Vor ein paar Wochen stolperte ich über einen Begriff, der mich stutzig machte: In einer Nachricht über das Fehlverhalten eines renommierten Politikers wurde Clubhouse erwähnt. Was das wohl sein mag, fragte ich mich, wo doch alle Klubs seit Monaten geschlossen sind. Von Neugier angetrieben füllte ich meine Wissenslücke und sprang über meinen Schatten – Ein neues soziales Netzwerk mit neuartigem Ansatz? Das probiere ich mal aus! Ein Erfahrungsbericht.
Normal kennt man mich nicht als Early Adaptor. Gewöhnlich warte ich bei neuen Technologien und Plattformen erstmal ab, wie sie sich entwickeln. Kinderkrankheiten gibt es immer, viele schaffen es auch gar nicht darüber hinweg und verschwinden ruckzuck wieder von der Bildfläche. Warum sich also überhaupt die Mühe und jeden neuen Trend mitmachen? Abgesehen davon sehe ich in vielen davon auch keinen Mehrwert für meine persönliche Entwicklung. Was ist bei Clubhouse also anders, dass ich hier doch über meinen Schatten springe?
Zunächst einmal fokussiert sich das soziale Netzwerk auf den sozialen Aspekt, denn im Gegensatz zu den meisten anderen, findet hier sämtliche Kommunikation in Echtzeit in Form von digitalen Podiumsdiskussionen statt. In Hinblick auf die Medien beschränkt sich die Plattform auf Audio. Im Grunde kann man sich das wie eine Weiterentwicklung des Radios vorstellen, bei der nun alle an Beiträgen live etwas beisteuern können, wenn sie denn von der jeweiligen Moderation auf die Bühne gelassen werden. In jedem Fall kann jede angemeldete Person in selbst gegründeten digitalen Räumen selbst sprechen. Während in den Bereichen Text, Bild und Video die Demokratisierung bereits vor Jahren in Form von Blogs sowie sowie mit Hilfe von Smartphones und sozialen Netzwerken vollzogen wurde, geschieht nun ein weiterer Schritt für den auditiven Bereich. Hier gab es zwar schon längst die Möglichkeit zu Podcasts, doch diese werden in der Regel doch vergleichsweise aufwändig produziert. Für Clubhouse braucht es nur ein Gerät, dass die meisten ohnehin bereits besitzen: Das Smartphone. Ach ja, und natürlich die App sowie ein Konto auf der Plattform.
So viel zum Grundkonzept. Ganz neu ist die neue Plattform natürlich nicht. Bereits im Laufe des letzten Jahres wurde sie veröffentlicht, doch so komplett offen zugänglich gemacht, wurde sie auch noch nicht. Momentan erfolgt der Zugang nur über Einladung bereits integrierter Mitglieder oder via Warteliste. Außerdem bleibt sie vorerst Nutzenden von iOS vorbehalten. Allein diese Restriktion wirkt wie ein Wunder auf die Reputation, denn dahinter verbirgt sich etwas scheinbar Geheimnisvolles und Exklusives. Ich hatte Glück: Einem früheren Kommilitonen zum Dank rutschte ich über Nacht an die Spitze der Warteliste, sodass mir Einlass gewährt wurde. Hier sind meine ersten Eindrücke und Gedanken.
Ein ansprechendes Konzept
Die direkte Interaktion miteinander reizt mich, denn sie ist auch unmittelbar: Entweder ich erlebe den Moment live online, während ein Gespräch stattfindet oder nicht. Die Inhalte wirken auf den ersten Blick besonders. Während man von stark visuell geprägten Plattformen mittlerweile erwartet, dass dieselben Inhalte wieder und wieder recycelt werden (zumindest ich habe mich mittlerweile damit abgefunden, dass ich auf sozialen Medien keinen Mehrwert finde, und mich entsprechend daraus zurückgezogen), werden hier einfach mal Themen direkt besprochen und auf Fragen aus dem Publikum eingegangen. Toll!
Außerdem begeistert mich die Etikette der Plattform: Auf einen höflichen Umgang wird ebenso Wert gelegt wie das Auftreten mit Klarnamen. Das beugt Internettrollen und wertlosen Hasstiraden freilich vor. Wenn man das Gejammerei und Gepöbel auf den etablierten sozialen Kanälen satt hat, stellt Clubhouse eine willkommene Abwechslung dar.
