Heute habe ich ein gute, eine schlechte und eine relativierende Nachricht.
Ich bin mal so kühn und behaupte, dass du den obigen Satz in der letzten Woche entweder gehört oder selbst gesagt hast. Ich persönlich kann beides bejahen. Solch abgedroschenen Phrasen haben leider einen riesigen Haken: Ihre eigentlichen Bedeutungen gehen uns verloren. Die Tatsache, dass wir diesen Satz in nahezu jeder Situation völlig falsch zu verwenden, setzt dem schließlich noch die Krone auf. Was sind also die drei Nachrichten?
Die gute zuerst
Wenn ich das Thema zunächst möglichst objektiv betrachte, fällt mir auf, dass Menschen zwar unterschiedlich lang leben, jedoch gewisse Gesetzmäßigkeiten für alle gleich gelten. Eine davon ist die Dauer eines Tages. Wir bekommen alle täglich etwa 86400 Sekunden. Zu jeder dieser kleinen Zeiteinheiten entscheide ich selbst, wofür ich sie verwende und könnte mich theoretisch entscheiden, sie anders zu verbringen. Oft tue ich das jedoch nicht.
Stattdessen lasse ich ungeachtet eine Sekunde nach der anderen verstreichen, indem ich Tätigkeiten aus Gewohnheit verrichte, ohne zu reflektieren, ob das gerade zielführend ist, was ich da eigentlich tu. Für ein Ziel bedarf es einer Richtung. Wenn ich mich also nicht selbst ausrichte, rieselt die Zeit wie ein Strahl aus Sandkörnern ins Leere.
Folglich sollte dieser Satz meiner Meinung nach gar nicht existieren, denn wir haben alle Zeit. Wir müssen uns nur entscheiden, wie wir sie verbringen wollen.
Nun die schlechte
Eine Möglichkeit, diese schwerwiegende Entscheidung wieder und wieder zu fällen, ist mit Hilfe von Priorität. Oft wird davon auch gern im Plural gesprochen, obwohl es den nicht geben dürfte. Denn das Wort selbst ( Latein prior = der Vordere) gibt her, dass da nur eine Sache stehen kann. Bildlich gesprochen: Sobald die vorderste Person in einer Schlange hinter einer anderen steht, ist sie nicht mehr die vorderste.
Wenn ich nun auf meine Realität blicke, stelle ich fest, dass ich ohnehin nur eine Sache gleichzeitig tun kann, genauso wie eben nur eine Person die vorderste in einer Schlange ist. Die Wissenschaft belegt, dass das sogar sinnvoller ist, auch wenn wir stets versuchen, so viele Dinge wie möglich in einen Moment zu pressen.
Entsprechend hilft mir die Frage: Was ist gerade das Wichtigste, das ansteht? Diese eine Sache bekommt von mir täglich ein Krönchen aufgesetzt. (Ja, ich zeichne tatsächlich ein Krönchen neben diese Aufgabe in mein Bullet Journal.) Und diese Aufgabe erledige ich dann zuerst.
Doch was ist daran schlecht?
Wenn wir in Betracht ziehen, dass es keine Menschen ohne Zeit gibt und über Priorität nachdenken, dürfte uns wie Schuppen von den Augen fallen, dass die Aussage “Keine Zeit” eigentlich bedeutet: Keine Priorität. Oder mit anderen Worten: Gerade nicht wichtig. Das gilt für Aufgaben wie menschliche Beziehungen gleichermaßen und kann uns helfen, unser Leben von Ballast zu befreien. Es kann aber auch verletzen, beispielsweise wenn wir anderen Menschen mitteilen, dass sie momentan keinen Platz in unserem Leben haben.
Wo ist da noch Raum für Relativierung?
