Schon länger beschäftigt mich eine Frage – egal in welcher Region der Welt ich lebe. Denn überall beobachte ich einen schleichenden Prozess, der bereits seit über Hundert Jahren im Gange ist. Sogar die Kleinstadt, in der ich aufwuchs, ist davon betroffen: Gibt es kein bedeutendes Gewerbe mehr, hält sich eine Region mit Touristen über Wasser.
Und danach?
Wie üblich, wenn ich in einer meiner Heimatgegenden herum schnorchle, besuche ich auch Bekannte und Freunde. So auch heuer, als ich endlich mal wieder in Osttirol verweilte.
Eins war allerdings anders: Ein Haus in der so vertrauten Nachbarschaft war ausgebrannt. Unsere Bekannten erzählten uns die Hintergrunde, so weit sie ihnen bekannt waren.
Tatsächlich wohnte nämlich schon lang keiner mehr in dem Haus. Es gehörte drei Brüdern, die es geerbt hatten, aber bereits seit Jahrzehnten nicht mehr in der Region wohnten. Eigentlich wollten sie es verkaufen, doch für den geforderten Preis wollte es auch keiner.
So verfiel es nach und nach, bis vergangenen Winter ein Feuer ausbrach, das das gesamte Gebäude unbewohnbar machte. Nun will es tatsächlich niemand mehr haben.
Viele Höfe der Region sind bedroht. Während es die jungen Leute in die große Stadt zieht, wissen deren Eltern und Großeltern nicht, wer den Hof übernehmen soll. Geschwister können sich nicht gegenseitig auszahlen und haben bereits eigene Höfe, ja auch eigene Leben.
Geht da nicht etwas verloren?
Kulturgut zum Beispiel? Könnte man meinen. Tatsächlich ist das in einem stetigen Umbruch. Das Defereggental war einst eine reiche Region, die vom Eisenerzabbau profitierte. Das schaffte eine ganz neue Art von Arbeitsplätzen. Nebst Sennern gab es dann auch Minenarbeiter. Heute gibt es keinen Abbau mehr und von der Sennerei kann kann man kaum mehr leben. Die Milchpreise sind lächerlich, weshalb es viele eher als Hobby betreiben.
Tatsächlich sind heute ganz andere Berufe gefragt; häufig im Dienstleistungssektor. Alles andere wird weitestgehend von Maschinen verrichtet. Auf grünen Bergwiesen grasende Kühe sind eher eine Fassade, die entweder als Werbung verpackt oder an vorbeiziehende Touristen verkauft wird. Ich finde es schön, dass ich das im Defereggental erleben darf. Mir ist aber auch bewusst, dass es die Ausnahme ist. Moderne Viehhaltung sieht anders aus. Und ich bin der Meinung, dass ich diese Idylle nur genießen kann, weil die meisten Bauern noch andere Einkünfte haben, beispielsweise indem sie Gäste bewirten oder im Winter als Skilehrer arbeiten.
Abhängigkeit von Touristen
Der Tourismus hat eine zweite Blütezeit in das Deferggental gebracht, denn mit ihnen kam auch wieder Geld. Andererseits schaffte dies auch Abhängigkeit. Denn versiegt der Touristenstrom, tut es der Geldstrom auch. So zum Beispiel 2013, als viele langjährige Gäste von den Überschwemmungen der Elbe betroffen waren und folglich nicht ins Tal gekommen sind.
Darüber hinaus ist es eine Frage des persönlichen Geschmacks, ob man die gleiche Menge Geld für 14 Tage Übernachtung mit Frühstück in der Nähe ausgeben möchte, wenn man dafür auch mit Vollpension in exotische Länder reisen kann – Billigflüge machen es möglich. Und ich verstehe voll und ganz, wenn die aufregende Fremde Menschen stärker anzieht, als das ruhige, spartanische Almleben.
Die Ansprüche von Urlaubern sind gestiegen: Pool und All Inclusive sind Standard geworden, wobei ich mich frage: Wofür eigentlich?
Wofür nehme ich mehrere Stunden Flug in Kauf, wenn ich dann jeden Tag die Hotelanlage nicht verlasse? Wofür bereise ich ein fremdes Land, wenn ich es gar nicht erkunden kann, weil ich nicht zu spät zu meinen drei Mahlzeiten kommen möchte?
