Die Reißprobe – Ist mir das meine Zeit wirklich wert?

Voller Terminplan und viel zu wenig Zeit? Wer kennt das besser als ich… Oft genug muss ich den Rotstift ansetzen und mit dieser einfachen Methode fällt es mir äußerst leicht, die Spreu vom Weizen zu trennen und anhand meiner Prioritäten zu filtern.

Am Anfang war das Warten. Ein wenig Aufmerk- und vor allem Achtsamkeit lässt uns schnell gewahr werden, wie viel Zeit wir eigentlich damit verbringen. Meist fällt es uns auf, wenn wir davon genervt sind, beispielsweise an der Supermarktkasse oder beim Arzt. Freilich ist es eine Frage der Einstellung, denn anstatt uns panisch mit dem Handy abzulenken, übertrieben laut mit den Fingern zu trommeln, alle paar Minuten auf die Uhr zu schauen, anschließend mit den Augen zu rollen und zeitgleich aufzuseufzen, könnten wir uns auch einfach über die kleine Ruhepause im Alltag freuen. Jüngst habe ich nun eine weitere versteckte Funktion von Wartezeiten entdeckt.

Schmerz lass nach

Darauf aufmerksam geworden bin ich, als ich neulich ein Videospiel aus einem meiner liebsten Franchises anspielte. Am Anfang war die Freude auch noch groß und ich fieberte der neuen Geschichte in der doch so vertrauten (wenn auch fiktiven) Welt entgegen. Doch schon bald baute sich eine Paywall vor mir auf: Ich sollte eine Stunde warten, um in der Geschichte fortschreiten zu können. Alternativ konnte ich auch Edelsteine einsetzen, um nicht zu warten, allerdings hatte ich nicht genügend und wollte mir auch keine für Echtes-Menschen-Geld  kaufen.

Also wartete ich brav und setzte die Geschichte zu einem spätere Zeitpunkt fort. Für fünf Minuten. Dann war es schon wieder an der Zeit, entweder eine weitere Stunde zu warten oder Geld locker zu machen. So funktioniert das nämlich bei den meisten auf den ersten Blick kostenlosen Spielen und übrigens auch anderen “kostenfreien” Angeboten.

Während das eigentliche Anliegen eines kostenpflichtigen Angebots sein sollte, Pain Points für mich zu lösen, gewöhnen sich zunehmend mehr Unternehmen  an, besagte Schmerzpunkte überhaupt erst entstehen zu lassen, damit ich sie schließlich dafür bezahle, mich von diesen künstlich geschaffenen Qualen zu befreien.

Übung in Geduld?

Ich bin ein äußerst ungeduldiger Mensch. Mir wurde zwar schon mehrfach gesagt, ich hätte sehr viel Geduld mit Menschen, aber ich weiß von mir selbst, dass ich keinerlei Geduld mit technischen Gerätschaften habe. Vieles dauert eben so lang wie es dauert. Etliches braucht Zeit, um zu reifen und richtig gut zu werden. Dafür zu warten, bin ich gut und gern bereit. Dies ist zum Beispiel bei Kuchen der Fall.

Andere Dinge wiederum, das Internet beispielsweise, sind darauf ausgelegt, schnell zu sein. Ich möchte keine zwei Minuten darauf warten, dass eine Website oder eine App lädt. Mir zieht sich innerlich alles zusammen, wenn ich ein Video schauen möchte und zuvor – oder schlimmer noch: zwischendrin – ploppt eine Werbung auf. Passiert das bei einer Website, schließe ich sie meist direkt.

Jetzt stellt sich freilich die Frage, ob ich mich nicht eher in Geduld üben sollte, denn “wer geduldig ist, wird belohnt”, heißt es so oft. Für viele Fälle stimme ich dem auch zu. In Hinblick auf Digitales – sprich: das Internet, Social Media und Apps – erweist sich das jedoch oft als enttäuschend.

So auch in besagtem Spiel: Abgesehen davon, dass ich innerhalb zerklüfteter Fünf-Minuten-Intervalle überhaupt nicht wirklich in die Geschichte eintauchen kann, stellt sie sich als völlig lahm heraus. Die Bedienung des Spiels ist stupide und wiederholt sich im Grunde mit denselben Wischgesten und Tipporgien auf dem Touchscreen meines Handys. Und überhaupt sind einige Punkte überhaupt nicht durchdacht und sinnig. Erwartet jemand wirklich, dass ich dafür Geld oder gar mit meiner Lebenszeit bezahle?

Neue Währungen

Was für das Spiel gilt, trifft auf andere Angebote genauso zu: Wenn man nicht mit Geld bezahlt, tut man das eben mit etwas anderem: der eigenen Aufmerksamkeit, den eigenen Daten oder der eigenen Zeit.

