Für viele unter uns eine Horrorvorstellung: Zurück in das Haus der Eltern ziehen. Dabei bringt das offensichtliche Vorteile – besonders für Nomaden.
Was fühlst du, wenn du dir vorstellst, wieder bei deinen Eltern zu wohnen?
Ungläubigkeit? Entsetzen? Gar Panik?
Ich habe mich schon mit vielen Menschen darüber unterhalten, ob wir uns vorstellen könnten, noch einmal mit Mama und Papa unter einem Dach zu wohnen. Häufiges Resultat: Für kurze Zeit ja. Länger auf keinen Fall. “Das sieht man ja schon während der Feiertage, dass es dann häufig kracht.”
Die Ursachen dafür lägen auch klar auf der Hand: Die Lebenstile haben sich bereits zu sehr von einander entfernt. Und auch ich habe mich immer auf der sicheren Seite gewogen, zu denken, dass es automatisch nach wenigen Tagen, spätestens einer Woche knallt.
Lehrmeister Umzug
Nun ziehe ich bekanntermaßen “überdurchschnittlich oft” um. Und das sogar echt gern. Natürlich gibt es nervenaufreibende Faktoren eines Umzugs: Organisation, Sachen einpacken, schleppen und schließlich wieder auspacken, Formalitäten klären.
Schnell wurde mir das zu viel und ich begann drastisch zu reduzieren. Das hört auch nie auf. Einmal angefangen, stelle ich immer wieder fest, dass plötzlich etwas gehen kann, was vor wenigen Wochen noch unvorstellbar war.
So zog ich also fortan reduziert um. Mein Kriterium: Alles soll in einen Pkw passen. Da ich gelegentlich zu Orten zurückkehre, beschloss ich manche Sachen an ebendiesen Orten zwischenzulagern. Fataler Fehler im System.
Ein Auszug:
- Mit 18 war ich fertig mit Abi und es ging zum Bund. Klar, dass ich da nichts von meinen Eltern mitnahm – war ja kein Platz im Spind. Dafür brachte ich neue Dinge mit zurück, zB einen Kühlschrank, den wir das Jahr über auf Stube hatten.
- Mit 19 begann ich in Dresden zu studieren. In reichlichen zwei Jahren sammelt sich schon ordentlich Zeug an…
- Mit 21 ging es in den Süden Deutschlands. Von Vornherein war klar, dass es vorübergehend sein würde. Entsprechend lieh ich meine Möbel einem Kollegen, um sie danach wieder verwenden zu können.
- Nach einem Jahr landete ich aber im Rhein-Main-Gebiet. Also transportierte ich meinen persönlichen Sachen zuerst von Süd nach Ost und dann zusammen mit den Möbeln von Ost nach West. War immer noch günstiger als kompletter Neuerwerb.
- Neun Monate später verließ ich die Region – mal wieder für ein Jahr. Weil klar war, dass ich im Anschluss weiter in Darmstadt studieren würde, hielt ich es für eine gute Idee, die Möbel wieder zu verleihen.
- 14 Monate später war ich zurück, fand mich allerdings in einem bereits möblierten Wohnheimszimmer wieder. Denn ich wollte gar nicht so lang bleiben… usw
Besitzverteilung
Letztlich war mein Besitz lange Zeit über an drei Orten verteilt:
- An meinem Aufenthaltsort waren diejenigen Sachen, die ich im Alltag nutze.
- Meist an meinem vorigen Wohnort verweilten meine Möbel.
- Es gab nach wie vor das Zimmer bei meinen Eltern.
Ist das nicht Wahnsinn?!
Zumindest empfinde ich so. Besitz belastet mich, denn er beansprucht nicht nur Platz in der Wohnung, sondern auch in meinem Kopf – auch wenn er noch so weit weg ist. Besitz verpflichtet, heißt es nicht umsonst. Er bindet nämlich Zeit, Energie, Aufmerksamtkeit und Geld – ob wir das wollen oder nicht.
Genau genommen ist es auch gar nicht möglich, den Überblick darüber zu wahren, was man eigentlich alles besitzt, wenn es so stark verteilt ist. Die meisten Leute bekommen das ja schon nicht hin, wenn alles an einem Ort ist. (Ich empfinde dafür übrigens eine Inventur als recht hilfreich.)
Das Ding mit der Homebase
Unter Nomaden ist es äußerst beliebt, eine Homebase, also einen Ort, an den man immer wieder zurückkehrt, zu haben. Und so weit ich das richtig im Kopf habe, hat wirklich jeder öffentlich agierende Nomade noch irgendwo ein paar Kisten zurückgelassen – sei es in der eigenen Wohnung, bei Familie und Freunden oder einem gemieteten Lager.
Natürlich kann man als Nomade eine “Zentrale” haben und unterwegs sein. Es kostet nur wesentlich mehr Energie, Zeit und Geld. Dabei ist es egal, wie man es angeht: Leerstehende Wohnung, wenn man längere Zeit anderswo ist, ergibt keinen Sinn. Untervermieten bedeutet entsprechenden Aufwand. Und so eine Wohnung möchte ja auch eingerichtet und unterhalten werden.
Davon habe ich jedenfalls die Nase voll! Das geht auch einfacher. Es gibt nämlich bereits ein Haus, das Bestand hat und auf welches ich Zugriff habe: Das Haus meiner Eltern.