Interessant finde ich auch, dass Clubhouse den Grundstein für einen Gegentrend zur allgegenwärtigen Verfügbarkeit von Inhalten legt. Stories, die nach 24 Stunden verschwinden, kennt man ja bereits von Snapchat und dergleichen. Clubhouse geht hier noch einen Schritt weiter, denn alles ist live: Schafft man es nicht zum einem Termin, gibt es keine Möglichkeit, die Inhalte auf anderem Wege nachzuholen. Das Konzept erinnert mich ein wenig an Radio- und Fernsehshows mit fixen Sendeterminen, für die man sich einen Termin zu Hause im Wohnzimmer eingerichtet hat. In Zeiten von permanent verfügbaren Mediatheken sowie orts- und zeitunabhängigem Streaming unvorstellbar, aber tatsächlich habe ich mir schon für ein paar mein Interesse weckende Beiträge einen Vermerk im Kalender gemacht.
Dennoch verspüre ich keine FOMO. Klar, einige Inhalte sind interessant. Doch ich habe mich längst damit abgefunden, nicht alles konsumieren zu können, was lediglich mein Interesse weckt. Und es kommt ja stetig neuer Inhalt nach.
Beschränkung der Begeisterung
Natürlich ist auch hier nicht alles Gold, was zunächst glänzt. Auch wenn die Plattform damit wirbt, dass es vollkommen in Ordnung sei, nebenbei anderen Tätigkeiten nachzugehen, durfte ich für mich feststellen, dass ich es gar nicht kann. Von Multitasking halte ich ohnehin nichts. Trotzdem habe ich es mal probiert. Mein Ergebnis: Außer nebenbei zu putzen, Geschirr spülen oder Teig kneten, brauche ich gar nichts versuchen. Im Büro bin ich entweder konzentriert bei der Arbeit oder lausche einem Gespräch. Stimmen im Hintergrund stören mich ebenso bei Arbeiten wie mich ebendiese vom akustischen Verständnis einer Diskussion abhalten.
Abgesehen davon bringt Clubhouse aber noch andere Beschränkungen mit: Für Menschen mit akustischer Einschränkung funktioniert eine rein audiobasierte Plattform nun mal nicht. Lösungen gäbe es einfache: Beispielsweise eine Transkription des Gesprochenen mit künstlicher Intelligenz. Was für Sprachassistenzsysteme funktioniert, ließe sich mit Sicherheit auch hier anwenden.
Mit Menschen auf Clubhouse langfristig in Kontakt zu bleiben, dürfte sich als Problem herausstellen, denn eine wirkliche Nachrichtenfunktion gibt es nicht. Die ist womöglich auch gar nicht nötig, denn wie viele verschiedene Plattformen für Nachrichten benötigen wir denn noch? Allerdings erachte ich es in Hinblick auf das Kontakteknüpfen als wünschenswert, nicht alles in einem Audiogespräch klären zu müssen. Man könnte dies freilich als “Konzept mit Konsequenz bis ins letzte Detail” bezeichen… Die Verknüpfung auf andere etablierte soziale Medien mag da Sinn ergeben, aber eben diese meide ich ja.
Trotz der oben angesprochene Beschränkung auf iOS und das Einladungssystem sind viele üblicher Weise auf sozialen Netzwerken bekannte und erfolgreiche Größen auch auf Clubhouse schon wieder dabei. Selbst Leute einladen möchte ich nicht, weil ich dafür mein komplettes Kontaktbuch freigeben müsste. Das halte ich datenschutzrechtlich und moralisch nicht für vertretbar. Das verstärkt meines Erachtens elitäre Strukturen, statt unbekannten Köpfen den Weg zu ebnen. Womöglich kam ich dafür schon wieder zu spät, denn wer auf YouTube ein großes Publikum verzeichnet, wird auch auf Clubhouse tendenziell mehr Follower finden. Dann frage ich mich schon, ob diese Plattform denn wirklich so anders ist als die bereits etablierten?
Der Reiz des Neuen
Noch, ja. Doch es zeichnet sich für mich bereits schon wieder ab, dass ich auf Dauer keine Lust darauf haben werde. Dafür gibt es im Wesentliche drei Gründe:
- Noch gibt es auf Clubhouse keine geschaltete Werbung, mit der die Plattform selbst Geld verdient. Doch viele Mitglieder nutzen die Plattform bereits jetzt, um ihre eigenen Produkte (oft sind sie selbst das Produkt) zu bewerben, anstatt zu anregenden und sinnstiftenden Diskussionen beizutragen. Warum sollte ich mich in meiner wertvollen Zeit freiwillig Werbung aussetzen?
- Obwohl erst ein kleiner Teil der Bevölkerung angemeldet ist, bemerke ich bereits wieder den Trend von Quantität über Qualität. Im Falle von Clubhouse zeichnet sich das durch inhaltlichen Müll ab, der zum Besten gegeben wird. Was soll das erst werden, wenn noch mehr Menschen Zugang erhalten? Welche Algorithmen wählen dann aus, dass ich interessante Podiumsdiskussionen angezeigt bekomme, anstatt Quatschveranstaltungen? Wie sonst bewirken die Betreibenden, dass ich möglichst viel Zeit auf ihrer Plattform verbringe?