Frau Dingdong hat in ihrem hervorragend rezipiertem Beitrag Die Social Media Ödnis ausgezeichnet wiedergegeben, was mich eigentlich so sehr am Internet und digitalen Inhalten stört: Sie sind nicht mehr das, was sie mal waren. Während die ursprüngliche Idee des Internets und auch von sozialen Netzwerken Austausch und maximale Freiheit war, werden alle Plattformen zunehmen stärker von Kommerzialisierung erfasst und zu Kühen gemacht, die bis zum Ableben gemolken abschließend der Resteverwertung zugeführt werden.

All diese Plattformen haben letztlich einen Zweck: Den Betreibern  möglichst hohe Gewinne zu generieren. Das geht schon mal so weit, dass man sich vor einem durch Werbung unterstützten Inhalt, überhaupt erstmal Werbung anschauen muss, um dorthin zu gelangen. Darauf habe ich keine Lust. Ich möchte meine Zeit nicht darauf verwenden, den Kontostand von anderen anzuheben. Dazu ist mir meine Zeit tatsächlich zu schade.

Aber natürlich hat das Schwert zwei Schneiden: Denn ich bekomme ja auch etwas dafür, namentlich eine Plattform zum Präsentieren meiner Inhalte. Entsprechend bin ich dazu übergegangen, besagte Plattformen schrittweise weniger zu konsumieren, sondern vordergründig zum Publizieren meiner eigenen Inhalte zu nutzen. So funktioniert das aber natürlich auch nicht, denn wo bleibt dann der Austausch, den ich doch gerade so sehr am Internet schätze?

Server und Instandhaltung kosten nun mal Geld und müssen bezahlt werden. Ohne Gegenleistung klappt es also nicht. Aber muss die Finanzierung zwingend durch Werbung erfolgen? Ich wäre gern bereit, monatlich einen geringfügigen Beitrag zu zahlen, wenn das Internet dafür wieder ein Stück werbefreier wäre. Dann aber richtig und mit einem vernünftigen Umgang mit den Urheberrechten der Schaffenden. (Deshalb ist Vero nämlich nicht das, wofür es steht: Wahrheit. Und folglich auch nicht das, wonach ich suche.)

Alternativ könnte man auch anbieten, eine Plattform gegen Arbeit an der Plattform anzubieten. Heißt beispielsweise: Bevor ich eine Video schauen darf, kontrolliere ich Kommentare auf Hass, Rassismus und Spam und melde sie entsprechend.

“Nein, Danke.” sagen

Bis es solche Plattformen allerdings gibt (ich würde sie ja selbst entwickeln, habe jedoch keine Kapazitäten dafür), bleibt mir wohl nur eins: Vor dem Aufrufen eines Beitrags, Spiels oder Videos oder während dem Betrachten einer Werbung genau zu reflektieren, ob mir der Inhalt wirklich meine Zeit wert sein wird.

Allzuoft klicke ich gedankenlos etwas an, um mich zu betäuben oder dem instrumentalisierten Flow des Internets hinzugeben. Man stelle sich vor, all diese Medien würden auf analogen Datenträger in mein Haus gebracht werden. Dann würde ich ohne Zögern Nein, Danke. sagen. Doch bei digitalen Medien? Die nehmen ja keinen Platz weg und verstopfen deshalb ganz unbemerkt mein Leben.

Dabei braucht es bei mir nur eine einfache Frage, um mich ganz schnell wieder dem Wesentlichen Dingen hinzuwenden:

Ist es mir das auch wert, wenn ich darauf warten muss?

In 99,9% der Fälle lautet die Antwort Nein und mein Geduldsfaden reißt. So funktioniert die Reißprobe, die mich hoffentlich noch den Rest meines Lebens vor Zeitverschwendung bewahren wird.

Wie gehst du mit Paywalls und Painpoints um? Zahlst du für Inhalte, die du auch kostenlos bekommen könntest oder nimmst du lieber Wartezeiten in Kauf?

Alles Liebe,

Philipp

2 Kommentare

Antworten

  1. Mit Paywalls und Co. hatte ich noch nicht zutun, aber was du schreibst, trifft es auf den Punkt. Das ist der Grund warum ich mich aus den sozialen Netzwerken rausgezogen habe. Die müssten eigentlich in Werbenetzwerk oder Geschäftemachnetzwerk umgetauft werden. Darauf habe ich keinen Bock. Da lese ich doch lieber Blogs und lasse es etwas ruhiger angehen.

    • Hallo Gabi!

      Vielen Dank für deinen Kommentar!

      Ja, so geht es mir mit sozialen Netzwerken auch und mit der Umbenennung triffst du den Nagel auf den Kopf! Es wäre auch nicht das erste Mal, dass ich diesen Schritt gehe. Was Blogs anbelangt meide ich ja auch diejenigen, wo ständig etwas aufpoppt, man solle sich doch anmelden oder die E-Mail-Adresse für den Newsletter hinterlassen. Das stört das Lesevergnügen und macht mich ganz wuschig.

      Lieber Gruß,
      Philipp

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