Als Single wird man nicht nur an Valentinstag, sondern regelmäßig mit der einen, scheinbar über gutes oder armseliges Leben bestimmenden Frage konfrontiert: “Hast du wieder eine Freundin?” Ein weiterer Beitrag aus der Reihe Dinge, die verboten gehören.
Ich bin derzeit nicht solo. Trotzdem habe ich die Beziehungsfrage schon oft genug in meinem Leben gehört, dass sie mir nicht nur zum Hals raus, sondern bis zu den Kniekehlen hängt: “Und? Hast du eine Freundin?”
Genau genommen habe ich mehrere Probleme mit ihr.
- Der Drang zur Heteronormativität
- Die künstliche Erhöhung romantischer Beziehungen in ihrer Bedeutung für ein erfülltes Leben und damit verbunden die Herabwürdigung eines ledigen Lebens
- Das Überschreiten persönlicher Grenzen
Als nomadisch lebender Mensch kommt dann auch noch oft die Frage dazu, wie das eigentlich funktioniert, so eine Fernbeziehung, oft gekoppelt mit der Bemerkung, dass da ja nichts für die fragende Person sei. Dabei leben wir mittlerweile alle in Fernbeziehungen, wenn auch nicht immer romantisch: Meine Familie und Freunde wohnen auf der Welt verteilt und ich bin keine Ausnahme. Im Alltag tauschen wir uns mit unseren Liebsten viel häufiger telekommunikativ als vis-à-vis aus. Irgendwie ist es auch seltsam, dass wir mit unseren Arbeitskolleg.innen mehr Zeit verbringen, als mit den Menschen, die uns wirklich wichtig sind. Darin sehe ich zwei klare Anzeichen, dass es an der Zeit ist, unsere Beziehungen und wie wir mit ihnen umgehen, auf den Prüfstand zu stellen.
Zugegebener Maßen schreibe ich diesen Beitrag nicht nur, um dich zum Nachdenken anzuregen, sondern auch ein wenig aus Eigennutz, damit ich künftig auf solche Fragen einfach einen Link rausgeben und mir künftig Gespräche mit immer wieder gleichem Inhalt ersparen kann. :D
Beginnen wir also mit dem wichtigsten Punkt:
Beziehungen sind vielfältig und facettenreich
Geläufiger Weise werden Beziehungen gern in Kategorien unterteilt: Familie, Bekannte, Kamerad.innen, Kommiliton.innen, Arbeitskolleg.innen, Freund.innen, Freund.innen mit gewissen Vorzügen, Liebhaber.innen, Affären, feste Freund.innen, Verlobte, Ehemenschen, … Schubladen mag ich ohnehin nicht und halte diese Kategorisierung für überholt, auch wenn sie nach außen hin oft unnötige Erklärungen zu vereinfachen scheint.
Stattdessen betrachte ich Beziehungen lieber in Komponenten. Für viele Menschen gibt es nicht die eine große Liebe im Leben. Insgesamt sind Beziehungen fließend, beispielsweise wenn man sich auf Arbeit verliebt (Wer kann einem das bei acht Stunden am Tag, die man zusammen verbringt auch verübeln?), dort eine Affäre beginnt, sich in der Folge vom Ehemensch scheiden lässt, weil die romantischen Gefühle versandet sind, aber trotzdem befreundet bleibt, weil man sich ja immer noch prima versteht, und gelegentlich Sex miteinander hat, weil er nach wie vor gut ist.
Betrachten wir die Beziehungen einmal mit Komponenten statt Kategorien: Da gibt es im Kollegium eine berufliche Komponente, je nach Vorlieben zwecks strikter Trennung von Beruf und Privatleben womöglich auch eine freundschaftliche. Wenn dann noch die romantische und sexuelle dazu kommen, verschwinden die beiden anderen aber nicht einfach; sie bleiben erhalten, wenngleich sich ihre Anteile verändern.
Darüber hinaus gibt es freilich nicht nur die heterosexuelle, monogame, monoamore Liebesbeziehung (sg.): Genauso wie Sexualität ein Spektrum ist, verhält es sich mit Beziehungen. Wir selbst entscheiden, wie wir diese gestalten und definieren. Von daher drängt sich mir die Frage förmlich auf, warum ich noch nie gefragte wurde, ob ich neue Partnerschaften (pl.) eingegangen bin oder neue Freunde (pl.) gefunden habe.
