Auch ohne regelmäßigen Konsum von Nachrichten, in denen sich die Meldungen über Preissteigerungen überschlagen, bekommen wir es mit: Alles wird teurer – unaufhaltsam und schonungslos. Da kann schnell der Eindruck entstehen, dass alles nur noch schlimmer wird. Ein Beitrag über Licht in der dunkelsten Zeit des Jahres.
Mogelpackung Zartbitterkuvertüre
Wie jedes Jahr, es hat gewissermaßen schon Tradition, bin ich entgegen meiner Vorsätze aus dem Vorjahr mal wieder äußerst spät dran mit der Plätzchenbäckerei. Bis vergangene Woche hatte ich noch nicht einmal alle Zutaten beisammen. Und obwohl ich es eigentlich Jahr für Jahr einfach halten möchte, um mich nicht unnötig zu stressen, komme ich beim Einkauf nicht umhin, den einen oder anderen Blick auf die Rückseite von Verpackungen zu werfen.
Im Alltag bin ich das ja ohnehin gewohnt, weil ich gern weiß, was in den Lebensmitteln steckt, die ich verarbeite und zu mir nehme. Gern greife ich deshalb zu mir bereits etablierten Produkten, denn da weiß ich, was ich bekomme. Zumindest möchte ich das denken. Denn – Überraschung – mal wieder erweist sich als erprobt, dass Kontrolle besser ist als Vertrauen. Vergangenes Jahr war ich noch froh darüber, eine erschwingliche vegane Zartbitterkuvertüre zu finden, die zumindest Fairtrade-Standards erfüllt. Warum vegan, obwohl ich selbst gar nicht vegan lebe? Aus Prinzip: Bei Zartbitterkuvertüre gibt es keinen Grund, “billige” Milchprodukte beizumengen.
Heuer greife ich also zur selben Sorte und der Blick auf die Rückseite offenbart: Hier wurde ordentlich gespart. Während letztes Jahr noch 200g in der Packung enthalten waren, sind es nun nur noch 150g. Entsprechend eine Ersparnis für herstellenden Betriebe von sage und schreibe 25%. Das merkt man aber nur, wenn entweder genau hinsieht und liest oder die Kuvertürebarren einmal ans Ende der Packung drückt. Dabei fühlt man nämlich mit den eigenen Händen, dass die Verpackungsgröße dieselbe geblieben ist und einfach weniger drin ist.
Von diesem Prinzip hört man in letzter Zeit häufiger und hat bereits ein treffendes Kofferwort erfunden: Shrinkflation. Doch damit nicht genug, denn der Preis ist auch nicht derselbe geblieben, sondern um über 27% im Vergleich zum Vorjahr gestiegen. Diese Jahr zahle ich also 127% des Preises für 75% der Ware. Summa summarum eine Preissteigerung von über 69%.
Da hört der Erfindungsgeist der Lebensmittelkonzerne allerdings noch nicht auf. Ein weiterer Blick auf die Zutatenliste offenbart mir: Das ist nicht mal mehr dasselbe Produkt.
Das Produktionsunternehmen hat heimlich die Rezeptur abgeändert. Mit einer fragwürdigen “verbesserten Rezeptur” wurde hier nicht mal geworben. Im Gegenteil: Es fehlt jeglicher Hinweis darauf, dass sich etwas an der Zartbitterkuvertüre geändert hat. Konkret: Letztes Jahr war die einzige fetthaltige Zutat noch Kakaobutter. Heuer ist plötzlich mehr Butterreinfett (auch bekannt als “Butterschmalz”)als Kakaobutter drin. Dem liegen natürlich Gründe der Kostenersparnis auf der einen und Gewinnmaximierung auf der anderen Seite zugrunde. Immerhin werden Milchprodukte subventioniert, Kakao nicht. Kakaobutter ist entsprechend der wertvollste und teuerste Teil des Kakaos.
Dieses Vorgehen, wertvolle Zutaten durch minderwertige zu ersetzen, ist mittlerweile so gängig, dass auch hierfür bereits ein geeignetes Kofferwort gefunden wurde: Skimpflation.