Mein früheres Zimmer dort wird mein Leben lang bleiben, wenn nicht irgendwelche unvorhersehbaren Ereignisse eintreten. Meine Eltern ziehen da wohl nicht weg, ist ja schließlich ihr Haus. Sie werden das Zimmer auch nicht anders nutzen, denn irgendwo soll ich ja auch schlafen, wenn ich zu Besuch bin.
Hinzukommt, dass ich Einzelkind bin. Sprich: Eines Tages soll ich dieses Haus allein erben. Daran führt wohl gar kein Weg vorbei. Und davor graut mir jetzt schon. Praktischer Weise haben meine Eltern einen sehr ähnlichen Geschmack, was Materialien und Möbel anbelangt. Aber diese Last plötzlich auf meinen Schultern?
Ich wünsche meinen Eltern ein langes Leben. Angenommen, ich bin dann selbst weit über 60, möchte ich aber nicht plötzlich vor zwei kompletten Haushalten stehen. Entsprechend ergibt es aus meiner jetzigen Sicht überhaupt keinen Sinn vorher noch einen eigenen in Deutschland zu gründen.
Ein Leben aus dem Rucksack
Mein Elternhaus ist also ein Bezugspunkt und als Ressource ohnehin vorhanden. Wieso also nicht nutzen? Trotzdem würde ich es nicht als meine Homebase bezeichnen, denn die meiste Zeit des Jahres bin ich nicht dort. Tatsächlich komme ich, wenn ich unterwegs bin, mit den Sachen in meinem Handgepäck zurecht. Wenn doch mal etwas fehlt, gibt es das anderweitig vor Ort. Wieso sollte das also nicht auch den Rest des Jahres funktionieren?
Ich habe entsprechend einen Entschluss gefasst: Ich werde fortan nur noch aus dem Rucksack leben. Meine Homebase zieht nun ständig mit mir um und bekommt so eine neue Facette: Sie ist der Ort, an dem ich vorübergehend wohne und von welchem ich zu kleineren Reisen aufbreche. Zur Zeit also Jerusalem. Sie ist aber kein fixer Ort. Das passt einfach nicht zu mir.
Entsprechend habe ich folgende Schritte unternommen:
- Ich habe meine Möbel verkauft
Möbel umziehen lassen schadet ihnen nur. Verkaufen macht ehrlich gesagt aber keinen Spaß… Meines Erachtens gibt es einfach ein Überangebot an Gebrauchtmöbeln. Zuweilen vergreifen sich Interessenten schon arg im Ton. Und letztlich ist finanziell gesehen alles nur so viel wert, wie die Leute bereit sind, dafür zu zahlen. Also setzt die Erwartungen eher äußerst niedrig an. - Ich habe radikal ausgemistet
Unterwegs habe ich eh nur, was in meinen Rucksack passt. Mein Ziel: Auch bei meinen Eltern sollen nur noch die Dinge sein, die ich wirklich nutze, wenn ich bei ihnen zu Besuch bin. Meine Küchenutensilien habe ich, insofern sie meine Eltern verwenden, in ihren Haushalt überführt. Die übrigen habe ich anderweitig abgegeben. - Ich habe gescannt
… und tue das auch immer noch. Freilich muss ich wichtige Unterlagen irgendwo aufbewahren. Aber ich möchte nicht jedes Mal Mutti in die Spur schicken, ebendiese durchzusuchen, wenn ich etwas bestimmtes brauche. Und meist tut es eh eine Kopie. Also alles beständig digitalisieren und ordentlich bennen. Ist stressfreier und nimmt weniger Platz weg. ;)
Künftig suche ich mir entsprechend bereits möblierte Wohnungen. Freilich kann ich da bei der Einrichtung nicht mitsprechen. Aber das muss ich auch gar nicht. Ich habe erkannt, dass häufig eine minimalistische Einrichtung bereits genügt, um eine angenehme Ästhetik zu erzeugen.
Das ist mein persönlicher Weg, den ich beschreite. Deiner mag ganz anders aussehen. Wie hältst du es mit Wohnung bzw Homebase? Schreib es uns!
Alles Liebe,
Philipp
widerstandistzweckmaessig
10/09/2016 — 08:23
Hallo Philipp!
Ich finde das sind sehr gute Überlegungen, die Du da anstellst und ich kann mir gut vorstellen, dass es für Dich super funktioniert.
Gerade wenn man so viel unterwegs ist, ist das Elternhaus als homebase schon wirklich perfekt finde ich.
lg
Maria
Philipp
11/09/2016 — 08:06
Hallo Maria,
das finde ich auch! Gerade deshalb wundert es mich, warum es nicht von mehr Menschen so gehandhabt wird. :P
Lieber Gruß,
Philipp
Sabine
19/09/2016 — 16:21
Hey Philipp,
Hut ab! Die Entscheidung, gar keinen festen Haushalt zu haben, erfordert bestimmt Einiges an Mut. Aber man merkt, dass es ein langer Prozess zu dieser Erkenntnis war und du dir zumindest für die nächste Zeit absolut sicher sein kannst. Ich freue mich, mehr von deinen Abenteuern zu lesen!
Liebe Grüße
Sabine
Philipp
20/09/2016 — 07:05
Hallo Sabine,
ja, diese Erkenntnis hat wirklich eine Weile gedauert – von der Umsetzung ganz zu schweigen. Ich werde sicherlich zwischendurch Updates schreiben, wie es mir damit so geht. :)
Ich freue mich auch, von dir zu lesen!
Lieber Gruß,
Philipp