Winterschlaf

Eigentlich habe und hatte ich noch einige Pläne bis zum Jahresende. Doch ehrlich gesagt verharrt mein Energiepegel auf einem mir unbekannten Tiefpunkt und die Luft ist für dieses Jahr raus. Wenn ich unterdessen mein Umfeld beobachte, frage ich mich zwangsläufig: Bin ich eigentlich der Einzige, der sich bereit für einen Winterschlaf fühlt?

Dass ich die dunklen Monate als knifflige Zeit für mich empfinde, ist kein Geheimnis. Doch dieses Jahr treffen sie mich schon sehr früh mit ungewohnter Härte. Womöglich hängt es auch damit zusammen, dass zeitgleich meine Arbeit in Lüneburg und somit meine externen Strukturen endeten. Das würde zumindest erklären, warum es mir so schwer fällt, eine neue Alltagsstruktur aufzubauen. Es mag seltsam klingen. Aber nach fast acht Monaten, in denen ich werktags komplett versorgt wurde und mich nur um Arbeit und Marathon-Training kümmern brauchte, fällt es mir arg schwer, eine neue Routine aufzubauen. Zu leicht habe ich mich an den Komfort gewohnt, in der Kantine sämtliche Mahlzeiten wortwörtlich auf dem Tablett serviert zu bekommen. Nun wieder in einen Rhythmus reinzukommen, in dem ich die Aufgaben im Haushalt routiniert meistere, fällt mir schwerer als gedacht.

Zugegeben: Seit meiner Rückkehr nach Berlin war mein Programm so abwechslungsreich, dass das Einrichten von Regelmäßigkeit ohnehin total abwegig erscheint. Doch heuer erscheinen mir die kürzesten Tage des Jahres noch kürzer als jemals zuvor. Aktuell halte ich für fraglich, ob das im Rest des Jahres noch besser werden wird, denn die letzten Wochen lassen kaum Raum für die gewünschte Regelmäßigkeit.

Wer nun eine Winterdepression vermutet, sei beruhigt: Emotional betrachte fühle ich mich nicht schlecht drauf. Allerdings hege ich ein ungeheuer großes Bedürfnis nach Schlaf und ertappe ich mich oft dabei, wie solch banale Aufgaben wie Hausarbeit den ganzen Tag einnehmen – zumindest die Zeit, bis es dunkel ist. Und dann könnte ich mich im Grunde auch schon wieder schlafen legen. Gleichzeitig ist auch mein Hungergefühl erstaunlich niedrig, während sich sich mein Körpergewicht recht stabil hält. Es scheint mir, dass mein ganzer Körper auf Sparflamme operiert – als wüsste er, dass der Großteil des Winters noch bevorsteht. Ja, ich fühle mich wie eins der Eichhörnchen, die sich vor Kurzem noch über die Bäume vor unserem Balkon gejagt, sich nun jedoch in ihren Kobel zurückgezogen haben.

Dabei hatte ich doch ganz andere Überwinterungsstrategien im Sinn:

👀 Fokus auf die Projekte, die ich das Jahr über liegen lassen musste (Da gäbe es auch in Hinblick auf meine Ziele für 2024 noch einiges zu tun…)

🎄 festliche Feiertage mit viel Plätzchen, Herzlichkeit und Zeit mit den Liebsten

📖 typische Drinnen-Aktivitäten, denen man im Sommer ob des Wetters nicht guten Gewissens nachgehen kann: Brett- und Videospiele, Kino-Tage, Lesemarathons bis spät in die Nacht, …

⛷ winterliche Aktivitäten im Freien für mehr Tageslicht

☀️ Workation in südlicheren Gefilden, um den tristen Grau zu entkommen

Entgegen all diesen (im Grunde tollen) Ambitionen und Ideen, mag ich mich aber aktuell lieber einkugeln. Während alle dem alljährlichen Vorfeiertagsstress verfallen, mag ich ganz antizyklisch zur Abwechslung mal einfach nur zu Hause bleiben und eine ruhige Kugel schieben. Tatsächlich ist neben dem Zugverhalten einiger Vogelarten Winterschlaf ja auch eine Strategie in der Natur, mit dem Winter umzugehen. Warum also nicht eine Stufe runterfahren und die eigenen Aktivitäten an das Energieniveau anpassen, solang der Winter anhält?

So viel zur Theorie. Die Praxis sieht jedoch ganz anders aus. Denn es zeichnet sich gerade ein ganz anderes Bild ab als die von mir romantisierte Vorstellung des Winterschlafs: Viele Tage an vielen verschiedenen Orten (, die ich mag), viele Treffen mit Herzensmenschen und folglich eben auch viel Abwechslung und auf Trab sein. Freilich sieht eine ruhige Kugel anders aus. Womöglich kommt damit aber auch ein wenig Energie zurück?

Gebe ich mich mal vorsichtig optimistisch. Und für nächstes Jahr notiere ich mir direkt, bei meiner Jahresplanung meine jahreszeitlichen Energieschwankungen mitzudenken.

