Ich kann selbst kaum glauben, dass es schon zehn Jahre her sein soll, dass ich in Deutschlands Armee gedient habe. Einerseits wirken die Erinnerungen noch so frisch, andererseits habe ich in der Zwischenzeit so viel erlebt. Mit etwas Abstand habe ich mich nun gefragt, was eigentlich langfristig hängen geblieben ist.

Viele Menschen können ihren Ohren kaum trauen, wenn ich ihnen erzähle, dass ich beim Bund war. Ich habe es selbst 17 Jahre lang auch nicht für möglich gehalten. Doch dann kam alles anders als geplant.

Ursprünglich wollte ich einen alternativen Dienst im Ausland absolvieren. Also habe ich wie geplant einen Kriegsdienstverweigerungsantrag gestellt. Dann wurde mir eröffnet, dass ich binnen fünf Monaten Antwort erhielte. Dabei wollte ich am liebsten bereits drei Monate später meine Koffer packen.

Damals gab es exakt zwei Organisationen, mit denen ein solcher Alternativdienst außerhalb Deutschlands möglich gewesen wäre. Diese entsandten jeweils im Juli und Januar. Wenn ich im August meine Antwort erhielte, hätte ich also bis Januar überbrücken müssen und nach 12 Monaten noch einmal bis Oktober, um ein Studium zu beginnen. Das schien mir damals in meiner jugendlichen Ungeduld viel zu lang, um in meinem gewohnten Umfeld etwas Sinnvolles mit der Zeit anzufangen. Heute würden mir freilich einige Dinge einfallen.

Schließlich besuchte ich meinen besten Freund, welcher just zu diesem Zeitpunkt selbst diente. Auf dem Weg hin witzelte ich noch mit einer Freundin darüber, was ich wohl alles hätte sagen können, um ausgemustert zu werden. Nach meinen Einblicken dort und einem Gespräch mit meinem besten Freund, fand ich Wehrdienst plötzlich gar nicht mehr so schlimm. Irgendwie fügte sich alles zusammen und noch am selben Abend teilte ich meinen Eltern mit, dass ich nicht nur den Grundwehrdienst absolvieren, sondern auch noch freiwillig drei Monate länger dienen würde. Da klappte ihnen wortwörtlich die Kinnlade runter.

Die Gründe für meinen Sinneswandel lagen für mich auf der Hand:

  1. Ich vergeude keine Lebenszeit durch unnötiges Warten auf den nächsten Schritt.
  2. Nach neun Monaten Grundwehrdienst steigt der Sold gewaltig an – dieses Geld würde ich für mein Studium gut gebrauchen können.
  3. Bei lediglich 12 Monaten Wehrdienst wären die Chancen vergleichsweise gering, in einen Einsatz in Kriegsgebiete geschickt zu werden.
  4. Wenn ich direkt im Anschluss an mein Abitur mit dem Wehrdienst beginnen würde, könnte ich nach 12 Monaten Wehrdienst noch drei Monate Arbeitslosengeld beziehen und mich in Ruhe um die Vorbereitungen für mein Studium kümmern.
  5. Ich würde, so meinte ich damals, mal an meine Grenzen gebracht werden, wenn auch in anderer Form, als ich es mir zuvor erträumt hatte – namentlich kulturellen und linguistischen Barrieren.

Aus heutiger Sicht betrachte ich einige Aspekte anders. Insbesondere den der Zeitverschwendung und Wartezeit. Und wenn ich dann noch daran denke, dass Israelis zu drei Jahren Wehrdienst verpflichtet sind… Doch meine Rechnung ging größtenteils auf:

  • Nach einigen psychologischen Untersuchungen (logisch: Wer verweigert schon erst den Wehrdienst und meldet sich dann freiwillig, um länger als nötig zu dienen?) durfte ich direkt im Anschluss an meine Gymnasialzeit meine militärische Grundausbildung beginnen. Ein Jahr später meldete ich mich arbeitslos und schrieb mich an der TU Dresden für Medieninformatik ein.
  • Neben Grundsold bekam ich auch eine Entfernungspauschale. Da ich angab, bitte so weit wie möglich von zu Hause entfernt versetzt zu werden, fiel diese entsprechend hoch aus. Die fünf Stunden Zugfahrt an fast jedem Wochenende störten mich dabei nicht.
  • Außerdem standen mir Mittel für Berufsförderung zu, die ich bis auf den letzten Euro aufbrauchte. Wie sehr mir das später helfen würde, war mir damals allerdings noch nicht bewusst.
  • Mit Wachdiensten polsterte ich meinen ohnehin recht üppigen Urlaubsanspruch auf und nutzte jede Gelegenheit, um zu verreisen. So kam verbrachte ich eine wunderbare Zeit in London, Rumänien, Österreich und Irland und hatte nach der Grundausbildung jeden Monat eine Woche frei. Das vermisse ich definitiv am meisten.
  • Und Geld für das Studium blieb auch noch übrig.

