In den letzten Wochen waren hierzulande Wahlen angesetzt! Mit von der Partie war eine gehörige Portion Israel, wie es leibt und lebt. Außerdem hatte ich viele Gespräche und Diskussionen, um alles etwas besser zu verstehen. Du seist also gewarnt. ;)
Wieso eigentlich schon wieder Wahlen?
Die politische Situation in Israel ist recht unbeständig. Häufig finden Neuwahlen vor dem eigentlichen Ende der Amtsperiode statt (zuletzt vor nicht einmal zwei Jahren). Als sich Teile der Koalition von der Regierung abgewendet haben, hat Premier Bibi (aka Netanyahu) Neuwahlen ausgerufen.
Andere Länder, andere Sitten
Und Wahlsysteme! Das Parlament (“Knesset”) umfasst eine feste Anzahl von 120 Sitzen. Es gibt keine Wahlbezirke (- oder eben nur einen einzigen). Man hat nur eine Stimme für eine Partei. Diese stellt wiederum eine Liste, welche Parteimitglieder in absteigender Reihenfolge ins Parlament dürfen. Dabei entspricht der Anteil der Sitze dem Stimmanteil. Listenplatz 1 jeder Partei ist Anwärter auf den Posten des Premierministers. Die Wähler können also nicht direkt bestimmen, wer ins Parlament darf, sondern sich nur ganzheitlich für oder gegen eine Partei entscheiden. Es gilt eine 3,25%-Hürde. Scheitert eine kleine Partei an dieser, gibt sie ihre Prozente an eine größere Partei ihrer Gunst ab. Auch hierzulande werden Koalitionen gebildet.
Harscher Wahlkampf
Dass Israelis im Durchschnitt mehr Temperament als Deutsche haben, ist kein reiner Stereotyp. Das spiegelt sich auch im Wahlkampf wieder.
In den Werbespots lässt man kein gutes Blatt am Gegner. Gehirnwäsche oder Unterwürfigkeit in der internationalen Staatengemeinschaft sind beliebte Vorwürfe. Nach amerikanischem Vorbild gab es auch lautstarke Paraden. Mein absoluter Favorit war aber ein spätabendlicher Eiswagen in Tel Aviv, der sich schon über mehrere Blöcke hinweg mit dem israelischen Eiswagenlied angekündigt hatte. Erst beim Vorbeifahren hat er sich als Wahlwerbung entpuppt – und bereits alle Aufmerksamtkeit geerntet.
Welche Parteien und Lager gibt es überhaupt?
Die israelische Parteienlandschaft ist ziemlich unübersichtlich, denn es gibt recht viele Parteien, die sich gern neu formieren oder umbenennen.
Um die Parteien Israels besser zu verstehen, hilft ein Blick auf die Bevölkerung: In Israel wird die Bevölkerung hauptsächlich in Juden, Araber und “Andere” unterschieden. Es gibt allerdings zahlreiche Splittergruppen, die für die politische Einteilung nicht unentscheidend sind. Juden lassen sich etwa in Säkulare, Religiöse, Orthodoxe und Ultraorthodoxe unterscheiden. Diese lassen sich wiederum unterteilen. Ein Haken: Selbst die Splittergruppen können sich teilweise untereinander nicht ausstehen.
Besonders den Ultraorthodoxen ist die Wahl eigentlich egal, denn ihrer Meinung nach sollte der israelische Staat von niemand anderem als dem Messias gegründet werden. Dennoch ist es recht wahrscheinlich, dass ihre Stimmen Bibi helfen, weil seine Koalitionspartner ihnen günstigere Lebensbedingungen versprechen. Nicht ohne Grund werden sie vom Staat finanziell bevorzugt und trotz eindeutiger Gesetzeslage nicht zum Wehrdienst einberufen.
Zuletzt haben linke Parteien vor allem in Tel Aviv sehr viel Zuspruch erhalten. Das rechte Lager weist eine Vielzahl von Splitterparteien auf. Heuer ganz neu war die Vereinte Liste, ein Zusammenschluss aller arabischen Parteien, um gemeinsam mehr Stimmgewicht zu erzielen.
Meinungen aus der Bevölkerung
Zuletzt gab es viele Demonstrationen. Die Vorwürfe: Bibi würde nur Angst in der Bevölkerung machen, um sich Stimmen zu sichern. Die innerpolitischen Probleme (zu hohe Mietpreise, zu niedrige Löhne, Arbeits- und Perspektivlosigkeit der Jugend ) blieben auf der Strecke.
Eben diese Angelegenheiten adressieren linke Parteien. Außerdem setzen sie sich für einen aktiven Friedensprozess mit den Palästinensern ein. Die arabischen Parteien vertreten die immerhin ein Viertel der Gesamtbevölkerung ausmachenden Araber und fordern Gleichberechtigung.
Zu meiner Überraschung erwartete mein linkes Umfeld, dass Bibi wieder gewählt werden würde, weil keine bessere Alternative existierte. Meiner Meinung nach keine Entschuldigung, spiegelt es sich doch recht deutlich im Wahlergebnis wieder. Bibis Partei liegt da mit 30 Sitzen vorn. Das liegt aber nicht nur an der breiten rechten Bevölkerung. Sogar die LGBT-Szene wählt teilweise rechts, weil sie nicht wollen, dass es wieder Luftangriffe im eigenen Land gibt. Da wird sogar darüber hinweggesehen, dass Bibi öffentlich zugegeben hat, sich nur auf eine Sache konzentrieren zu können: Sicherheit.
Wahlwahnsinn
Per Verfassung ist die Wahl in Israel frei. Im Allgemeinen gibt es keine Briefwahl. Folglich pilgern alle zu ihrem Wahlort. Ich musste dummerweise am gleichen Tag von Jerusalem nach Tel Aviv. Abgesehen davon, dass Hunderte von Menschen ebenfalls nach Tel Aviv mussten und es nicht genügend Busse gab, wurde gedrängelt, geschrien und geschubst, auch wenn es gar nicht nötig war.
So wirklich frei kommt mir die Wahl dann aber doch nicht vor, wenn ich höre, dass man sogar noch an der Wahlurne von Parteien dazu gedrängt wird, ihnen ihre Stimme zu geben.
Was hat die Wahl also gebracht?
Bibi steht mal wieder an der Spitze. Wider meiner Erwartung erfährt das rechte Lager immer noch sehr große Unterstützung. Zwar ist die Koalition noch nicht gegründet, doch ist es recht wahrscheinlich, dass sich die vielen kleinen rechten Splitterparteien zusammentun werden. Auf der Gegenseite könnte aber auch auch eine starke Opposition stehen.
Per Gesetz muss die Koalition nach 40 Tagen beschlossen sein. Ich halte euch auf dem Laufenden!
Euer Philipp