Heute vor 80 Jahren wurde die bedingungslose Kapitulation Nazi-Deutschlands verkündet und damit eine neue Ära des Friedens in Europa eingeleitet. 80 Jahre entsprechen so ungefähr einem menschlichen Leben – im Durchschnitt und wenn es gut läuft. Da kann schon mal, insbesondere im hohen Alter oder wenn man gar noch nie Krieg erlebt hat, in Vergessenheit geraten, wie fragil solch ein Frieden ist. Deshalb eine kleine Erinnerung anbei.

In der Grundschule erinnerte uns unsere Mathematik- und Musiklehrerin regelmäßig daran, wie glücklich wir uns schätzen können, in Friedenszeiten aufzuwachsen. Gehörig nickten wir damals alle zustimmend. Doch eine wirklich Vorstellung, was das bedeutet, hatten wir nicht. Krieg und Frieden waren für uns abstrakte Konzepte. Wir kannten ja nur die Welt, oder genauer gesagt die Kleinstadt, in der wir aufwuchsen.

Obwohl wir im Geschichts- und Lateinunterricht zahlreiche Kriege behandelten, gelang es mitnichten, die damit verbunden Schrecken zu vermitteln. Womöglich auch aus Jugendschutzgründen gab es lediglich Jahreszahlen, Parteien, Ursachen, Anlass, Verlauf, Gewinner, Verlierer, manchmal eine anonyme Zahl der Toten. Aber die wirklichen Gräuel, zu derer Menschen fähig sind, verinnerlichten sich dadurch nicht.

Das änderte sich schlagartig, als es um den ersten und zweiten Weltkrieg ging. Aus historischen Gründen wurden uns diese beiden Kriege äußerst nah gebracht. Gut so! Meines Erachtens dürfen wir uns das ruhig häufiger in Erinnerung rufen – nicht nur für die beiden Weltkriege, sondern Konflikte aller Art. Denn machen wir uns nichts vor: Wir sind äußerst involviert, wenn es um unser eigenes Wohlergehen geht. Doch wie verhalten wir uns bei Konflikten, von denen wir nicht unmittelbar betroffen sind?

Beispiel 08. Mai 1945: In Europa mag Frieden geherrscht haben. Doch in Asien ging der Krieg noch bis 14. August weiter. Und auch im Anschluss gab und gibt es bis heute immer wieder Kriege und Konflikte. Je nach medialer Berichterstattung erscheinen uns manche präsenter (Naher Osten & Ukraine), andere hingegen quasi non-existent (irgendeiner der zahlreichen Konflikte in Afrika, Südostasien und Südamerika oder Indien – Pakistan bis vor wenigen Wochen?). Als Daumenregel gilt: Je weiter entfernt und länger zurück sie liegen, desto weniger interessieren sie uns.

Dennoch dürfte uns in den letzten Jahren eine Einsicht mit Gewissheit eingeholt haben: Die Wahrscheinlichkeit, dass wir ein Leben lang nur Frieden erleben, ist äußerst gering.

Naiver Weise könnte man nun in Frage stellen, warum es überhaupt Kriege gibt. Kann man sich nicht einfach immer gegen Krieg entscheiden? Leider ist es nicht so trivial. Denn während es für Krieg genügt, dass eine Partei sich dafür entscheidet, bedarf es für Frieden das Einverständnis aller. Und wie reagiert man erst, wenn man angegriffen wird? Kann man das einfach so an sich abperlen lassen oder möchte man dafür Sorge tragen, dass weitere Angriffe unterbleiben, auch wenn dies womöglich alles weiter eskalieren lässt?

Bei mehreren Milliarden Menschen treten immer wieder Querschläger hervor, die sich für Krieg statt Frieden entscheiden. Leider sitzen die oft an den Schlüsselpositionen, an denen Entscheidungen von globalem Ausmaß getroffen werden. Dabei helfen so simple Kategorisierungen wie gut und böse ebenso wenig wie vermeintlich einfache Lösungen, denn dafür leben wir in einer zu komplexen Welt.

Doch ungeachtet der augenscheinlichen Ohnmacht, der wir uns in Hinblick auf globale Friedensbemühungen ausgeliefert sehen, kann jede Person auf der Welt dennoch zu mehr Frieden beitragen: Auf persönlicher und lokaler Ebene.

Die meisten von uns werden weder im Nahost-Konflikt, noch in irgendwelchen anderen großen Auseinandersetzungen wesentlich zu deren Schlichtung beitragen können. Im Kleinen und Alltäglichen sieht das hingegen ganz anders aus. Jeden Tag können wir uns im Umgang mit unseren Mitmenschen entscheiden, wie wir agieren und reagieren.

Wenn ich anderen Menschen begegne, liegt es stets an mir, ob ich sie auf ein Merkmal wie ihre Herkunft oder ihre Meinung reduziere, oder ich den Menschen dahinter betrachte. Im Umgang mit ihnen kann ich den Weg der Menschlichkeit oder der Provokation einschlagen. Wenn mir andere Menschen blöd kommen, kann ich in meiner Antwort zwischen Eskalation und Deeskalation wählen. Und prinzipiell kann ich mich immer dafür entscheiden, meine Nase aus den Angelegenheiten anderer rauszuhalten und meinen Mund zu halten, wenn es um Themen geht, von denen ich eigentlich nichts verstehe. Das sorgt zumindest nachhaltig für Seelenfrieden.

Auch wenn es äußerst unwahrscheinlich ist, dass wir alle ein Leben lang in Frieden leben, wünsche ich es uns allen als Menschheit. Denn Krieg ist niemals gerecht und trifft immer auch Unschuldige. Die 60 Millionen Menschen, die im 2. Weltkrieg ihr Leben gelassen haben – Das entspricht knapp drei Vierteln der Bevölkerung Deutschlands! – sollen uns ebenso ein Mahnmal sein wie die, die heute in Kriegen traumatisiert werden, leiden und sterben.

Alles Liebe
Philipp