Entgegen eines gängigen Klischees über Ostdeutsche, beschwere ich mich zwar nicht gern, muss aber manchmal dennoch meiner Enttäuschung freien Raum lassen. So geschehen vor ein paar Wochen, als ich über meine Erfahrungen in einem Freizeitpark unweit von Paris berichtete. Dass es auch anders geht, durfte ich jüngst in Kopenhagen erleben.
Zugegeben: Nach meiner Freizeitparkerfahrung in Paris war ich dermaßen enttäuscht, dass ich mir für den bevorstehenden Besuch in Kopenhagen nicht sicher war, ob ich überhaupt noch einen weiteren Freizeitpark besuchen möchte. Zum Glück verleitete mich die Empfehlung eines Freundes dazu, mich von dessen Begeisterung anstecken zu lassen, und in Folge dessen meinen Partner mit meiner Vorfreude derart auf die Nerven zu gehen, dass er gar nicht anders konnte, als einem Parkbesuch zuzustimmen.
Als ich dann sah, dass unser Anreisetag der letzte geöffnete Tag der Sommersaison war, bekam ich zunächst einen Schrecken: Zu früh gefreut? Im Gegenteil: Da wir gleich den ersten Zug von Berlin nahmen, waren wir bereits am frühen Nachmittag in Kopenhagen und konnten den Rest des Tages in den Tivoli-Gärten verbringen. Was ich dabei nicht wusste: Welch große Rolle es spielen sollte, dass ausgerechnet dieser Tag der letzte Tag der Saison sein würde.
Doch was genau hat mir an den Tivoli-Gärten überhaupt so gut gefallen, dass ich immer noch ein Leuchten in den Augen bekomme?
Zentrale Lage
Tivoli ist direkt neben dem Hauptbahnhof gelegen. Das ermöglicht nicht nur eine äußerst einfache Anreise, sondern vermittelt auch eine Botschaft: Dieser Park gehört zur Stadt dazu – nicht wie in Paris, wo der Park von den Einheimschen verpöhnt wird und im Vergleich wie ein Alien wirkt.
Außerdem führt die zentrale Lage dazu, dass man sich bei der ein oder anderen Fahrt in luftiger Höhe einen guten Überblick über die Stadt verschaffen kann. Da wir bereits an unserem Anreisetag Tivoli besuchten, hatte ich noch kein richtiges georgrafisches Verständnis vom Ort. Dafür erweckten einige Bauwerke unmittelbar mein Interesse für die nächsten Tage, als ich sie von oben erblickte.
Qualität beim Essen
Eine Sache, die mir an Freizeitparks oft missfällt, ist die miserable Qualität beim Essen. Für überteuerte Preise wird in den meisten Freizeitparks ausschließlich minderwertiges Fastfood verkauft. Mangels Alternativen im Park selbst, wenn man sich nicht eine Tagesration Stullen einpackt, bleibt einem also nichts anderes Übrig, als in die fettige Fertigpizza zu beißen.
Anders in Tivoli: Sie haben nicht nur reguläre Restaurants, sondern vermieten auch Flächen an etablierte Ketten, die Essen zwar schnell herstellen, aber in höherer Qualität anbieten. Entsprechend kam ich in den Genuss eines zünftigen Currys, hätte aber ebenso eine Bowl oder Kartoffelpfanne essen können.
Kohärentes, nostalgisches Design
Der gesamte Park besticht durch eine Gestaltung, die einen in die „gute alte Zeit“ zurückversetzt – die eigene Kindheit. Selbst die Areale, die nicht im Corporate Design Tivolis gehalten sind, bestechen durch Kunst- und Lichtinstallationen, die die Besuchenden in eine traumhafte Welt eintauchen lassen.
Von anderen Parks bin ich gewohnt, dass sie nahezu wie ein Rummel zusammengewürfelt und von Baustellen übersäht sind – falls sie überhaupt gut in Schuss gehalten werden. In Tivoli gab es eine einzige Deko-Baustelle, aber da bin ich schone gespannt, was sie daraus zaubern werden.
Kurze Wartezeiten
In meinem Leben habe ich schon unzählige Stunden damit verbracht, für Fahrgeschäfte anzustehen. Das nervt und lässt mich regelmäßig die Sinnhaftigkeit von Parkbesuchen in Frage stellen. Das gilt insbesondere bei Wartezeiten von über 45 Minuten bei weniger als fünf Minuten Fahrzeit.
