Zum Workaholic erzogen

Ich finde es recht bezeichnend, dass ich auf der Suche nach fundierten Fakten und Zahlen über Arbeitssucht, von der Suchmaschine meines Vertrauens Tipps für die Arbeitssuche vorgeschlagen bekommen habe. Angeblich stellt sich bei zunehmend mehr Menschen heraus, dass sie nicht nur tüchtig, sondern süchtig sind. Was ist dran und woher kommt das?

Streben nach Anerkennung

Momente, in denen ich mir anhören durfte, wer doch alles ein “Faulpelz” sei (manchmal war mit Sicherheit auch ich gemeint), habe ich noch zuhauf in meinem Gedächtnis. Schnell begriff ich, dass es gut ankommt, wenn man fleißig ist. Und über Anerkennung freut man sich, oder?

In der Schule wird dieses Prinzip fortgeführt: Fleiß wird mit guten Noten belohnt. Wer viel an sich selbst und seinen Werken arbeitet, gilt als erfolgreich. Ganz anders “die bösen Kinder”, die ihre ganze Freizeit nur mit Spaß verbringen, anstatt zu pauken. Dabei ist das Prinzip in der Schule recht gut: sechs Stunden Arbeit, danach Freizeit.

Die Schattenseite ist, wie bereits Kinder zu kleinen Workaholics herangezogen werden. Ohne gute Noten, gibt es später keine gute Arbeit. Die guten Noten gibt es aber nicht einfach so, sondern nur bei entsprechender Leistung. So nimmt das Übel seinen Lauf: Wir beginnen, uns über unsere Arbeit und dem damit erhofften Lob zu identifizieren.

Die Worte meiner Gymnasiallehrer bringen die Ideologie recht gut auf den Punkt: “Ihr seid die zukünftige Elite. Verhaltet euch auch so.” Und was bekommen wir von der Elite vermittelt? Das Wort Mäßigung habe ich in diesem Zusammenhang jedenfalls noch nicht zu hören bekommen. Stattdessen hallen noch immer die Worte Wachstum und Erfolg.

Arbeitsbienen mit Auszeichnung

Dass der Begriff Workaholic scherzhaft oder als positives Merkmal verwendet wird, beobachte ich immer wieder. Andererseits habe ich tatsächlich den Eindruck, dass immer mehr Menschen in meiner Umgebung darüber klagen, wie viel es zu tun gibt. Dabei ist mir besonders aufgefallen, dass bereits sehr viele Studierende unter zu großer Arbeitslast leiden. Entgegen dem Stereotyp der faulen Studenten, kenne ich mittlerweile kaum welche, die neben ihrem Vollzeitstudium nicht noch nebenher arbeiten, weil sie sich sonst nicht über Wasser halten können.

Im Anschluss könnte sich doch eigentlich Entspannung breit machen, wenn man “nur” noch eine Vollzeitstelle hat. Wieso jagen also wir dennoch Beförderungen hinterher und nehmen dafür Überstunden und ständige Erreichbarkeit in Kauf? Nur wegen des schnöden Mammons? Für Anerkennung von Menschen, die uns gar nicht so sehr am Herzen liegen?

Perfektionswille ohne Wenn und Aber

Es ist nicht immer der Wille, sämtliche Arbeiten zu übernehmen und sich überall einzubringen. Manchmal sorgt auch einfach nur unnötiger Perfektionismus dafür, dass wir in Arbeit untergehen, wie diese Geschichte zeigt.

Ich finde mich auf beiden Seiten wieder, denn einerseits habe ich eine viel zu große Bereitschaft, Zusagen zu machen. Dadurch habe ich mich schon oft überlastet und kam gar nicht mehr hinterher. Gleichzeitig wollte ich alles bestmöglich erledigen und habe mich dadurch in unnötigen Details verloren.

Heute weiß ich, dass Perfektion erstens ohnehin nie erreicht wird und zweitens nicht mal nötig ist. Meine Erfahrung zeigt mir: Die Priorität liegt in 99,999999999% der Fälle darauf, dass etwas zeitnah erledigt wird. Ist der Stein einmal ins Rollen gebracht, können im Anschluss immer noch die nötigen Ausbesserungen vorgenommen werden. Das spart nicht nur Zeit und Nerven, sondern lässt auch mehr Raum für’s Nichtstun.

Work-Life-Schmarrn

Leider ist mir kein Land dieser Welt bekannt, in dem Müßiggang gesellschaftlich anerkannt wird. (Falls du eins kennst, gib mir bitte Bescheid!) Dabei sollten wir doch eigentlich über jede freie Minute froh sein; jedes Stückchen weniger Arbeit, das es zu tun gibt, vollen Herzens verteidigen.

Das klingt jetzt so, als möchte ich alle dazu aufrufen, weniger zu tun. Es ist auch so gemeint. Natürlich habe ich nichts gegen Leidenschaft bei der Arbeit, brenne ich doch selbst für meine eigene.  Freilich gibt es einige Länder, in denen wesentlich schlimmere Zustände als in Deutschland herrschen. In Japan gibt es sogar ein Wort für Todesfälle, deren Ursache Überarbeitung sind, was übrigens keine Seltenheit ist.

In diesem Zusammenhang wird auch oft der Begriff Work-Life-Balance ins Spiel gebracht, den ich zugegebener Maßen als unsinnig betrachte. Arbeit ist Teil unseres Lebens. Warum diesen Teil also auf eine Ebene mit dem Gesamten stellen? Krankheiten, egal welcher Natur, sollten nicht symptomatisch, sondern in ihrer Ursache bekämpft werden.

