Bio, Fair Trade, Nachhaltigkeit, Veganismus und Zero Waste liegen im Trend. Dass haben mittlerweile auch große Unternehmen erkannt und richten ihre Produktpaletten auf eine wachsende Zielgruppe aus. Leider halten die Produkte nur selten, was sie auf den ersten Blick versprechen.
Obwohl ich im Grunde jede Woche dieselben Produkte und meist auch in derselben Menge erwerbe, was meinen Alltagsverbrauch anbelagt, schlendere ich beim Einkaufen gern durch den Markt und schaue, was es Neues im Sortiment gibt – sowohl in Deutschland als auch in anderen Ländern auf Reisen. Das eine oder andere Mal entdecke ich dabei neue Lieblingsprodukte.
Meine Anforderungen erscheinen mir zwar gar nicht so hoch (biologisch nachhaltig, fair gehandelt, palmölfrei, plastikfrei, vegetarisch/vegan und zuckerzusatzfrei), sondern eher als sollten sie der Mindeststandard bei sein. Die Realität sieht leider anders aus, wie ich immer wieder feststellen darf: Für viele Produkte ist zumindest eines der Kriterien nicht erfüllt. Umso mehr freue ich mich, wenn ich Produkte entdecke, die etwas anders machen als es üblich ist.
Exemplarische Euphorie und Enttäuschung
So auch beim abgebildeten Deckel einer Tube Handcreme im Bio-Supermarkt: Auf den ersten Blick geriet ich außer mir vor Begeisterung, dass endlich jemand auf die Idee kommt, statt Kunststoff einen Holzdeckel zu verwenden, der sich anschließend kompostieren lässt. Toll! Neugierig um die Art des Gewindes, das sie im Inneren verwenden, schraube ich den Deckel ab und Ernüchterung macht sich breit: Das Gewinde ist aus Plastik und wenn man es genau nimmt, hätte es dann auch nur der Plastikeinsatz getan, denn im Prinzip ist das bereits ein vollständiger Deckel, der den Holzdeckel überflüssig macht.
Ebenso herbe enttäuscht wurde ich einmal von einem Obstgeschäft meines Vertrauens, das unter anderem Himbeeren im Pappkarton verkaufte. Entsprechend tätigte ich dort bevorzugt Einkäufe, schließlich will Engagement gegen unnützen Müll unterstützt werden. Die Begeisterung wich, als ich eines Tages beobachten musste, wie Angestellte im Hinterzimmer Himbeeren einzelnen aus je zwei kleinen Plastikschachteln in einen Pappkarton umschlichteten. Welch Verschwendung!
Als ich in einem konventionellen Supermarkt eine einzelne Packung Toilettenpapier in Papier verpackt vorfand, die jemand achtlos hatte stehen lassen, geriet ich zuerst in Verzückung. Dann wollte ich den Preis herausfinden und begab mich auf die Suche nach dem Regal. Dort angekommen wurde die Ilussion direkt wieder zerstört: Während die vier Rollen jeweils in Papier verpackt waren (beim doppelten Preis eines herkömmlichen in Plastik verpackten Recylcingpapiers), lagen die zu Bündeln von je acht Packungen aufgestapelten Pakete dennoch in Plastik umwickelt im Regal und führten das Konzept gänzlich ad absurdum.
Grüner Schein lohnt sich
Diese drei alltäglichen Beispiele von vielen zeigen die Kernprobleme von grünem Konsum auf:
- Produkte werden als nachhaltig verkauft, auch wenn sie sogar weniger nachhaltig als herkömmliche Produkte sind.
- Geschäfte unternehmen zusätzliche Bestrebungen, um grüner zu erscheinen, als sie es tatsächlich sind. Der tatsächliche ökologische Fußabdruck wird dabei oft verschleiert, ohne dass es die Kundschaft mitbekommt.