In Tivoli musste ich meist exakt eine Runde warten, bevor ich selbst in den Genuss kam. Ausnahme war eine einzige Achterbahn, für die sich die Wartezeit von zehn Minuten aber auch gelohnt hat. Die kurzen Wartezeiten führen auch dazu, dass man den Park ganz gemütlich in einem halben Tag besuchen kann und trotzdem nicht das Gefühl hat, etwas zu verpassen oder durchhetzen zu müssen.
Transparentes, flexibel Preismodell
Es gibt mehrere Möglichkeiten, wie man die Tivoli-Gärten besuchen kann: Man kann nur den Eintritt für die Gärten bezahlen. Wenn man darüber hinaus Fahrgeschäfte fahren möchte, kann man entweder für Einzelfahrten bezahlen oder einen Fahrpass erwerben, mit dem man alles unbegrenzt fahren kann. Die Fotos sind mittels App digital erhältlich und schon im Preis inbegriffen. Darüber hinaus gibt es auch sämtliche Optionen als Saisonpass. Der lohnt sich vor allem für Einheimische und Zugezogene in Kopenhagen, die es mehrmals im Jahr schaffen, den Park zu besuchen.
Es gibt vereinzelte Attraktionen oder Veranstaltungen, die separat bezahlt/gebucht werden müssen, beispielsweise Schießbuden oder besondere Konzerte. Das ist jedoch immer transparent ausgeschrieben.
Was es nicht gibt beziehungsweise braucht: Überteuerte Pässe, um die Schlange zu überspringen oder einen Downloadcode zu erhalten. Denn wir erinnern uns: Die Wartezeiten sind kurz und die digitalen Fotos über App kostenfrei verfügbar.
Für alle etwas dabei
Magst du aufregende Achterbahnen und turbulente Fahrgeschäfte? Tivoli hat da ein paar. Ziehst du entspanntere Themenfahrten und kindertaugliche, entspannte Fahrgeschäfte vor? Auch die gibt es in Tivoli. Stehst du auf Schießbuden wie auf dem Rummel oder gruslige Horrorkabinette, in denen dich echt(e) schaurige Menschen erschrecken statt hochklappbare Aufsteller? Ja, auch die gibt es.
Tivoli hat für jede Alters- und Zielgruppe etwas zu bieten. Persönlich bin ich gar nicht alles gefahren, weil mich die sanften Fahrten für Kinder weniger interessieren. Dennoch hatte ich einen gut gefüllten Tag in Tivoli.
Abendlicher Zauber
Wenn die Abenddämmerung einsetzt, präsentieren sich die Tivoli-Gärten noch einmal auf eine ganz andere Art und Weise: Denn zum Farbenspiel des Himmels reihen sich dann noch die illustren Illuminationen in den Bäumen, auf den Gewässern sowie an den Gebäuden ein. Wer es am Tag schon magisch fand, wird am Abend mit Sicherheit komplett in den Bann Tivolis gezogen.
Darüber hinaus gibt es saisonale Spezialdekos, die wettmachen dürften, dass nicht alle Fahrgeschäfte das ganze Jahr fahren. In meinem Fall fuhr einzig das Kettenkarussell wegen Sturmwarnung nicht. Im Herbst und Winter mag das gravierender sein, doch dafür warten die Tivoli-Gärten mit Halloween- und Winterzauber-Dekos auf, die die Gärten auch bei ungemütlichem Wetter in besonderem Glanz erstrahlen lassen.
Ein Ort mit Geschichte und Tradition
Tivoli wurde bereits 1843 eröffnet und gilt damit als zweitältester Freizeitpark der Welt. (Der älteste, Bakken, eröffnete bereits 1583 ebenfalls in Dänemark.) Vom hohen Alter zeugt unter anderem auch die (Stand 2025) 111 Jahre alte Holzachterbahn Rutschebanen, die auch heute noch verlässlich fährt. An ihrer Technologie hat sich in all den Jahrzehnten auch nichts geändert: Auch heute noch sitzt bei jeder Fahrt ein Angestellter des Parks mit in der Bahn, der unterwegs manuelle die Handbremse betätigt, damit die Bahn nicht aus den Kurven fliegt. (Traum-Job-Alarm!)
Bereits um 1844 wurde Tivolis Jugendgarde gegründet. Daraus entwickelte sich eines von Dänemarks führenden Musikausbildungsprogrammen für Jugendliche. Damit einher geht einige wichtige Tradition: Am letzten Abend der Sommersaison gibt es eine feierliche Abschiedszeremonie, die mit einem Konzert auf dem historischen Karussell beginnt. Die militärisch anmutenden Uniformen werden teils noch festlicher, indem sie mit Lichterketten staffiert sind.