Es lebt sich auch allein ganz gut – vielleicht sogar besser
Auch wenn die kontemporäre Popkultur uns etwas anderes vorlebt: Die große Liebe im Leben zu finden, muss nicht zwingend die Lebenserfüllung sein. Im Grunde halte ich das sogar für gefährlich, denn wie gehen wir damit um, wenn diese eine, so wichtige Beziehung wegbricht, und wir nie gelernt haben, emotional sowie praktisch allein zu leben?
Machen wir uns nichts vor: Wir kennen uns selbst am besten und auch die Beziehung zum Ich ist oft schon schwierig genug. Mit anderen Menschen das Leben zu teilen, ist definitiv bereichernd, aber eben auch genau so kompliziert.
Als Anhänger der Ein-leerer-Krug-kann-kein-Wasser-verteilen-Philosphie, bin ich der Auffassung, dass ich ein besserer Beziehungspartner bin, wenn es mir selbst gut geht. Deshalb achte ich darauf, zunächst mit mir selbst im Reinen zu sein, bevor ich mich auf andere Menschen einlasse. Beziehungen stellen das Sahnehäubchen auf dem Eisbecher dar, der mein Leben ist: Mit schmeckt gut, aber es geht auch ohne, nicht jeder mag Sahne und manchmal hatte man auch einfach zu viel Sahne und braucht etwas Zeit ohne.
Der Unterschied zwischen allein sein und einsam sein liegt in der freien Entscheidung dazu. Dass man auch nur mit sich eine gute Zeit haben kann, merke ich immer dann wieder, wenn ich nach etwas Zeit allein und Raum für Reflektion viel entspannter bin oder bereichert von den Eindrücken einer Solo-Reise zurückkehre.
Warum es keinen Sinn ergibt, diese eine Frage zu stellen
Tatsächlich halte ich es nicht nur für höchst verwerflich, andere Menschen nach ihrem Beziehungsleben zu fragen. Ich sehe auch objektiv keinen Nutzen darin. Also unterlasse ich die Frage einfach. Wer will, wird sie sich schon selbst dazu äußern. Also kann man sie ruhig den ersten Schritt machen lassen. Wenn nicht, halte ich es für angebracht, etwaige Bedenken, Kommentare oder Sticheleien einfach für sich zu behalten. Unabhängig von den eigenen Vorlieben und der sexuellen Orientierung kann das Gebohre eigentlich nur Unbehagen auslösen.
Zeit allein zu verbringen, kann ganz wunderbar sein, wenn man es möchte. Wenn man gerade Sehnsucht nach anderen Menschen hat, hilft die Rumfragerei ganz sicher nicht dabei, sich besser zu fühlen. Wenn man gerade glücklich mit der eigenen Beziehungssituation ist, obliegt es einem selbst, zu entscheiden, wann und wem man dies kundtut. Aber dazu genötigt zu werden, herumzudrucksen, zu lügen, ausweichend zu antworten oder eben doch mit der Sprache rauszurücken, bessert doch niemandes Wohlbefinden wirklich.
Selbstbestimmung in der Beziehungsgestaltung
Ich möchte in einer Gesellschaft leben, wo es nur zum Thema gemacht, wie wir unsere Beziehungen gestalten, wenn dadurch ein wertschätzender, Horizont erweiternder Diskurs entsteht; wo nicht darüber geurteilt wird, welche Art von Beziehung moralisch in Ordnung ist und welche nicht, denn im Grunde ist die Lage recht klar: Wenn alle Beteiligten in ihr glücklich sind, gibt es daran nichts auszusetzen. Konstellation, Anzahl der Mitglieder und wer was darf und was nicht, sollte doch zwischen den Menschen innerhalb einer Beziehung ausgelotet und nicht von außerhalb festgelegt werden.
Als bei der Abstimmung zur gleichgeschlechtlichen Ehe seitens der Rechten als Argument verwendet worden sei, dass die Legalisierung gleichgeschlechtlicher Ehen nur ein Schritt hin zu Mehrfachehen sei, dachte ich mir: Warum denn auch nicht? Was geht es andere Menschen an, wie ich liebe? Welche Nachteile soll es geben, mehr als zwei Eltern zu haben und warum geht das rechtlich noch nicht?