- Bringt mich die Zeit auf der Plattform in irgendeiner Weise meinen Zielen näher? Anregende Gespräche schätze ich wert. Doch was bleibt am Ende? Die Inhalte zumindest schon mal nicht. Dafür hält sich der Arbeitsaufwand im Vergleich zu Podcasts auch wesentlich in Grenzen. Über allzu viel Zeit, die ich in in die App zu investieren könnte, verfüge ich ohnehin nicht. Ehrlich gesagt graut mir vor der weiteren Zerstreuung meines Fokus, wo ich doch meine Ziele gerade erst so klar formuliert habe.
Eine gefestigte Meinung über Clubhouse konnte ich mir also noch nicht schaffen. Allen Bedenken zum Trotz habe ich mich dennoch dazu entschieden, der Plattform eine Chance zu geben. Denn zumindest stört mich keine der Schattenseiten so sehr wie bei anderen sozialen Netzwerken.
Wie stehst du zu neuen sozialen Netzwerken? Gibst du ihnen eine Chance oder vertrittst du eher die Meinung, dass es bereits jetzt mehr als nötig gibt?
Alles Liebe
Philipp
Nicole
10/02/2021 — 07:37
Guten Morgen Philipp,
ich stehe dieser neuen Plattform etwas kritisch gegenüber.
Die eigentliche Idee dahinter finde ich gut – eine Plattform für den direkten Austausch / Podiumsähnlich, ggf. auch mit “Experten” zu einem bestimmten Thema.
Was ich jedoch nicht gut finde, und was mich auch “abschreckt”, ist zum Einen die Voraussetzung von iOS (damit bin ich eh schon raus…), aber auch die Tatsache nur über Warteliste / Einladung “aufgenommen” zu werden.
Warum nicht eine begrenzte Anzahl von Teilnehmern pro Diskussion, aber unabhängig von Endgerät und sozialer Vernetzung? So bleiben möglicherweise interessante Beiträge, nützliches Fachwissen verborgen, einfach, weil die Personen vielleicht auch keine Lust haben, um die Aufnahme “betteln” zu müssen. Hat man ja auch nicht nötig. Warum soll ich bitte, bitte machen, damit andere ggf. von meinem Wissen profitieren? Natürlich könnte man argumentieren, dass man selber ja auch von dem Wissen anderer profitiert, aber findet man da nicht ggf. auch andere Quellen? Quellen, die zugänglich sind, ohne sich “zu qualifizieren”?
Lieben Gruß,
Nicole
Philipp
11/02/2021 — 04:57
Hallo Nicole,
diese Bedenken teile ich durchaus auch. Ohne die Menschen hinter der App in Schutz nehmen zu wollen, kann ich mir schon vorstellen, wie es dazu kommt, dass man nicht direkt komplett offen zugänglich ist: Als kleines Team fokussiert man sich zunächst auf die Entwicklung der App für ein Betriebssystem (wahrscheinlich das, welches man selbst verwendet). Als kleines Unternehmen begrenzt man zunächst den Zugang, um zu vermeiden, dass der Ansturm auf die App mehr Kapazitäten erfordert, als zur Verfügung stehen. Das betrifft bei Online-Apps natürlich insbesondere die Serverkapazitäten. Also beschränkt man, wer alles Zugang zur App hat, beispielsweise indem jede Person zunächst nur zwei weitere Personen auf die Plattform einladen darf.
All das soll verhindern, dass ein Schneeballeffekt eine Lawine auslöst, die man als Unternehmen nicht stemmen kann. Zumindest das Zuhören könnte auch ohne Account mit Klarnamen gewährt werden. Auch eine browserbasierte Lösung halte ich für denkbar, um Menschen ohne Smartphone den Zugang zu erleichtern. Meines Wissen arbeitet das Unternehmen gerade daran, eine App für Android zu entwickeln und rüstet sich technisch für einen “offenen” Zugang aus. Das kostet natürlich auch alles Zeit und Geld. Momentan wird allerdings auch noch nicht ersichtlich, wie das Geschäftsmodell der Plattform aussehen wird, um die Investitionen zurückzuerwirtschaften. Gerade in Hinblick auf offene Podiumsdiskussionen fände ich diese Idee sehr passend in Kooperation mit Wikipedia – dem Sinnbild für offen zugängliches Wissen schlechthin. Vielleicht nennt sich das dann Wikipodia oder Wikiforum? :D
Lieber Gruß
Philipp