Lediglich an meine Grenzen wurde ich nicht gebracht, aber das ist eine andere Geschichte. Vom Wehrsold ist heute freilich nichts mehr übrig geblieben, dafür jedoch viele Erinnerungen und einige Einsichten. Stünde ich jetzt vor der freien Entscheidung, ob ich zum Bund gehen wollte oder nicht, würde ich tatsächlich nicht gehen. Aber ich bin dankbar für die Erfahrungen, die ich dort machen durfte.

Spanisch, 3D-Modellierung und Animation

Nein, ich wurde nicht nach Spanien oder Lateinamerika abgezogen, doch mit der oben angesprochenen Berufsförderung, waren sowohl Sprachkurse als auch sämtliche Weiterbildungen, die für die spätere zivile Karriere von Vorteil sein könnten, möglich und wurden bis zu einem gewissen Kostenumfang von der Bundeswehr übernommen.

Ebendiesen schöpfte ich komplett aus und besuchte nicht nur dienstbegleitend zwei wöchentliche Spanischkurse, sondern absolvierte noch eine berufliche Weiterbildung in Leipzig. (Praktischer Weise gab es dafür auch noch Bildungsurlaub.) So viel zu den Hard Skills. Kommen wir nun zu den zwischenmenschlichen Fähigkeiten.

Gemeinsame Herausforderungen schweißen zusammen.

Oft wird in Zusammenhang mit der Zeit bei der Bundeswehr vom einmaligen Gefühl der Kameradschaft gesprochen. Und es stimmt: Man wird mit Menschen verschiedenster Herkünfte und Hintergründe in einen Topf geworfen, lebt drei Monate auf engstem Raum zusammen, bewältigt Herausforderungen und hat gemeinsame Feinde – welche besseren Zutaten könnte es für ein Team geben?

Das wird in der Allgemeinen Grundausbildung am deutlichsten: Durch die bildungspolitische Trennung an Regel- und Gymnasialschulen verbrachte ich fast meine gesamte Jugendzeit mit Menschen, die dieselben Privilegien zu höherer Bildung genossen wie ich. Beim Wehrdienst ist es zunächst egal, woher du kommst und welchen Schulabschluss oder Notenschnitt du erreicht hast. Es starten alle bei Null. Trotzdem bringen alle ihre eigenen Stärken und Talente mit.

Dann verbringt man fünf Tage pro Woche ununterbrochen zu zehnt draußen oder auf Stube. Privatsphäre gibt es nicht. Freilich lernt man in solch einer intensiven Zeit einiges über einander. Täglich bekommt man Aufgaben gestellt, die man zusammen lösen muss, nie wird jemand zurückgelassen, denn wenn nicht alle ans Ziel gelangen, hat niemand etwas gewonnen. Schließlich gibt es noch die fiesen, schreienden Ausbilder, die niemand leiden kann. Wie sagt man so schön: Meines Feindes Feind ist mein Freund.

Nach drei Monaten blickt man auf so viele gemeinsame Erfahrungen zurück. Aus Fremden sind seltsam Vertraute geworden, doch für Freundschaft fehlen wesentliche Komponenten. Das ist sie dann, die Kameradschaft. Und mit einem Menschen hat sich tatsächlich eine Freundschaft entwickelt, die bis heute andauert.

Ich laufe für mein Leben gern lange Strecken.

Während meiner Dienstzeit nutzte ich jede noch so kleine Gelegenheit, das staubige Stabsbüro verlassen zu können. Entsprechend ließ ich auch keine Chance aus, um an einem Marsch teilzunehmen. Statt Dienst zu leisten, durfte man 30km mit Gepäck laufen und hatte im Anschluss frei.

Fünf Stunden frische Luft statt acht Stunden Tonerstaub einzuatmen – Wer könnte da schon wiederstehen? Freilich kommt mir dabei zu Gute, dass ich gern gemächlich lange Strecken laufe, anstatt kurz durch die Gegend zu hetzen.

Es fasziniert mich, alles Notwendige bei mir zu haben.

Stichwort Gepäck: Die Idee, alles mit eigenen Kräften tragen zu können, was man im Alltag so benötigt, finde ich als nomadisch veranlagter Mensch natürlich großartig! Ein besonderes Gespür entwickelt dafür habe ich beim Bund.

Das Prinzip lässt sich auf zwei Regeln reduzieren:

  1. Du hast nur dabei, was du wirklich brauchst.
  2. Die wichtigsten Dinge führst du am Körper.

Deshalb verfügt die Uniform über so viele Taschen. ;) Darüber, was jetzt wirklich nötigt ist, lässt sich natürlich streiten. Persönlich empfinde ich zumeist die Waffe als unnötig. Trotzdem musste ich sie mit mir rumtragen, was mir gehörig auf die Nerven ging. Viel essentieller hätte ich einen Grundstock an Nahrung gefunden. Denn was esse ich, wenn der Verpflegungstrupp aufgehalten wird? Und was nützt es mir, einen Esbit-Kocher dabei zu haben, wenn ich über keinerlei Nahrung verfüge?

Schießen bereitet mir keine Freude.