Im Falle einer Gesellschaftskrankheit liegt die Ursache nicht zuletzt darin, wie wir mir ihr und unserem Verständnis von Arbeit umgehen. Dass die 40h-Woche als “Vollzeit” deklariert und dies als gegeben hingenommen wird, ist mir unverständlich. Wie Arbeitssucht nicht als Krankheit anerkannt sein kann ebenso. Acht Stunden Arbeit von vierundzwanzig Stunden Tageszeit entsprechend einem Drittel unseres Lebens. Wollen wir das wirklich so hinnehmen?

Lichtblicke

Es obliegt uns, diesen Umstand zu ändern, indem wir es anders machen. Manche Menschen tun dies bereits, indem sie weniger Stunden, Tage, Monate oder gar Jahre arbeiten. Auch hier ist es eine Frage der Priorität: Was ist uns wirklich wichtig?

Nun können wir freilich darauf warten, dass es eines Tages besser wird. Bisher hat das nicht funktioniert. Deshalb schlage ich vor, dass wir es einfach selbst angehen und weniger arbeiten, denn wir können nicht davon ausgehen, dass es “die Gesellschaft” schon richten wird. Mittel und Wege gibt, das hinzubekommen, ohne dass andere davon Schaden nehmen, zeigt uns unter anderem Anne Donath. Sie hat bereits mehrere Jahre, bevor sie in Vorruhestand gegangen ist nur drei Monate im Jahr gearbeitet und würde die dadurch gewonnene Zeit gegen nichts in der Welt eintauschen.

Es geht also. Wachstum kann nämlich auch von der anderen Seite betrachtet werden: Was für ein Wachstum an Freiheit und Freizeit das wäre, wenn wir einfach weniger arbeiten würden! Die Frage ist nur, welche neuen Wege wir finden, um es auch tatsächlich mal umzusetzen, anstelle durch Technik abgelöste Arbeiten durch neue zu füllen. Haben wir doch einfach mal Mut zu Lücke!

Wo liegt dein optimales Maß an Arbeit? Welche Ideen hast du, um weniger zu arbeiten? Teile sie gern in den Kommentaren mit uns.

Alles Liebe,
Philipp

2 Kommentare

Antworten

  1. Toller Beitrag!

    Ich glaube in dem Zusammenhang wäre eine Geschichte der Arbeit recht interessant. Historisch kenn ich mich jetzt nicht so aus im Detail, daher nagle mich nicht fest, aber “früher” wurde noch wesentlich mehr gearbeitet bzw. weniger – von der gesellschaftlichen Schicht abhängig. Dass das Wochenende zwei Tage dauert gibt es glaube ich auch noch nicht so lange. Also es ist alles nicht so einfach festzusetzen.

    Aber ja du hast definitiv recht, dass es in der heutigen Gesellschaft die Vorstellung von 40h/Wo als normal zu deklarieren ein Wahnsinn ist. In Österreich wollen unsere lieben Politiker jetzt einen 12h Tag festmachen und die Wochenhöchstarbeitszeit auf 60h/Wo erhöhen. Eine Sauerei in meinen Augen, denn eigentlich sollte es doch in die umgekehrte Richtung gehen. Denn man weiß aus Studien, dass jmd der 30h arbeitet gleich produktiv ist wie jmd der 40h arbeitet – da viel Zeit durch plaudern, private emails, Telefonate etc. “verplempert” wird. Das bedeutet für mich dass das Potential da ist den Tages/Wochenstundensatz zu verringern wenn dafür das Commitment ist sich mehr auf die Arbeit zu konzentrieren und dem anderen “Zeugs” keinen Raum zu geben.

    Mein langfristiges Ziel ist es auf alle Fälle den Weg der “Vollarbeitszeit” einmal hinter mit zu lassen und in die “Teilzeit” zu gehen. Nach aktuellem Stand ist das nicht möglich, aber es muss nicht alles per sofort umgesetzt werden, kommt Zeit kommt Muße.

    Danke für deine immer tollen Artikel :)
    LG
    Anna

    • Hallo Anna,

      vielen Dank für das Lob und deine ausführlichen Gedanken!

      60h/w ist wirklich Wahnsinn! Ich habe auch schon gelesen, dass Menschen einst nur 3h am Tag arbeiten mussten, um ihren Lebensunterhalt zu sichern. Das war allerdings noch in der Steinzeit, also ohne all die Annehmlichkeiten, die wir heute genießen. Dass viele Menschen produktiver sind, wenn sie sich weniger Zeit konzentrieren sollen und dafür mehr Freizeit bekommen, habe ich auch schon über diverse Projekte und Firmen mitbekommen. Und aus meinem Arbeitsalltag und Projekterfahrungen heraus kann ich sagen, dass wirklich nie acht Stunden strikt durchgearbeitet werden – auch abseits der Pausen.

      Verkürzte Arbeitszeit ist doch ein schönes mittelfristiges Ziel. :) Persönlich kann ich mir momentan gar nicht vorstellen, geregelt 40h die Woche zu arbeiten, weil es mir so kontraproduktiv vorkommt. Entsprechend versuche ich, meinen Alltag auch jetzt schon so zu gestalten, dass ich weniger arbeite.

      Lieber Gruß und ein entspanntes Wochenende,
      Philipp

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