- Scheinbar grünere Produkte werden zu höheren Preisen angeboten, weil Unternehmen bewusst ist, dass die Zielgruppe Öko bereit ist, für Qualität und Nachhaltigkeit tiefer in die Tasche zu greifen. Dieser höhere Preis kommt aber nur bedingt der Umwelt zu Gute.
Die Ursachen all dieser drei Probleme lassen sich auf zwei begrenzen: Erstens werden viele (schein-)grüne Produkte nicht hergestellt, weil sie besser sind, sondern weil sie mehr Profit abwerfen. Zweitens sind sie teurer als konventionelle, weil sie in der Herstellung mehr kosten, während konventionelle weniger Kosten, als sie eigentlich an Schaden anrichten.
Besonders abstrus wird dies durch die Tatsache, dass für Kundschaft derzeit nur selten ersichtlich ist, wie umweltfreundlich ein Produkt tatsächlich ist. Verblüfft war ich neulich, als ich biologisch abbaubare Zahnseide erworben habe, derer Plastikbehälter auch kompostierbar sein soll. Nach dem Auspacken entdecke ich das Siegel für Polypropylen auf besagtem Kunststoff. Ist es nun biologisch abbaubar oder nicht? Wie soll ich es überprüfen können? Einen Kompost habe ich in Berlin nicht. Die Lagerzeit von Biomüll reicht gewöhnlich nicht.
Kein Wunder also, dass Unternehmen Greenwashing betreiben können, ohne dass ihnen irgendwer auf die Schliche kommt. Wer hat schon die Mittel, um nachvollziehen zu können, was wirklich in Produkten steckt? Siegel sollen Abhilfe schaffen, aber wie regelmäßig und gewissenhaft fallen Prüfungen von Betrieben aus? Dieser Artikel von Utopia gibt beispielsweise einen Überblick über Biosiegel, allerdings ändert es an der Grundsituation nichts: Wir können nicht alles selbst überprüfen.
Das sollte jedoch kein Anlass sein, nicht weiterhin Kontrollen durchzuführen und biologisch nachhaltig erzeugte Produkte zu erzeugen. Denn auch wenn es immer wieder negative Ausnahmen gibt, leisten Biosiegel nach wie vor höhere Standards als konventionelle Produkte.
Zweifelhafte Preispolitik
Die tatsächliche Frage ist jedoch, wer dafür bezahlen soll. Bio-Bananen aus Ecuador gibt es ganzjährig für 2€/kg. Diese sind zweifelsohne besser als konventionelle Bananen. Hiesige Äpfel können da aber nicht mithalten, obwohl sie nicht um die halbe Welt geschifft werden. Da scheitert das System, denn eigentlich sollten Bananen doch teurer sein, wo deren Import mehr Treibhausgase verursacht.
Es gibt immer jemanden, der den vollen Preis bezahlt: Entweder wir, wenn wir nachhaltige Produkte erwerben. Oder diejenigen, die unter der Produktion konventioneller Produkte leiden – Menschen wie Natur. Bei letzterem zahlt die Kundschaft weniger Geld, der zwar als Normalpreis wahrgenommen wird, jedoch nicht den tatsächlichen Kosten entspricht.
Das zeigt sich unter anderem auch gravierend bei herkömmlicher Pasta in Plastik für 0,45€, während Bio-Pasta in Papier 2,45€ (also fünf Mal so viel) kostet. Zu Recht werden jetzt einige sagen, dass es zwar das Richtige sei, möglichst müllfrei und ökologisch nachhaltig zu kaufen, man es sich auf Dauer aber nicht leisten könne. Fraglich ist allerdings auch, wie lang wir es uns als Teil dieses Planeten leisten können, nicht nachhaltig zu wirtschaften – im ökologischen wie im finanziellen Sinne. Denn mal ehrlich: Wie pervers ist es, dass sich heute ein Großteil der Bevölkerung Reisen und alle paar Monate neue Technikprodukte leisten, aber nicht genug Geld übrig haben, um nachhaltige Nahrung zu erwerben? Dann bleibt es eine Frage der eigenen Priorität.
