Es dauerte nicht lang, bis mir als Kind das Konzept von Gut und Schlecht eingebläut wurde. Erst über 20 Jahre später vermochte ich zu erkennen, dass das alles gar nicht echt und nur ein Hirngespinst des Menschen ist.
Wer kennt sie nicht diese Situationen, in denen man gelobt wird, gut gehandelt zu haben – oder eben eine Rüge einstecken muss, weil man etwas Schlechtes verbrochen hat? Ich kann mich an insbesondere an zahllose letzterer Situation erinnern, viele davon aus meiner Kindheit: Der Moment, als Mutti versteckte Süßigkeiten unter meinem Bett fand. Oder den lang vermissten, angebrannten Topf im Schrank. Oder dass ich mir heimlich die weggesperrten Tastatur und Maus beschafft hatte, um trotz PC-Verbot am Rechner zu sein. Dabei kann ich nach besten Wissen und Gewissen behaupten, dass ich keinerlei schlechte Absichten hatte. Doch was heißt das überhaupt? Gut? Schlecht?
Eine empathische Analyse
Je mehr ich darüber nachdenke, desto deutlicher wird mir, dass die beiden (manchmal auch als Gut und Böse tituliert), nur ein Konstrukt aus subjektiven Kategorien sind. Sprich: Es kommt stets auf die Perspektive an.
Bei keiner der drei Situationen wollte meinen Eltern Schlechtes. Jedoch konnte ich die Perspektive meiner maßregelnden Eltern noch gar nicht einnehmen. Ich war schlichtweg versessen auf Süßigkeiten und wollte das Problem mit dem Topf selbst aus der Welt schaffen, endlich mal Verantwortung übernehmen. Dummerweise hatte ich den dann vergessen.
Was den Computer anbelangt konnten meine Eltern wohl nie nachvollziehen, wie ich all die schönen, sonnigen Tage vor der Flimmerkiste verbringen – oder wie sie es womöglich gesagt hätten: verschwenden – konnte. Dabei war ich einfach nur neugierig. Lange Zeit hatte ich keinen Computer und musste entsprechend alles selbst lernen. Es gab so viel zu entdecken für mich! Das braucht eben Zeit. Und ich war im Flow. Da konnten schon mal ruck zuck acht Stunden vorüber gehen. Das war meine Perspektive. Meine Eltern sorgten sich um meine Gesundheit, bevorzugten mich an der frischen Luft, mit viel Bewegung und in der Natur.
Heute verstehe ich das äußerst gut! Faktisch betrachtet verbringe ich einen Großteil meines Tages damit, auf einen Bildschirm zu starren, sei es von meinem Laptop oder Handy. Entsprechend genieße ich es, einfach mal beide Geräte ausgeschaltet zu lassen und mich der analogen Welt zuzuwenden – draußen, mit Freunden oder einem Buch. Neudeutsch sagt man dazu auch Quality Time, um diese besonders hochwertige Zeit zumindest ein Stückchen von der weniger genussvollen Zeit abzuheben.
Quatsch mit Soße
Im Alltag sind wir ziemlich schnell darin, Aktivitäten in gut und schlecht genutzte Zeit zu unterteilen, sowohl für uns selbst, als auch andere. Ich halte davon ehrlich gesagt nichts. Denn was bedeutet das im Umkehrschluss? Doch wohl, dass wir unser Leben in zwei ungleiche Hälften teilen: Die Zeit, die wir gut finden und die Zeit, durch die wir uns quälen.
Ich kann an dieser Stelle nur für mich sprechen, aber ich möchte nicht nur einen Teil meines Lebens bewusst genießen und den Rest aufs Abstellgleis stellen. Freilich gibt es unangenehme Momente oder gar Zeiträume im Leben, denen wir kaum ausweichen können, beispielsweise Trauerfälle oder Wartezeiten auf dem Amt. Aber ebenso wie beim Starren auf den Bildschirm kommt es auch hier auf die Sichtweise an. Die Tatsache etwa, dass viele von uns ein Drittel (insofern das überhaupt ausreicht) ihres Lebens, also auch etwa so lang, wie wir schlafen, auf einen Bildschirm starren, klingt nicht sonderlich sexy. Anders sieht das aus, wenn wir uns anschauen, zu welchem Zweck wir das eigentlich tun: In meinem Fall zu großen Teilen um Drehbücher und Blogbeiträge zu schreiben, Filme zu schneiden oder Fotos zu bearbeiten. All diese Tätigkeiten betreibe ich leidenschaftlich und genieße sie. Sie bereiten mir Freude! Entsprechend finde ich auch nichts verkehrt daran.
