Während ich am Abend des 24. Dezember im nahezu leeren Zug nach Berlin sitze, um meinen Freund vom Flughafen abzuholen, kuschle ich mich mit einem Buch aus meiner Kindheit in meinen Wollpulli, und gedenke der Feiertagsmagie, obwohl sie unlängst nicht mehr das ist, was sie mal war. Denn ich bin kein Kind mehr und freue mich so nicht mehr auf die Bescherung, sondern vor allem über etwas Ruhe. Spüren mag ich sie trotzdem noch mal, diese zauberhafte Stimmung aus meiner Kindheit. Doch wie soll das gehen, wo sich doch die Zeit nicht zurückdrehen lässt?

Im Volksmund ist sie die schönste Zeit des Lebens: Die Kindheit. Und nicht wenige Menschen sehnen sich nach der Unbeschwertheit von damals zurück – zumindest wurde mir das schon von einigen Erwachsenen mitgeteilt. Obgleich das offensichtlich nicht möglich ist, kann ich dieses Begehren nachvollziehen. Denn auch ich hatte schon des Öfteren den Drang, die Zeit einfach noch mal zurückzuspulen, einen kleinen Ausschnitt aus meinem Leben noch einmal erfahren zu können.

Noch einmal so unbesorgt Süßkram in sich reinstopfen, ohne über die gesundheitlichen Folgen nachzudenken. Noch einmal beherzt alles Essen genießen, ohne einen Gedanken daran zu verlieren, ob es nun aus artgerechter Tierhaltung stammt oder nicht. Noch einmal alles kaufen können, ohne sich darüber zu sorgen, wie viel Plastikmüll dabei entsteht. Noch einmal all die wundersamen Geschichten, die einem erzählt werden, einfach glauben, ohne sie zu hinterfragen. Ja, ein großer Vorzug der Kindheit ist Unwissenheit.

Nun lässt sich Wissen aber nicht umkehren. Und das ist auch gut so. Tatsächlich könnte ich mir mit meinem heutigen Horizont und Wissen nicht vorstellen, meine Kindheit noch einmal zu durchlaufen, obwohl sie doch sehr schön war. Denn bei näherem Hinsehen, gibt es doch einige Aspekte, die ich mir nicht zurückwünsche: Mangelnde Selbstbestimmung, zum Mittagsschlaf gezwungen zu werden, die jährliche Angst vor dem polternden Weihnachtsmann, der Zwiespalt zwischen Unglauben und aufrechterhaltender Fassade für den Familienfrieden und noch einmal die  Unannehmlichkeiten der Pubertät über sich ergehen lassen zu müssen sind nur einige davon. Letztlich ist es mir auch lieber zu wissen, was bestimmte Stoffe mit meinem Körper und der Natur anstellen, welchen Einfluss meine Konsumentscheidungen auf andere Lebewesen nehmen und dementsprechend fundierte Entscheidungen zu treffen.

So oder so ist meine Kindheit, auch wenn ich stets das Kind meiner Eltern bleiben werde und ihre elterlichen Gefühle für mich scheinbar unerschöpflich sind, vorüber. Ich bin kein Kind mehr, was auch in Ordnung so ist. Als Kind hatte ich noch den Wunsch gehegt, ewig Kind zu bleiben wie Peter Pan: Den ganzen Tag spielen, lernen, essen und schlafen – ein Traum! Doch was ist eine Erfahrung wert, wenn wir uns ihrer Endlichkeit nicht bewusst sind? Erst die Einsicht, dass etwas nicht ewig dauert, ermöglicht es uns, Dinge schätzen zu lernen, weil wir es verlieren können. Würden wir, wenn wir ewiges Leben und so unbegrenzt die Möglichkeit besäßen, zu tun und zu lassen, was wir wollten, überhaupt noch Ziele erreichen? Wir könnten es ja schließlich auch morgen tun oder übermorgen – Tag für Tag.