Natürlich trifft das nicht auf alle zu, denn manche Menschen können weder noch finanzieren. Und hier ist dann eben doch die Politik gefragt: Solang es Menschen gibt, die dauerhaft nicht ausreichend Geld zur Verfügung haben, um nachhaltig zu konsumieren, ist unsere Gesellschaft an sich nicht nachhaltig.
Bei allen Schattenseiten großer Konzerne, bin ich dann in dieser Hinsicht doch froh, dass es Bioprodukte auch in Supermarktketten schaffen, denn machen wir uns nichts vor: Wahrscheinlich werden hier mehr Menschen erreicht.
Was ist mir wichtiger?
Ich gehöre zu denjenigen, die dann doch die Pasta für 2,45€ kaufen, weil sie es für die richtige Entscheidung halten. Als Konsument übe ich mit meinen Kaufentscheidungen eine gewisse Macht aus. Natürlich genügt das allein nicht – es braucht für einen Wandel mehr Menschen.
In Hinblick auf meinen Sparplan schaue ich natürlich immer wieder nach links und rechts und frage mich, ob ich nicht doch lieber die günstigere Pasta kaufen sollte, vielleicht zur Abwechslung Bio aber in Plastik? Oder eben doch nur Bio für tierische Produkte? Doch dann erinnere ich mich auch, dass konventionelle, wenn auch pflanzliche Produkte ebenso schädlich sind, beispielsweise wenn durch den Einsatz von Pestiziden die heimische Fauna zerstört wird, worunter letztlich auch wieder wir leiden werden.
Dafür mache ich eben an anderer Stelle Abstriche, habe nicht alle zwei Jahre ein neues Handy, shoppe nicht jedes Wochenende neue Kleidung oder investiere blind Geld in konventionelle Marken. Bei letzteren zweifle ich den Mehrwert übrigens an: Marken sollen für Qualität stehen. Aber warum soll ich mehr Geld in eine Marke gegenüber dem Discount-Produkt investieren, wenn es dann nicht mal nachhaltig produziert ist? In letzterem liegt doch die wahre Qualität – nicht im Aufdruck eines Logos.
Hier lässt sich Minimalismus und der Fokus aufs Wesentliche wieder einmal prima anwenden: Denn wenn wir alle etwas weniger und dafür “besser”, sprich: nachhaltiger, konsumieren, ist bereits ein großer Schritt getan.
Wie stehst du zu grünen und scheinbar grünen Produkten? Fester Bestandteil oder überteuert? Und wie bringst du dein Gewissen und deine finanziellen Interessen in Einklang? Schreib es gern in die Kommentare!
Alles Liebe
Philipp
Julian
08/04/2020 — 22:36
Lieber Philipp, toller Beitrag und leider sehr wahr. Es ist für uns Konsumenten heute unmöglich, nachzuvollziehen, welchen absurden Weg die Nahrung, Kleidung und Elektronik bis hin zu uns genommen hat. Bis hin zum Kopfzerbrechen! In Zeiten von Ausgangsbeschränkungen bleibt in meinem Fall umso mehr Raum fürs Kochen, wo sich diese Fragen besonders beim Einkaufen jedesmal aufdrängen. Und gerade im Biomarkt des Vertrauens glänzt hier die Doppelmoral: natürlich sind Avocados in bio Qualität besser für die Anbaugebiete, auch für die Bauern. Meist kommen Biomärkte mit weniger Plastik aus oder sie fördern nachbaufähiges Saatgut und fairen Handel – doch bleiben dabei viele Produkte reiner Luxus, der mit grünem Gewissen leicht als unbedenklich verklärt wird.