Die Zeiten der negativen Gefühle, weil wir nicht in den Beziehungen leben, in denen uns andere sehen wollen, gehören der Vergangenheit an. Wir allein bestimmen, in welcher Konstellation wir uns am wohlsten fühlen – egal ob allein, zu zweit, zu mehrt oder variierend.
Wie gehst du mit der Beziehungsfrage um? Teile es gern mit uns in den Kommentaren!
Alles Liebe
Philipp
Matthias
14/02/2020 — 09:39
Lieber Philipp!
Zuerst wollte ich schreiben, dass ich es super finde, wie du im Titelbild das Regenbogenherz integriert hast – Danke dafür. ;)
Ich kann mich deinen Worten nur anschließen:
Auch ich finde es müßig, wenn man bei noch so angenehmen und schönen Gesprächen mit den Menschen, die einem nahe stehen, aber welche man doch oft leider nicht auf regelmäßiger Basis trifft (hatte ich gestern erst wieder beim Nachmittagskaffee mit einer lieben Freundin), früher oder später mit der Frage konfrontiert wird, ob man den schon wieder jemanden gefunden habe?
Tatsächlich ist es in meinem Umfeld bekannt und auch akzeptiert, dass ich nicht der Heteronorm entspreche und deshalb wird diese Frage, wenn sie überhaupt gestellt wird, meist so oder so ähnlich formuliert. Sie ruft bei mir immer als erstes eine gewisse Irritation hervor, da sie ja impliziert, dass man nach der „richtigen“ Person „suchen“ müsse und wenn man sie nicht, oder noch nicht „gefunden“ hat, sei man entweder jemand, der nicht genug „sucht“ oder, noch schlimmer, kein „vollwertiger“ Mensch, da man ja „alleine“, also Single ist. Sorry für die vielen „“ ;)
Das Thema Einsamkeit bzw. Alleine sein (und was der Unterschied ist) wird hier in einer wunderbaren Podcast-Folge von Anekdotisch Evident aufgegriffen: https://anekdotisch-evident.de/ae007-einsamkeit/
Auch wenn ich jemand bin, der meistens in Beziehungen gelebt- und diese auch sehr ausgekostet hat, so freue mich doch zurzeit (und ich kann immer nur von heute, jetzt und diesem Moment ausgehen) sehr daran, Single zu sein. Es eröffnet einem so viele Möglichkeiten das Leben so zu leben wie man das selbst möchte, eigen- und nicht durch einen Partner in Teilbereichen fremdbestimmt – wenn auch auf liebevolle Weise.
Mittlerweile sehe ich es auch als gesunden Egoismus, mich um mich selbst und meine Bedürfnisse zu kümmern, weil ich, wie du ja auch, festgestellt habe, dass ich nur so auch auf gute und angenehme Weise für die Menschen in meinem Umfeld da sein kann. :)
Das Fragen nach dem Beziehungsstatus und dergleichen vermeide ich in Gesprächen vollkommen. Wenn gerne darüber geredet werden möchte, dann sollte das von beiden Gesprächspartnern freiwillig erfolgen und kein Unbehagen bei jemandem hervorrufen. Das Leben ist, zumindest in meiner „Filter Bubble“, viel zu divers, als dass ich Beziehungen über Begriffe, oder die Anzahl der darin involvierten Personen definieren könnte, oder möchte.
In diesem Sinne einen schönen Valentinstag! :)
Liebe Grüße,
Matthias
Philipp
19/02/2020 — 21:23
Hallo Matthias,
vielen Dank für deine lieben Worte. Es freut mich zu lesen, dass ich mit der Erfahrung nicht allein bin. Das Herz habe ich Pixel für Pixel nachgefärbt. :)
Besonderen Dank auch für die Podcast-Verlinkung! Von den beiden Gastgeberinnen habe ich mich sehr verstanden gefühlt und auch gleich noch etwas Futter zur Recherche und jede Menge Inspiration bekommen.
Lieber Gruß aus Berlin
Philipp