Empörung macht sich breit
Freilich könnte man diesen “Skandal” noch weiterverfolgen.
Erstens gibt es nämlich keinen ersichtlichen Grund, warum man die vom Prinzip her einzige Kuvertüre, die für eine vegane Ernährung tauglich ist, auch noch mit Milchprodukten vollpumpen muss – außer die Tatsache, dass sich Lebensmittelkonzerne durchaus bewusst sind, wie sehr Menschen, die sich bewusst mit ihrer Ernährung auseinandersetzen, bereit sind, mehr dafür auszugeben. Also verwehrt man ihnen die kostengünstige vegane Option direkt und zieht ihnen genüsslich mehr Geld aus der Tasche, indem es vegane Kuvertüre nur im höherpreisigen Segment gibt.
Zweitens ist es schon erstaunlich, wie eine Hand voll Lebensmittelkonzerne die Preisdynamiken kontrollieren und das nicht nur bundes-, sondern weltweit. Doch bleiben wir bei der Kuvertüre: Natürlich habe ich die Kuvertüren mehrerer Marken verglichen und stelle fest, dass sie das fast alle machen. Ein Schelm, wer da Böses denkt. Freilich bin ich kein Wirtschaftsjournalist. Doch auffällig finde ich schon, dass ein paar kurze Suchanfragen nach den Jahresberichten der vier größten Supermarktgruppen in Deutschland durchgängig Ergebnisse von Wachstumsmeldungen liefern, während in der Bevölkerung der Gürtel großflächig enger geschnallt werden muss und sich von kleinen Landwirtschaftsbetrieben alarmierende Warnrufe häufen. Es lässt sich erahnen, wohin die Geldströme fließen.
Moment mal
Versteht mich nicht falsch: Mir persönlich geht es finanziell in Ordnung. Dennoch frage ich mich, …
… wie das langfristig funktionieren soll, wenn Preise immer weiter steigen, Löhne aber nicht im selben Ausmaß. Denn obwohl ich hier von Kuvertüre schreibe, betrifft es ja durchaus auch viele andere Produkte des Alltags.
… wie es dabei Menschen geht, die mit viel weniger auskommen müssen als ich.
… ob es eigentlich wirklich immer prekärer wird oder sich das nur so anfühlt.
Für die ersten zwei Fragen habe ich gerade keine Antwort, aber zumindest für die dritte habe ich ein paar Gedanken. Denn Wirtschaftsfragen sind zugegebenermaßen komplex und was steigende Preise anbelangt, ist man als Einzelperson auch etwas machtlos. Es gibt aber eine Sache, die man tun kann: Die eigene Wahrnehmung justieren. Und eigentlich möchte ich die Festtage doch genießen und mich nicht den allgegenwärtigen Alles-wird-immer-teurer-Chören anschließen.
Nomineller Preis versus realer Preis
Dabei wird ja tatsächlich immer alles teurer, oder? Wenn ich allein auf den Preis als Zahl, also den nominellen Wert schaue, beobachte ich besagte Preissteigerung von 69%. Das kann man nicht schönreden! Aber spiegelt es den realen Preis der Kuvertüre wieder?
Freilich ist der nominelle Wert ein erster Indikator. Aber der kann trügen. Denn Inflation, Lohnentwicklungen und andere Faktoren beeinflussen das Verhältnis zwischen dem Kaufpreis und wie lang ich dafür arbeiten muss. Unzählige Expert*innen berechnen deshalb regelmäßig, wie sich Preise aus der Vergangenheit kaufkraftbereinigt vergleichen lassen. Soll heißen: Ein besserer Vergleichswert als der reine Zahlenwert des Preises ist, wie lang ich arbeiten muss, um mir das Produkt leisten zu können.
Natürlich befinden wir uns aktuell in einer Zeit massiver Preissteigerungen, vor allem bei Lebensmitteln und Energie. Umgekehrt kann man aber auch fragen: Was kann ich mir alles leisten? Dabei dürfte auffallen, dass Technik im Vergleich zu früher beispielsweise sehr erschwinglich und leistbar geworden ist.