Zuletzt habe ich das selbst gemerkt, als ich zwischen Studium und Berufseinstieg ich vorübergehend wieder bei meinen Eltern wohnte. Schnell fanden wir zu unseren früheren Ritualen und Routinen zurück und ich fühlte mich ein Stück weit wieder wie der unbeschwerte Junge von früher. Ebenso wie damals, konnte ich nicht so recht einschätzen, wie lang dieser Lebensabschnitt dauern und wann ich eine Stelle antreten würde. Grob hatte ich den Jahresanfang im Sinn und viele Pläne im Kopf. Doch wie viele habe ich davon realisiert? Null. Stattdessen habe ich in den Tag hineingelebt, was sehr entspannt war. Aber vorwärts gekommen bin ich in diesem Zeitraum nicht. Und ehe ich mich versah, wurde mir plötzlich ein Job angeboten, den ich gern wahrnehmen wollte, und der unmittelbar begann. Damit wurden meine Pläne natürlich ebenso unmittelbar hinfällig.

Umso stärker schätze ich nun noch einmal die zwei Wochen Auszeit, die ganz offiziell als Feiertagssaison ausgeschrieben sind. Auch wenn wir noch die gleichen Rituale befolgen wie vor zwanzig Jahren, sind sie doch nicht mehr dasselbe. Einerseits glaube ich mittlerweile weder an den Weihnachtsmann, noch an die sagenhafte Geschichte der Geburt eines Babys, das ohne vorherigen Geschlechtsverkehr gezeugt worden sein soll. Mich verwundert doch recht stark, dass ganze Nationen dem Weihnachtsbrauchtum verfallen, obwohl sie nach eigener Aussage gar nicht an den religiösen Hintergrund glauben. Aber irgendwo ist es ja auch ganz schön, wenn man mal von all dem Stress der Vorbereitungen absieht, oder nicht?

Ein genauerer Blick offenbart, dass die meisten Weihnachtsbräuche interessanterweise ohnehin überhaupt nichts mit dem Christentum zu tun haben. Vielmehr sind sie eine kunterbunte Mischung aus fantasievollen Gute-Nacht-Geschichten, germanischem Brauchtum und bürgerlicher Winterromantik des späten 19. Jahrhunderts vermengt mit kapitalistischer Konsumkultur und vor allem jeder Menge Willkür. Betrachten wir beispielsweise das Datum von Weihnachten: Das ist nicht etwa der wirkliche Geburtstag von Jesus von Nazareth, sondern der Tag, der Jahrhunderte nach seinem Ableben – natürlich rein zufällig in unmittelbarer Nähe zum heidnischen Midwinter – von Herrschern gewählt wurde, um Heiden und Christen etwas mehr zu einen. Auch die Germanen haben bereits zum Julsfest Baumstämme in ihre Häuser getragen und angezündet, gemeinsam Lieder gesungen sowie Braten zum Fest gegessen. Trautes Beisammensein mit der Familie in der warmen Stube, wo Kinder mit Spielzeug spielen mutet zwar romantisch an, hat aber auch nichts mit der christlichen Weihnachtsgeschichte zu tun.

Genauso willkürlich, wie also mal andere Menschen entschieden haben, wann bestimmte Feste mit welchen Bräuchen gefeiert werden sollen, entscheide ich für mich selbst, was ich feiere und welche Aspekte der kindlichem Magie ich mir dabei zurückhole:

  • Familie & Freunde – Die Liebsten öfter sehen als sonst, so wie es früher der Fall war. Das beinhaltet sowohl das tägliche Kaffeetrinken mit meinen Eltern als auch Spieleabende, regelmäßige Besuche und gemeinsame Unternehmungen. Und das tut mir richtig gut!
  • Feinste Speisen – Täglich bereite ich entweder selbst leckeres Essen und köstliche Plätzchen zu oder ich komme in den Genuss der Back- und Kochkünste meiner Mutti. In jedem Fall nehme ich mir die Zeit, es langsam auszukosten.
  • Freiheit – Nicht groß im Voraus planen, sondern von Tag zu Tag leben. Fast jeden Tag verbringe ich Zeit damit, stundenlang in Büchern zu schmökern und brauche erstmals seit Langem keine täglichen Slots für Erholung.

Alle drei Punkte haben eins gemeinsam: Freizeit. Erst sie ermöglicht mir, die schönen Seiten aus meiner Kindheit zu bewahren und regelmäßig wieder aufleben zu lassen. Denn egal, was andere meinen, wie wir zu einem bestimmten Alter zu sein haben, finde ich, dass wir unser inneres Kind stets bewahren und sich austoben lassen sollten. Darin besteht die wahre Magie dieser Tage.

Frohe Feiertage

Philipp