Ich habe mich diese Woche für meine Priorität entschieden: Wir hatten Abschlusswoche vom Semester und damit einhergehend sollten unsere Semesterprojekte vorgezeigt werden. Ich wusste bereits zu Beginn von Tacheles, dass es zeitlich eng werden könnte, alles unter einen Hut zu bekommen. Diese Woche habe ich beschlossen: Wo ist Philipp? liegt mir am Herzen, ist aber nicht meine Priorität. Entsprechend habe ich gehandelt und habe die angekündigten Beiträge einfach links liegen lassen. Das tut zwar weh und mir Leid, ist aber auch eine befreiende Erfahrung, weil ich eine Verpflichtung spürte, wo keine sein sollte, denn dieser Blog ist immer noch ein Privatprojekt. Und so wirklich schaden tut es auch niemandem, wenn mal kein Beitrag von mir kommt. (Oder?)
Zurück zur Relativierung: Da uns allen nur begrenzt Zeit zur Verfügung steht und wir Abstriche machen müssen, sortieren wir oft auch automatisch aus. Beziehungen, die an Bedeutung verlieren, verlieren sich oft auch im Alltag. Aufgaben, die doch nicht wichtig sind, bleiben auf der Strecke. Und trotzdem fühlen wir uns oft erdrückt von all dem, was scheinbar zu tun ist. Dabei gibt es ein einfaches Gegenmittel.
Ich habe mal ein Sprichwort gelesen, das besagte:
Die mangelnde Richtung eines Schlages kann nicht mit Kraft ausgeglichen werden.
Zuerst muss ich also einmal wissen, wo ich eigentlich hin will. Habe ich das für mich erkannt, kann ich alles durch eine simple Frage aussieben:
Bringt mich das näher an mein Ziel?
Wenn ja: Go for it!
Sonst: 🚮
Das Leben kann so einfach sein.
Wie gehst du an Aufgaben heran? Wie sortierst du aus? Und wo liegt deine Priorität? Schreib es mir!
Alles Liebe,
Philipp
Nicole
12/02/2018 — 15:49
Hallo Philipp,
erst einmal ein großes Lob. Die Rubrik Tacheles gefällt mir sehr gut und auch das Thema, dass du hier aufgreifst “Zeit” finde ich super spannend. Ich hatte mich ja auch damit auseinander gesetzt, habe es aber irgendwie nicht so gut rüber bringen können. Hier kommt meine Selbstkritik durch.
Die ständigen Aussagen “Ich habe keine Zeit für dich” hasse ich. Ich bekomme es von diversen Leuten sehr häufig zu hören, Personen, die ich eigentlich für Freunde halte. Und da fängt es an in meinem Kopf zu arbeiten. Wie kann es sein, dass ein FREUND keine Zeit für dich hat? Heißt es nicht (wie du auch schreibst), dass ich keine Priorität für ihn bin? Ich will um Gottes Willen niemals sagen oder verlangen, dass ich für irgendjemanden immer die oberste Priorität bin und für mich alles stehen und liegen gelassen wird. Das geht nicht und das will ich nicht. Ich bin aber durchaus der Meinung, dass man für Dinge und Personen, die einem wichtig sind, die nötige Zeit findet oder sich einfach nimmt. Einfach, weil diese Sache und/oder Person dann Priorität hat. Die Tatsache, wenn jemand über einen längeren Zeitraum keine Zeit findet – ohne ersichtlichen Grund, wie z.B. längerer Aufenthalt im Ausland, Projektarbeit,… – fange ich oft an persönlich zu nehmen.
Ich kenne dieses Zeitproblem aus welchen Gründen auch immer nicht. Ich schaffe es durchaus meine Termine, meine Pflichten und nicht zuletzt auch meine Freunde zeitlich immer unterzubekommen. Auch ohne Stress für mich. Vielleicht muss das ein oder andere einen Tag länger warten, aber ich möchte behaupten, dass es immer zeitgerecht erfolgt. So schaffe ich es im Privaten als auch im beruflichen. Ich höre so oft von Kollegen, dass sie dies oder das nicht schaffen.
Ich weiß nicht, was ich anders mache, anscheinend richtig mache. Aber ich kenne das Problem nicht. Umso schwerer fällt es mir Verständnis für eine dauerhafte Entschuldigung “Ich habe keine Zeit” aufzubringen…
Ich freue mich auf deine weiteren Beiträge.