Nun ja, Geschmäcker sind unterschiedlich. Und mir soll es ja auch recht sein – dann habe ich in den Bergen wenigstens meine Ruhe. Leid tut es mir nur für die Betroffenen. Und das werden mit jeder Region, die der Tourismus wieder verlässt, mehr.
Ist das überhaupt so schlimm?
Jammern hat noch niemandem wirklich geholfen. Was könnten also Lösungsansätze sein und was könnte wirklich nach dem Tourismus kommen?
Im Fall des Deferregentals könnte ich mir eine Rückbesinnung vorstellen. Almleben, Heumachen und Viehhaltung mögen sich finanziell nicht rentieren, schaffen aber eine gewisse Autarkie hin zum Selbstversorgertum. Die Strukturen dafür bestehen bereits, das Handwerk blüht und auf Bauernmärkten findet der gleiche Austausch statt, den ich auch unter den Höfen beobachte. Gemeinsam sind wir stark gilt auch da und ich halte es langfristig für zukunftsfähig.
Ob das für alle Regionen und insbesondere Städte gilt, kann ich natürlich nicht sagen, doch Tourismus wird in meinen Augen ohnehin nicht komplett aussterben, denn Menschen haben Reiselust. Die Branche hingegen wird sich weiter verändern. Genau genommen tut sie das bereits. Nicht umsonst gibt es “Abenteuerurlaube” jetzt auch pauschal im Reisebüro.
In Städten wird es ohnehin weiterhin schwierig bleiben, als Selbstversorger zu existieren. Hier heißt es wie so oft: Kreativ bleiben und sich gegenseitig unterstützen. (Ich erkenne da ein Muster…)
Entsprechend ist es gar nicht so wichtig, was danach kommt: Nichts ist so beständig wie Veränderung. Und wir müssen nur wissen, damit umzugehen.
Welche Erfahrungen hast du mit Tourismus in deiner Heimat gemacht? Stört er dich? Findest du ihn wichtig? Oder profitierst du sogar davon? Schreib es in die Kommentare!
Green Bird
04/10/2015 — 21:15
Hallo Philipp!
Was nach dem Tourismus kommen soll frage ich mich auch. Meine Heimatstadt Eisenerz ist, wie der Name schon vermuten lässt, durch den Eisenerzabbau groß geworden. Es wird zwar immer noch abgebaut, aber vom steirischen Brotlaib kann keine Rede mehr sein.
Seit ein paar Jahren setzt Eisenerz darum auf den Tourismus. Berge sind bei uns ja reichlich vorhanden. Die Schattenseiten der “schönsten Platzerl” kann man ebenfalls bereits erkennen: rappelvoll ist es wochenends am See, kein Platz mehr für die einheimischen Erholungssuchenden. Ruhe hat man nur auf den Bergen, wo kein Klettersteig raufführt oder eine Hütte ist.
Massentourismus kann doch niemand ernsthaft lässig finden. Ich lehn mich jetzt mal so weit aus dem Fenster zu behaupten, dass noch nicht mal die Menschen, die davon profitieren die Touristen wirklich “mögen”, sondern einfach abhängig von ihnen sind. Und die Einheimischen, die finanziell nicht von ihnen profitieren, dürfen die Menschenmassen ertragen.
Ein Feriendorf soll nun bei uns entstehen. Aus einer alten Bergarbeitersiedlung wird das “Eisenerz Alpin Resort”. Bei vollständiger Fertigstellung (die noch nicht mal fix beschlossen ist), sollen ein paar Hundert Betten zur Verfügung stehen – und in der Stadt bis zu 10 neue Arbeitsplätze schaffen. In Reinigung, Rezeption und Haustechnik – also alles andere als Top-Jobs. Irgendwie kommt es mir so vor, als würd sich meine Heimatstadt für die paar Jobs “prostituieren”. Mir ist schon klar, dass sich auch die Gastwirte und Supermärkte drüber freuen werden, mehr Kunden zu haben, doch kaufen die Gäste dann wirklich vor Ort ein oder noch zu Hause beim Discounter?!
Liebe Grüße, Daniela
P.S. Das sind die Gedanken, die mir zu diesem Theme und meiner Heimatstadt beständig durch den Kopf gehen.
