Kennst du das, wenn man jahrelang einen Traum hegt, ihn aber immer wieder aufschiebt? Wenn man allen von diesem Traum erzählt, ihn aber nie realisiert? Wenn schließlich die Jahrzehnte ins Land gehen und immer wieder etwas dazwischenkommt, weshalb man ihn sich doch nicht erfüllt? So ging es mir bereits über zehn Jahre lang mit dem Wunsch nach einem Kajak – und er hielt sich weiterhin. Doch auf dem Sterbebett liegen und darüber trauern, ihn mir nicht erfüllt haben, wollte ich auch nicht.

Dennoch habe ich seit bereits zehn Jahren verschiedene Modelle recherchiert, Bautypen verglichen, mich für ein Modell entschieden, dann aber nicht das nötige Kleingeld gehabt, dann umentschieden, aber immer andere Prioritäten gehabt. Letztes Jahr hatte ich endlich das nötige Kleingeld, aber konnte mich für kein auf dem Markt erhältliches Modell entscheiden. Sogar mit einem Erfinder aus Dresden hatte ich Kontakt aufgenommen, um seinen Prototypen zu testen, doch ein Treffen kam nie zustande und die Konstruktion ist noch nicht in Serie gegangen.

2020 lebe ich in Berlin, also einer Stadt, die mit seinen Flüssen und Kanälen prädestiniert dafür sein sollte, vom Wasser aus erkundet zu werden. Entsprechend hat sich meine Sehnsucht nach einem eigenem Kajak und die Vorstellung, damit eines Tages ins Büro zu paddeln, noch einmal zementiert. Und man stelle sich vor: Während Corona steht plötzlich so viel mehr Zeit zur Verfügung, die direkt sinnvoll in Paddelzeit investiert werden könnte.

Freilich habe ich auch schon anderen Bootsarten nachgeseufzt, immerhin ist ein Boot die Inkarnation eines Hauses für Nomaden: Du bist damit unterwegs und gleichzeitig überall zu Hause, kannst sogar mehr mitnehmen, als in den Rucksack passt, und brauchst entsprechend kaum Abstriche in Hinblick auf Lebensstandard zu machen – so weit das Ideal. Mich ärgert beispielsweise immer wieder, dass tendenziell auf Reisen mehr Müll anfällt und man sich nur bedingt selbst bekochen kann. Das wäre auf einem Hausboot kein Problem mehr. Außerdem ließe sich so gleich noch horrenden Mieten in Großstädten entgehen. In London fliehen immer mehr Menschen auf Hausboote entlang der Kanäle. Und zu guter Letzt schwingt natürlich eine ordentliche Brise Abenteuer mit, wenn man an all die Geschichten zurückdenkt, die ebenfalls mit einer Bootsreise begannen und mit denen die unerschrockenen Titelfiguren unserer Kindheit uns in unsere Fantasie begleitet und beflügelt haben.

Doch leider bleibt es hier bei der Theorie, einer romantischen Idee. Da wären einerseits die hohen Anschaffungskosten. Interessanterweise kosten viele Boote bereits so viel wie eine (immobile) Eigentumswohnung – je nach Stadt, versteht sich. Hinzukommen Instandhaltungskosten, denn bei allem, was sich bewegt, fallen wiederkehrend Wartungsarbeiten an. Man ist gut beraten, in sie zu investieren, schließlich möchte man ja ein Stück lang Freude am eigenen Boot haben. Hizu kommen noch die Kosten für einen Liegeplatz, denn leider darf man nicht einfach überall nach gut dünken anlegen. Meiner Recherche nach liegen die Mieten für diese gleich auf mit denen für eine 1- bis 2-Raum-Wohnung.

Realisierbar ist der Traum freilich, aber wäre es mir das wert? Mitnichten. Mir steht eine pragmatische, unaufwändige Lösung im Sinn, womit wir wieder beim Kajak wären: Ein Feststoffboot kommt für mich gar nicht in Frage. Wo soll ich das lagern und wie soll ich es ohne Auto transportieren? Packbare Vertreter gibt es einige. Manche arbeiten mit Gestänge und Haut, allerdings nimmt der Aufbau zwischen 30 und 45 Minuten in Anspruch. Wie lang ich da paddeln müsste, damit es sich lohnt! Andere nutzen faltbare Platten, jedoch habe ich hier Sorge, dass die sich zu schnell abnutzen und brechen. Ich traue Plastik bei beweglichen Teilen einfach nicht über den Weg! Schließlich gibt es noch aufblasbare Modelle. Was ich an aufblasbaren Dingen nicht ausstehen kann, ist der Moment, wenn ein kleines Loch das komplette Objekt zu Müll reduziert, so bereits geschehen bei meinem Gummiboot als Kind, meiner Luftmatratze in Israel, als der Kater des Mitbewohners spontan drauf gesprungen ist, oder jüngst bei meinem aufblasbaren Nackenkissen, das an einer irreparablen Stelle leckt.

Trotzdem hat mich tatsächlich ein aufblasbares Modell überzeugt, wenngleich mit neuer Technologie. Beim Material handelt es sich um zwei Lkw-Planen, die über Filamente miteinander verbunden sind. Wenn Luft zwischen die beiden Schichten gepumpt wird, werden die Wände des Bootes beinahe so hart wie bei einem Festboot. Entsprechend gute Fahreigenschaften weist das Kajak auch auf. Dennoch lässt es sich in einem Rucksack verpacken. Der ist zugegebener Maßen so groß wie ein kleiner Kühlschrank und wiegt gefüllt 18 Kilogramm, doch damit bleibe ich mobil und kann mein geliebtes Kajak auch in Öffis mitnehmen, wenn ich mal nicht ums Eck in die Spree einsteige.

So fand mein Wunsch vom eigenen Kajak Erfüllung und ich konnte heuer den Sommer mit einigen schönen Touren in und um Berlin verbringen. Über die andere Perspektive Berlins, der vom Wasser aus, schreibe ich dann ein anderes Mal. Jetzt steht erstmal die erste längere Tour auf dem Plan: Die erste Reise mit dem Kajak.

Welchen lang gehegten Traum hast du dir zuletzt erfüllt?

Alles Liebe
Philipp