Im DLF kam heute früh ein Hochschulprofessor als Wachstumskritiker zur Sprache. In Bezug auf die wirtschaftliche Krise als Folge der Corona Pandemie hatte er sich bei der Moderatorin mit den Worten „wer nicht hören/lernen will, muss fühlen“ unbeliebt gemacht. Sie stellte einen Bezug zwischen seinen Worten und den Opfern von Covid-19 her. Der Professor erklärte sich daraufhin genauer: gemeint war die Menschheit als Ganzes, die sich schon so lange aufgeklärter gibt, als es ihr tatsächlicher Kurs anlässlich ökologischer Katastrophen vermuten lässt. Er mahnte an, dass Corona nur eine der Wirklichkeit gewordenen, möglichen Variablen in der Gleichung einer schadhaft gewachsenen Globalisierung sei. Es hätte auch eine Krise um Verknappung von Mineralöl an diese Stelle treten können, um die Fehler in der Logik des ungebremsten Wachstums zu entfesseln – oder die viel besprochenen Folgen des Klimawandels. Um jetzt nicht noch weiter auszuholen: bei dem Kernthema deines Blogeintrags, dem grünen Schein, und all den schwierigen Entscheidungen im Bemühen um ein „nachhaltiges Leben“ stellt sich für mich (wenn ich wieder grübelnd vor den Avocados stehe) oft diese einfache Formel als zielsicher dar: kauf um die Ecke und von um die Ecke :-) dabei stelle ich fest: ich hab in Köln noch keine Avocados gesehen…
Philipp
09/04/2020 — 21:02
Hallo Julian,
schön von dir zu hören. :)
Der Argumentation des Professors kann ich sehr gut folgen: Bei all den möglichen Szenarien, die uns widerfahren könnten, ist es doch verwunderlich, dass uns als Menschheit nicht schon viel früher etwas in diesem globalen Ausmaß zugestoßen ist. Ehrlich gesagt bin ich auch überrascht, dass sich Corona nicht noch viel schneller ausgebreitet hat, wo unsere Welt doch so globalisiert ist und täglich Millionen von Menschen via Flugzeug Landes- und Kontinentalgrenzen überqueren. (Naja, zur Zeit ja glücklicherweise weniger…)
Deinen Ansatz der Regionalität finde ich ich prima, auch wenn es bedeutet, dass wir uns selbst dafür einschränken. Denn wenn wir ehrlich zu uns selbst sind, ist Regionalität schon längst nicht mehr, was es mal war: Früher fasste man als Region vielleicht einen Gebiet mit 50km Durchmesser auf. Heute wird etwas im Supermarkt auch dann gern als regional verkauft, wenn es aus dem südwestlichen Baden-Württemberg stammt, obwohl man sich gerade in Berlin befindet. Wenn ich dann auf meinen Speiseplan schaue, finden sich doch einige Exoten wieder – auch abseits vom Evergreen Bananen, namentlich Cashew, Kakao, Mandeln, Reis, Tee, … Da kann ich auf jeden Fall noch an mir arbeiten.
Lieber Gruß aus Berlin
Philipp
Julian
09/04/2020 — 21:31
Hallo Philipp, Du hast schon recht – wo regional aufhört, wird weit gefasst. Wir haben hier eine regionale Gemüsekiste abonniert, das ist toll und vor allem geschmacklich wirklich, wirklich gut! Kohlrabi kann ja so lecker sein ;-) Aber man darf sich dann im März auch nicht über 5 Stangen Porree auf einmal beschweren..
Ich denke neben aller „Regionalität“ ist die Tatsache, dass wir hierzulande Reis, Cashews oder Bananen essen können, eine echte Errungenschaft, die wir nicht komplett aufgeben müssen. Es geht um‘s Maß.. wie immer scheinbar. Dann mal alles Gute Dir weiterhin!
Philipp
13/04/2020 — 11:56
Ja, diese Errungenschaften möchten wir ja auch gar nicht aufgeben. ;) Das richtige Maß dabei gilt es für einen Großteil von uns noch zu erlernen.
Dir auch schöne Feiertage!