichtlich gibt es hier ebenfalls gesellschaftlich anerkannte und etablierte Verhaltensmuster, deren Ablehnung oft mit Vorzügen belohnt werden. Nicht ohne Grund heißt es, der frühe Vogel finge den Wurm. Denn wer schon mal so früh am Morgen das Haus verlassen hat, dass es weh tut, oder des nachts durch eine Stadt gewandert ist, wird höchstwahrscheinlich mit ungewohnten Aussichten, frischer Luft und der Erfahrung, dass auch die Stadtzentren belebter Städte zu bestimmten Zeiten komplett menschenleer sind, belohnt worden sein. Außerdem wissen die nächtlichen Stunden mit einer schaurig-beruhigenden Stille aufzuwarten, die nicht nur saubere Tonaufnahmen ermöglicht, sondern vor allem erdet.

Es ist nicht alles rosig

Doch auch das antizyklische Leben ist kein eindimensionales Gebilde: Natürlich gibt es nicht nur Vorteile. Leider ist das größtenteils gesellschaftlich bedingt.

Auch wenn ich versuche, öffentlichen Feiertagen keinen zu großen Einfluss auf meinen Alltag zu gewähren, richten sich Geschäfte natürlich dennoch daran aus. Das gibt in gewissem Ausmaß also sowohl meine Arbeits- als auch Einkaufszeiten vor. Während ich als Freiberufler entspannt selbst bestimmen kann, wann ich arbeite, gestaltet sich das in einer Festanstellung schon wesentlich schwieriger. Das Gleiche gilt für Familienplanung, denn allein kann ich natürlich das Meiste im Alleingang planen. Doch kommen Partner oder Familie hinzu, ist deutlich mehr gegenseitige Rücksichtnahme gefragt. (Stichworte: Urlaubsplanung, geliebtes Kollegium, Schulferien)

Familie und Freunde spielen meiner Erfahrung nach auch bei öffentlichen Feiertagen eine tragende Rolle. Während man sich selbst zum konsequenten Anti erklären kann, überzeugt man damit nur bedingt seine Liebsten. Dann jedoch zeigt sich, wie konsequent man wirklich ist: Will man denn nur um der eigenen Überzeugung Willen Oma oder den besten Freund wieder und wieder vor den Kopf stoßen?

Klar kann man das machen. Dann wird man halt schrittweise sozial geächtet.

Bei genauerem Hinsehen offenbart sich dann auch, warum eigentlich unbedingt alle so gern im Sommer verreisen: Wann sonst gibt es so viel sonniges Wetter und derart lange Tage? Und wo wir schon von Sonne reden: Auch wenn ich selbst lange Zeit vorgegeben habe, nachts am besten arbeiten zu können, kann auch ich nicht ignorieren, dass ich nachts immer noch am besten schlafe.

Wie hältst du es mit gesellschaftlich auferlegten Zyklen? Widerstrebst du dich ihrer oder gehst du mit dem Fluss? Und welche Erfahrungen hast du bisher damit gemacht? Schreib es gern in die Kommentare!

Alles Liebe
Philipp