Apropos Schusswaffe: Sie ist nicht nur schwer, unhandlich und hängt ständig im Weg rum. Ich empfinde tatsächlich auch überhaupt keinen Spaß, wenn ich abdrücke. Ja, Funktionsweise und Aufbau sind faszinierend, aber als an Misophonie leidender Mensch sind Schüsse eines der letzten Geräusche, die ich mir herbeisehne, geschweige denn selbst herbeiführen möchte. Außerdem geht das auch viel zu schnell.

Meinen Kopf kann ich nicht ausschalten.

Allzuoft wird der Spruch gebracht, man solle Sonntag Abend sein Gehirn bei der Wache der Kaserne abgeben und am Freitag Nachmittag wieder abholen. In der Theorie spiegelt der Spruch die Wirkungsweiße einer Armee wieder: Es gibt klare Hierarchien. Der höhere Dienstgrad befiehlt. Der niedrigere Dienstgrad gehorcht.

Da ich es als Abiturient gewohnt war, nicht blind zu gehorchen, sondern selbstständig zu denken und Befehle zu hinterfragen, war es insbesondere als Rekrut eine Umstellung, nicht Widerspruch zu leisten. Wahrscheinlich hat es auch zu einer verzögerten Reaktion meinerseits geführt, weil ich mich erstmal gefragt habe, ob ich dieses und jenes jetzt wirklich tun sollte.

Bis heute kann ich nicht einfach willenlos gehorchen und hinterfrage, sobald ich auf Ungereimtheiten stoße.

Uniformen gefallen mir.

Das mag ich dann doch etwas differenzieren, denn ich meine weder die Dienstanzüge, die die Attraktivität aller um Faktor 3 erhöhen, noch die Feldanzüge, gleichwohl die im Armeealltag äußerst praktisch, wenngleich unansehnlich sind. Ich rede schlichtweg von der Funktion, nicht entscheiden zu müssen, was man anzieht.

Schminke kann ich nicht ausstehen

Das hätte ich eigentlich bereits vom Fasching wissen können, aber bei Wehrübungen wurde es mir erst so richtig klar. Zur besseren Tarnung schmiert man sich grüne, braune und schwarze Schminke ins Gesicht, um sämtliche humanen Konturen zu eliminieren und im Gelände schwieriger zu erkennen zu sein. Effektiv: Ja.

Effizient: Nein. Sowohl das Anbringen der Schminke selbst, als auch die Entfernung ebendieser dauert seine Zeit. Da sie dafür sorgt, dass man stärker schwitzt, frage ich mich, warum es nicht einfach atmungsaktive Stoffmasken gibt. Die ließen sich schneller über- und abziehen und könnten auch die Augen abdecken, ohne dass die Sicht eingeschränkt ist.

Verständlicherweise trauere ich dem also überhaupt nicht nach. Und es ist wahrscheinlich auch einer der Gründe, warum ich meine Freizeit nicht häufiger Drag widme. :D

Wer am lautesten schreit, kann am wenigsten.

Klar wird man in der Grundausbildung angeschrien und zuckt erstmal zusammen. Aufgrund der Dienstgradhierarchie hinterfragt man oft auch gar nicht, ob die Abzeichen auf der Schulter in Relation zu den tatsächlichen Leistungen einer Person stehen. (Spoiler: Nur bedingt, denn viele Beförderungen basieren auf Dienstzeit, nicht auf Leistung. Wenn man also keinen groben Mist baut, klappt das schon.)

Als Stabssoldat im Personalwesen hatte ich zwangsläufig viele Einblicke in Akten und staunte manchmal nicht schlecht, wieso welche Person wegen welcher Vergehen abgemahnt oder gar unter Arrest gestellt wurde. Das konnte man sich insbesondere bei den strengsten Ausbildern kaum vorstellen. Da sehen wir mal wieder: Niemand ist perfekt.

Und: Schreien funktionier als Ablenkung nach wie vor sehr gut – im militärischen wie im zivilen Leben.

Die Armee ist nichts für mich.

Das verwundert jetzt vermutlich niemanden mehr: Eine Erfahrung war es definitiv, aber die Arbeit, Firmenkultur und Strukturen gehen komplett gegen meine eigenen Bedürfnisse. Entgegen meiner Erwartungen wurde ich nicht an meine Grenzen gebracht und empfand die Arbeit im Stab als äußerst langweilig. Entsprechend hat mir ein Jahr mehr als genügt.

Ich bin einfach nur gern draußen, komme gern mit wenig Dingen aus und wachse gern über mich hinaus. Das kann ich aber auch ohne Armee, denn auf alles, was in direktem militärischen Zusammenhang steht, verzichte ich lieber. Aber ich denke gern an die Zeit und daran, was ich aus ihr für mein Leben mitnehmen konnte, zurück.

Wie stehst du zur Bundeswehr? Hast du selbst gedient oder dienen müssen oder anderweitig Erfahrungen mit ihr gemacht? Schreib es gern in die Kommentare.

Alles Liebe
Philipp