Im Gespräch mit einem dänischen Paar erfahre ich, was es damit auf sich hat. Die mit den Lichterketten sind die Sechzehnjährigen, die mit dem Saisonende ausscheiden, da nur Kinder im Alter von acht bis sechzehn Jahren Teil der Jugendgarde sein dürfen. Im Anschluss an das Konzert auf dem Karrussel folgt eine Übergabezeremonie, bei der die Ausscheidenden ihre Degen an die Neuzugänge übergeben. In den Augen des Paares erkenne ich, wie sehr es Kopenhagens Eltern mit Stolz erfüllt, wenn ihre Kinder Teil der Jugendgarde sind: Ihre beiden Söhne absolvierten ihre musikalische Ausbildung im Rahmen der Jugendgarde.
Abschluss der Zeremonie ist der Tappenstreg – der Zapfenstreich. Dabei marschiert die Jugendgarde mit Fackeln durch Tivoli – gefolgt von Schaulustigen und stolzen Familienangehörigen. Hinter der Parade werden die Lichter der Gärten nach und nach abgestellt. Gespielt wird dabei der Tapto, ein Lied militärischen Ursprungs, das früher das Ende des Tages ankündigte. In Tivoli wird es auf Dänisch betextet, um den nostalgischen Abschied des Sommers und die Vorfreude auf die nächste Saison zu besingen. Dabei stimmen alle Teilnehmenden der Parade lautstark in den Gesang ein. Obwohl der Abschied eigentlich prädestiniert dafür ist, ein gewisses Gefühl von Traurigkeit zu erzeugen, beobachtete ich an mir selbst das Gegenteil: Ohne den exakten Text zu verstehen, entsteht in mir – auch jetzt beim Schreiben noch – ein Gefühl der Zugehörigkeit zu einer Gruppe, die einen tollen Sommer zusammen verlebt hat.
Und so verlies ich Tivoli mit einem hormonellen Cocktail aus Begeisterung, Nostalgie und Verzauberung. Eher zufällig bemerkte ich beim Passieren des Hauptbahnhofes, dass in Tivoli selbst noch lange nicht das Ende der Fahnenstange erreicht war. Denn was wäre ein Saisonabschluss ohne ein einfach nicht enden wollendes, feierliches Feuerwerk? Da ich selbst Feuerwerke gar nicht so gern mag, tat es mir auch nicht leid darum, schon vorab gegangen zu sein.
Kann ich davon bitte mehr im Alltag haben?
Solche Momente der Neuverzauberung sind toll! Gern hätte ich davon mehr in meinem Leben – zumal sie mit zunehmenden Alter weniger zu werden scheinen. Wie kann ich dem also entgegenwirken und sie als integralen Bestandteil meines Alltags integrieren?
Eine definitive Antwort dafür habe ich nicht parat, aber zumindest ein paar Zutaten habe ich ausmachen können:
- Rituale – Durch Regelmäßigkeit über Generationen hinweg entsteht das Gefühl, dass etwas größer ist als wir selbst, weil es so lange Zeiten überstanden hat.
- Gemeinschaft – Erst in Verbindung mit anderen Menschen bekommen Rituale eine zeremonielle Bedeutung. Andernfalls ist es schlichtweg etwas, das ich mir ausgedacht habe.
- Kindliche Freude – Oft belächelt und als naiv abgetan beinhaltet sie vor allem die Fähigkeit, sämtliche Ratio und Sorgen links liegen zu lassen und stattdessen im Moment zu leben.
- Festlichkeit – Steht sie wirklich im Widerspruch zu Alltag oder besteht der Reiz gerade darin, mehr Momente genau davon abzuheben? (Man denke nur an Schabbat oder den berühmten Sonntagsbraten.)
- Überraschung – Was haben Schatzsuchen, die weihnachtliche Magie und Zaubertricks gemeinsam? Die Unsicherheit, nicht genau zu wissen, was passiert, und der Moment in dem man begeistert begreift, dass gerade etwas passiert ist, womit man überhaupt nicht gerechnet hat.
Spricht all dies dafür, dass Tivoli eine einmalige Erfahrung bleiben muss? Nicht im Geringsten – die Kopenhagener Bevölkerung lebt vor, wie man aller Regelmäßigkeit zum Trotz dennoch Magie in seinen Alltag holen kann. Dennoch lebt NEUverzauberung gewissermaßen davon, dass man sich auch regelmäßig neuen Erfahrungen aussetzt. Doch wie so oft kommt es auf die richtige Mischung an.
Was hat dich zuletzt neu verzaubert? Teile deiner Erfahrungen und Erkenntnisse gern in den Kommentaren.
Alles Liebe
Philipp
Berlin