Gewöhnung an Luxus
Damit einher geht allerdings auch, dass wir uns an viele Annehmlichkeiten in unserem Alltag gewöhnt haben. Die Generation meiner Großeltern ist zu Kriegs- und Nachkriegszeiten aufgewachsen, wurde teilweise vertrieben und hatte entsprechend wenig bis gar nichts. Da stellte sich nicht die Frage, welcher Kuvertüre man nimmt, weil sie froh waren, dass es überhaupt Essen gab. Im Laufe ihres Lebens wuchs der Wohlstand in Deutschland und sie wuchsen damit in diesen hinein.
Im Vergleich dazu bin ich bereits in einen gewissen Wohlstand hineingeboren worden. Meine Familie war zwar nie überdurchschnittlich finanzstark, aber es hat mir auch nie an etwas gefehlt. Und das an sich bedeutet mir schon ungeheuer viel.
Gleichzeitig fühlt sich der Verlust von etwas für uns Menschen stets schwerwiegender an, als der Gewinn des selbigen. Wenn man es aber nie anders kannte, schätzt man das, was man hat, oft auch nicht besonders wert. Nicht umsonst heißt es, dass man etwas erst schätzen lernt, wenn man es verliert.
Perspektivwechsel
Apropos Wertschätzung: Was Lebensmittel anbelangt war Deutschland im europäischen Vergleich lange Zeit unglaublich niedrigpreisig. In anderen europäischen Ländern wurde schon längst wesentlich mehr ausgegeben. Man munkelt, dass sich das auch auf die Wertschätzung von Lebensmitteln in der jeweiligen Kultur ausgewirkt hat. Zur Verdeutlichung: Deutschland ist nicht gerade bekannt dafür, dass die Bevölkerung qualitativ hochwertiges Essen besonders wertschätzen würde. Anders in Frankreich oder Italien, wo man für gutes Essen gern mehr Geld ausgibt. Das deutsche Klischee “Hauptsache billig” mag nicht auf jede Einzelperson zutreffen, hat aber sicher einen wahren Kern.
Und wo wir schon bei Klischees sind: Schielen wir nicht allzu gern auf das benachbarte Grundstück und beneiden den grüneren Rasen? Wenn wir das tun, sollten wir aber auch einmal in die andere Richtung schauen. Unzählige Menschen würden sich freuen, wenn sie überhaupt etwas zu feiern hätten. Doch Armut, Krankheit und Krieg lassen es bei ihnen nicht zu. Deshalb möchte ich dazu einladen, für das, was wir haben und feiern können, dankbar zu sein und es wertzuschätzen.
Wer braucht schon mehr Lametta?
Um auf die Anfangsfrage zurückzugehen: Nein, ich glaube nicht, dass früher mehr Lametta war. Allerdings kann ich mir vorstellen, dass die mit Kindheitserinnerungen verbundene Nostalgie die Gegenwart etwas blass aussehen lässt. Das liegt meines Erachtens aber nicht am mangelnden Baumschmuck, sonder daran, dass uns etwas anderes fehlt:
- Weihnachten fühlt sich nicht mehr so magisch an. Zeit also für eine Neuverzauberung.
- Es fehlt uns an echter menschlicher Verbindung. Tipp: Handy beiseite legen und stattdessen den Liebsten volle Aufmerksamkeit schenken.
- Die Feiertage fühlen sich nicht mehr so unbeschwert an, wie früher – aufgrund von Terminstress und zu vielen und hohen Erwartungen. Womöglich hilft auch hier etwas Fokus auf das Wesentliche?
Wir befinden uns zwar in der dunkelsten Zeit des Jahres, aber ich hoffe, meine Anregungen können dir ein paar Lichtblicke geben.
In diesem Sinne wünsche ich eine frohe Wintersonnenwende!
Alles Liebe
Philipp
Berlin