Lieben Gruß
Nicole
Philipp
14/02/2018 — 06:33
Hallo Nicole,
wow, vielen Dank! Es freut mich, dass Tacheles so gut ankommt. :)
Das Rattern in deinem Kopf kann ich total gut nachvollziehen, denn ich kenne beide Seiten von mir selbst. Ich möchte mir Zeit nehmen für die Beziehungen, die mir wichtig sind. Gleichermaßen habe ich auch Freunde, die ich noch immer nicht in ihrer neuen Wahlheimat besucht habe, obwohl ich mir das schon so lang vorgenommen habe. Zeit bekommt man nicht, man kann sie sich nur nehmen.
Allerdings habe ich irgendwann erkannt, dass ich auch für Beziehungen zu anderen Menschen nicht unendlich viel Zeit habe. Entsprechend kann ich auch hier nur priorisieren. Bei vielen Beziehungen ergibt sich das ganz organisch und sie verblassen von selbst.
Außerdem ist da natürlich auch Vorsicht geboten: Ich bin selbst jemand, der sich stets um das Aufrechterhalten einer Beziehung bemüht. Wenn ich allerdings erkenne, dass das Interesse daran nur von einer Seite aus besteht, ziehe ich die Reißleine. Eine gesunde Beziehung kann keine Einbahnstraße sein.
Lieber Gruß,
Philipp
Tanja Heller
13/02/2018 — 07:43
Hallo Philipp,
ich frage mich immer, hab ich mich in den ersten 3 Sekunden gefreut über eine Sache. Z. B. einen Textauftrag. Sonst mache ich das nicht. Also da genau auf mein Gefühl achten. Oder dachte ich, keine Lust auf den Besuch? Das Event? Das Interview :)) ? Oder genau das Gegenteil? Ich habe mich gefreut. So unterscheide ich Wichtiges von Unwichtigem. Nach den 3 Sekunden kommt sonst die Bewertung und verwässert das. Ich müsste ja …
Das mit der Krone ist ja süss!
Mit Zeit habe ich ein anderes Problem. Bin oft zu lange in einer Situation, die mir nicht mehr gut tut. Deshalb muss ich mich auch zwingen, meine runtergerockten Sachen regelmäßig wegzuwerfen weil längst neue da liegen, die angenehmer zu tragen sind. Neu-gierig bin ich wirklich nicht. Mein Tablet lag ein paar Monate unberührt herum.
Ich kann in Zeit gut versinken. Alles Tun ist Meditation. Schalte da geistig sehr ab. Ich bin bei Gartenarbeit z. B. völlig entspannt und deshalb null zu erschrecken. Vergesse da die Zeit.
Gute Selbstfürsorge ist meine Priorität Projekte, die.mir Spaß machen und Sinn ergeben und mit denen ich Geld verdiene. Viel Nichtstun und Musik hören. Eine Sache am Tag, die ich nicht gerne tue. Dinge abkürzen oder weglassen. Nicht mit Ärgern Zeit verbringen. Schnell eine Lösung finden. Gibt’s halt extra Gesangsstunden bei dem Schauspieler in der Straße, weil meine Tochter zu hoch spricht für den Beruf. Wir erinnern uns an das Zitat von Cluesos Manager. Alle Ressourcen sind vor Ort. Ich mag das auch.
Lg Tanja
mit nur noch 2 Jacken
Philipp
14/02/2018 — 06:38
Hallo Tanja,
das 3-Sekunden-Prinzip finde ich prima! (Und habe habe beim Lesen direkt an das Interview gedacht – vielen Dank! :)) Ich habe daran gerade überprüft, wie ich mich mit ein paar Situationen in den letzten Wochen gefühlt und verhalten hatte, und festgestellt: Mit diesem Prinzip hätte ich mir das Leben um Einiges leichter machen können!
Ich finde auch, dass Meditation sehr viele Facetten hat. So empfinde ich beispielsweise Bügeln, Abwaschen, Kochen und Backen als äußerst meditativ.
Lieber Gruß,
Philipp