Ähnlich verhält es sich mit den oft zitierten, elendig langen Wartezeiten bei Behördengängen. Viele Menschen sind davon genervt und vertreiben die Zeit mit Spielchen am Handy. Schauen sie dann auf die Uhr sind sie ganz schon fast gereizt, weil sie immer noch nicht an der Reihe sind – geht mir oft auch so. Wir sind es eben nicht mehr gewohnt auf etwas zu warten. Ich kann die Wartezeit aber auch einfach mal aus Auszeit hinnehmen und entsprechend “nutzen”. Einfach mal nicht ablenken. Keine Zeit totschlagen. Einfach nur warten und meinen Gedanken Freilauf lassen, den Moment für sich genießen. Leider erkennen wir das oft nicht und meinen, dauerhaft beschäftigt sein zu müssen.
Die Moral der Geschicht
Ich nehme aus dieser Geschichte drei Lehren mit:
- Quality Time ist, was ich draus mache!
Ich entscheide selbst bis zu einem gewissen Grad selbst, wie gut es mir mit meiner Zeit geht. - Don’t judge!
Wie andere ihre Zeit verbringen, geht mich nichts an. Sie sollen selbst darüber entscheiden, ebenso wie ich mir für mich selbst frei über meine Zeit verfügen können möchte. - Genieße Pausen, wie sie kommen.
Wenn unverhofft eine Lücke im Kalender entsteht, muss diese nicht sofort gefüllt werden. Stattdessen kann ich mich auch einfach an der frei gewordenen Zeit erfreuen und diese auch als solche belassen.
Wie geht es dir mit der Bewertung von Zeiteinheiten? Nimmst du sie selbst vor? Oder verwendest du deine Zeit lieber damit, ebendiese zu genießen? Lass es uns wissen!
Alles Liebe,
Philipp
widerstandistzweckmaessig
28/01/2018 — 16:48
Hallo Philipp!
Ich denke, die Bewertung von Zeit kommt von der Angst, etwas zu verpassen. Wir denken daran, was wir statt dessen lieber machen wollen.
Aber genau das nimmt uns die Möglichkeit, im Augenblick zu leben. Denn weder in der Vergangenheit noch in der Zukunft passiert das Leben sondern nur im Moment.
Damit lösen wir auch die Bewertung heraus und es ist auch nicht mehr wichtig, wie lange wir warten. Denn das ist das einzige, was wir in dem Moment zu tun haben.
Darüber habe ich bei meiner Achtsamkeitsübung der Woche 44 sehr lange nachgedacht und das hat mir echt geholfen, aus der Schleife raus zu treten.
lg
Maria
Philipp
29/01/2018 — 01:38
Hallo Maria,
an die Übung bei dir erinnere ich mich noch gut. Über das Thema des Im-Hier-und-Jetzt-Lebens kommt diese Woche auch noch etwas. :)
Du hast gerade einen Gedanken in mir ausgelöst, den ich aber noch nicht zu Ende gedacht habe: Wenn wir bemerken, dass wir stattdessen eigentlich lieber etwas anderes machen wollen, könnten wir das ja just in diesem Augenblick tun. Das bezeichnen wir dann gern als eigenverantwortliches Handeln. Doch dann leben wir schon wieder nicht mehr im Moment, weil wir für die Zukunft planen. Bedeutet das im Umkehrschluss, dass Leben im Hier und Jetzt eigentlich ein Treiben im Fluss ist?
Ich mag darüber noch mal in Ruhe und ausgeschlafen nachdenken. :) Vielen Dank für die Anregung(en)!
Lieber Gruß,
Philipp
widerstandistzweckmaessig
29/01/2018 — 06:30
Guten Morgen!
Das würde ich jetzt so nicht sehen. Denn aus dem Moment ergibt sich der nächste Moment. Das ist jetzt kein Plan sondern eher ein leben im Fluss. Also aktiv meine ich das, selbst bestimmen was geschieht.
Treiben im Fluss ist passiv. Da würde ich von Moment zu Moment getrieben, je nachdem, was daher kommt ohne selbst zu entscheiden wohin es geht.
lg
Maria
Philipp
31/01/2018 — 12:38
Hallo Maria,
ja, da stimme ich dir zu. :)
Lieber Gruß,
Philipp