Philipp
11/10/2015 — 12:43
Hallo Daniela,
diese Gedanken kann ich sehr gut nachvollziehen. Ich verstehe ja auch nicht, warum die Stadt, in der ich als Kind aufwuchs, jetzt auf Tourismus setzt. Klar, gibt es ein paar schöne Ecken. Hätte ich jedoch keine Familie dort, würde ich wahrscheinlich nicht hinfahren.
Tourismus hilft der lokalen Wirtschaft ja auch nur dann, wenn dadurch mehr Geld in die Region kommt. Das setzt in meinen Augen zunächst auch eine lokale Produktion voraus. Werden alle verkauften Güter importiert, kann das unmöglich nachhaltig sein.
Ich persönlich mag es auch nicht, an zugelaufenen Plätzen nach Erholung zu suchen. Ich brauche da auch einfach sprichwörtliche Ruhe. Aber Gemüter sind in der Hinsicht wirklich verschieden. Offenbar gibt es genügend Menschen, die das Erlebnis, für den der Auflauf stattfindet, als bereichernd genug wahrnehmen, um die meiner Meinung nach Strapaze auf sich zu nehmen.
Genauso verhält es sich wahrscheinlich bei den Einheimischen. Manche haben gern Gäste, auch unabhängig vom Geld, andere nicht. Entscheidend da ist ja auch, wie sehr Tourismus überhand nimmt. Sanfter Tourismus scheint mir da der richtige Begriff. Aber gibt es den überhaupt?
Es braucht auf jeden Fall ein ordentliches Maß an Mäßigung und Achtsamkeit, um die Menschen für die Folgen ihres Aufenthalts zu sensibilisieren.
Und dann verliert ein touristischer Ort ja auch an etwas Authentizität. Es wirkt alles etwas in Szene gesetzt.
Euren Fall mit dem Alpin Resort finde ich tatsächlich krass. Ich bin gespannt, wie es damit weitergeht. Und es erinnert mich an einen Beitrag, der noch geschrieben werden möchte. :)
Lieber Gruß,
Philipp
Green Bird
11/10/2015 — 13:50
Ich mag meine Heimatstadt, würd da auch gerne wieder mal wohnen, wenn es sich irgendwie einrichten lässt.
Naja, von lokaler Produktion kann nur dann die Rede sein, wenn man auch ein paar Erzeuger hat. Wir als alte Bergbaustadt haben nur eine Handvoll Bauern. Keine Ahnung, ob die überhaupt was für den Markt produzieren oder nur für den eigenen Bedarf.
Sanfter Tourismus… einige Dörflein werden zu “Bergsteigerdörfern”. Angeblich gibt da sehr strenge Richtlinien bzgl. Bettenanzahl und dergleichen.
Wir sind durch das Wandern auch sehr oft unterwegs, kehren aber fast nie irgendwo ein, weil einfach das Geld knapp ist. Manchmal hab ich ein schlechtes Gewissen deshalb: ich bin zwar extra dorthin gefahren, doch von mir hat niemand was (zumindest nichts positves). Andererseits denk ich mir dann wieder: warum nicht aufzeigen, dass Tourismus nicht zwangsläufig mit einer Einkommensquelle gleichzusetzen ist.
Da, die Authentizität….wir waren in den Sölktälern wandern, trafen dort auf eine geführte Gruppe von Touristen (minder fit und trittsicher). Ihr Führer war für sie in Lederhosen unterwegs und baute immer mal wieder einen Jodler ein…. Naja, wer’s mag….
Ich bin ebenfalls gespannt, wie und ob es weitergeht oder ob das mal wieder ein Schuss in den Ofen war.
Du machst mich neugierig auf deinen Artikel, also bitte schreiben ;-)!
Liebe Grüße, Daniela
Philipp
14/10/2015 — 21:53
Leider sind die die Marktbedingungen für kleine Erzeuger nicht sehr erfreulich. Da sehe ich uns als Verbraucher auch in der Schuld. Wer Wert darauf legt, Milch für Spottpreise zu kaufen, unterstützt die Zermürbung kleiner Familienhöfe aktiv mit.
Es gibt tatsächlich ein paar Leute, die nur für den Eigenbedarf weitermachen. Das ist allerdings auch recht kostspielig und vor allem mit viel Aufwand verbunden.
Ich halte mich ran! :)