Aus einer anderen Zeit

“Wir stehen auf den Schultern von Riesen.”

Ich mag diesen Spruch, denn er flößt nicht nur Ehrfurcht ein und lehrt Dankbarkeit. Denkt man ihn ein Stückchen weiter, verleiht er sogar Macht.

Hältst du dich auch so gern wie ich in alten Stätten auf? Für mich schwingt da weit mehr mit als reine Nostalgie. Ich komme aus dem Staunen nicht raus, wenn ich vor solch kolossalen Bauwerken wie der antiken Stadt Petra in Jordanien stehe und mir vorstelle, wie viele Menschen und Zeit es damals gebraucht haben muss, um eine solche Perle in massiven Fels zu hauen. Offensichtlich gab es damals all diesen technischen Hilfsgeräte, die uns heute zur Verfügung stehen, noch nicht. Trotzdem haben sie es geschafft.

Jetzt mag man vielleicht denken, dass wir uns darüber ja heutzutage keine Gedanken mehr machen brauchten. Schließlich haben wir quasi jederzeit Zugang zu besagten technischen Errungenschaften, sodass wir uns nicht mehr placken müssen. Doch ist es damit getan? Ich denke nicht.

Generationenkonflikte

Wiederkehrend werde ich überrascht, wie stark sich meine Cousins und Cousinen teilweise von mir unterscheiden, obwohl zwischen uns nicht mal 15 Jahre liegen. Dass es folglich hitzige Diskussionen gibt, ist vorprogrammiert. Selbiges spielt sich zwischen mir und meinen Eltern, Großeltern, Tanten, Onkels etc. ab.

Es ist doch schon bei den Menschen unserer eigenen Generation so schwer! Wie sollen wir da mit denen aus anderen Generationen auf einen Zweig kommen? Vielleicht ja zunächst mit etwas mehr Verständnis.

Freilich fällt es oft schwer, im Detail nachzuvollziehen, warum Menschen anderer Generationen so anders ticken und mich nicht verstehen wollen – oder können. Aber geht es mir selbst denn anders damit? Wir alle sind nicht nur maßgeblich von dem Ort, an dem wir aufwachsen, geprägt, sondern natürlich erst recht von der Zeit.

Prägendster Unterschied zwischen mir und meinen Cousinen: Sie kennen gar keine Welt ohne Internet und Mobiltelefone. Ebensowenig kenne ich ein geteiltes Deutschland oder Krieg. Jede Generation hat ihre eigenen Hürden, aber auch Errungenschaften.

Dankbarkeit und Respekt

Alles, was wir heute so alltäglich und selbstverständlich nutzen, fußt auf eben diesen Errungenschaften von zig Generationen vor uns. Wenn wir durch eine Stadt spazieren, haben Menschen vor unserer Geburt die Steine dafür gelegt.

Selbst etwas derart Simples wie ein Zettel war einst eine Sensation. Auf die Idee, Pflanzenfasern aufs Feinste zu zermantschen und einzuwässern, die Masse anschließend abzusieben und trocken zu lassen, um daraus einen flexiblen, leichten  Beschreibstoff herzustellen, will man erstmal kommen! Während ich mir also auf der Zunge zergehen lasse, wie viel Aufwand wir eigentlich betreiben, um dieses wundervolle Material herzustellen, empfinde ich plötzlich sogar für die kleine Papiertüte, die ich gestern entsorgt habe, Mitleid.

Papier hat es weit gebracht! Auch wenn Bildschirme ihm scheinbar zunehmend den Rang ablaufen, basieren ebendiese doch im Prinzip ebenfalls auf Papier: Menschen waren es Leid, bei jedem Tippfehler mit der Schreibmaschine Tipp-Ex aufzubringen und zu warten, bis es trocknet, oder gar ganz von vorn zu beginnen. Welch Segen war da plötzlich “digitales Papier”. Tippfehler? Kein Problem! Ändere es einfach und direkt.

Schon toll, dass wir auf all die Erfindungen und Leistungen vorangegangener Generationen zurückgreifen können. Dafür könnten wir doch eigentlich dankbar sein, oder? Viel mehr noch, finde ich, sollte es uns lehren, den Menschen vor und um uns mit Respekt statt Spott zu begegnen.

Selbst wenn wir denken, wir hätten unser Leben selbst aufgebaut und hart dafür gearbeitet, verdanken wir das Meiste immer noch unseren Vorfahren. Um das zu erkennen, bedarf es allerdings keiner Reise nach Petra, auch wenn ich sie grundsätzlich empfehlen kann. Dafür genügt bereits ein Blick um uns.

Zukunftsmusik

Denken wir noch einen Schritt weiter, dürfte ziemlich schnell klar sein, dass eines Tages auch Menschen auf unseren Schultern stehen werden. Je nachdem, wie ich diese Einsicht anwende, kann sie mir auch Macht verleihen.

Ich kann natürlich sagen, dass mir das egal sei, weil ich dann ja ohnehin nicht mehr auf diesem Planeten verweile und nach mir die Sintflut kommt. Der Ansatz verfehlt aber die Realität. Denn während ich durchaus die Ansicht vertrete, dass man sich in persönlichen Fragen nicht so stark von den Meinungen anderer beirren lassen sollte, halte ich es bei gesellschaftlichen Belangen komplett anders.

Wir legen die Grundsteine für morgen und formen die Zukunft mit ihnen. Damit können wir heute bereits beginnen, nicht etwa, indem wir Prunkbauten errichten, sondern bereits im Alltag – durch unser Handeln, kleine Gesten und Worte.

 

Alles Liebe,

Philipp

2 Kommentare

Antworten

  1. Ein sehr schöner Text. Wobei ich es oft erstaunlich finde, dass ich den Unterschied zwischen den Generationen längst nicht mehr so stark finde, wie ich dies zu meinen eigenen Teeniezeiten erlebt habe. Sofern ähnliche Interessen wie z.B. Minimalismus kann ich mich mit 57 Jahren locker mit Menschen austauschen, die 17, 27 oder 37 Jahre sind, auch wenn wir sonst durchaus sehr unterschiedlich sind. Aber das macht es doch auch irgendwie interessant.

    • Hallo Gabi,

      vielen Dank!

      An Minimalismus als Gegenbeispiel habe ich tatsächlich beim Schreiben auch kurz gedacht! Und bei anderen Themen, die Menschen zusammenbringen, ist das wahrscheinlich ähnlich.

      Lieber Gruß
      Philipp

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