Wie bringst du dich während der dunklen Monate auf Touren? Über Tipps freue ich mich sehr!

Alles Liebe
Philipp

Embargo

Wer unter den Bücherwürmern kennt es nicht? Es gibt stets so viel zu lesen, dass man gar nicht damit hinterherkommt. Und ehe man sich versieht, reicht der TBR-Stapel (alias der Stapel der noch zu lesenden Bücher) bis zur Decke und ein zweiter Stapel wird eröffnet. Ganz so weit ist es bei mir zwar noch nicht, aber nichtsdestotrotz habe ich mir selbst ein Buch-Embargo verhängt.

Freilich kann man sich nun wundern, wieso ein Minimalist wie Philipp eigentlich überhaupt Bücher besitzt, wo es doch Alternativen wie Bibliotheken und E-Reader gibt, die verhindern, dass sich mehr und mehr Bücher im Haushalt ansammeln. Tatsächlich nutze ich beides, denn ich scheue mich davor, E-Books zu kaufen, wenn ich ebenso in der Bibliothek für zehn Euro Jahresgebühr ausleihen kann. Doch besitze ich überhaupt Bücher?

Dafür gibt es mehrere Gründe:

  1. Prinzipiell unterscheide ich zwischen Büchern, die ich einmalig lese und solchen, die ich gern wiederholt lesen möchte. Freilich ist die Anzahl der Bücher, bei denen mir das mehrmalige Lesen gelingt, begrenzt, dennoch behalte ich Letztere gern. Erstere hingegen verschenke ich.
  2. Menschen, die mich kennen, wissen, dass ich gern lese, und beschenken mich gern mit Büchern.
  3. Gelegentlich entdecke ich Bücher, die ich ohnehin schon länger lesen wollte gebraucht in Läden und lasse mich von Preisen unter fünf Euro – oder von Zu-Verschenken-Schildern in der Nachbarschaft – gern verleiten, sie mitzunehmen, wenn sie mich thematisch interessieren.
  4. So sehr ich Deko-Artikel auch ablehne, empfinde ich Bücher in einem Zuhause als äußerst dekorativ und willkommen.
  5. Ehrlich gesagt sehe ich nicht, wie Buchautor*innen ihren Unterhalt mit Büchern verdienen sollen, wenn alle Menschen ausschließlich nur noch Bibliotheken nutzen würden.

Nun haben sich also einige Bücher angesammelt – tatsächlich mehr Bücher, als in unser Wohnzimmer an die dafür vorgesehene Stelle gepasst haben. Also fing ich zunächst an, Bücher nach ihrem Einsatzzweck zu sortieren und an die entsprechenden Orte zu legen:

  • Bereits gelesene Bücher bleiben im Wohnzimmer.
  • Koch-, Back- und anderweitige Rezeptbücher sind nun in der Küche.
  • Café-Bücher (Das sind die mit kaum Text, aber seitenfüllenden inspirierenden Fotos.) befinden sich auf beziehungsweise unter dem Couch-Tisch.
  • Fachliteratur wäre idealerweise in meinem Büro, aber darüber verfüge ich aktuell noch nicht.
  • Das, was ich aktuell vor der Nachtruhe lese, liegt auf dem Nachttisch.
  • Das, was ich aktuell unterwegs lese, befindet sich in meinem Rucksack.

So gewährleiste ich, dass Bücher vermehrt genutzt werden, weil sie sich stets in Reichweite befinden, wenn sie am ehesten zum Einsatz kommen. Mehr in der Wohnung möchte ich sie dann aber doch nicht verteilen – auch nicht, um noch mehr Platz für Bücher zu schaffen.

Dennoch plagte mich lange Zeit das schlechte Gewissen, dass ich einen stetig wachsenden TBR-Stapel zu Hause habe, der sich mehr nach unerledigter Hausarbeit anfühlt, als nach einladendem Lesevergnügen. Zumindest ging es mir so, bis ich auf das folgende Zitat stieß:

(…) I try not to think of it as a TBR pile but more like a wine cellar. You try & time the right combination of mood, energy & interest, so that you pick a book when you have the best chance of getting along with it.

– Rónán Hession

Die Analogie des Autors und Musiker Rónán Hession spricht mich sehr an! Denn so wie man eben auch den richtigen Wein nach Anlass und Menü wählt, handhabe ich das bei Büchern ohnehin: Am liebsten lese ich das, was gerade am besten zu meinem Leben passt, oder, worauf ich gerade Appetit habe.

Damit ging es mir also zunächst schon mal besser. Aber es löste das Problem des wachsenden Bücherstapels bei gleichbleibendem Platz in der Wohnung nicht. Und es würde meinen Partner, der bei Weitem nicht so viel liest, wie ich, auch nicht besänftigen. Doch dann gab es einen Schlüsselmoment.

Eines Tages ertappte ich mich in einem Geschäft dabei, wie ich überlegte, ein paar Bücher zu erwerben, während mich ein schlechtes Gewissen plagte, dass ich gar nicht so viel lese, wie ich eigentlich gern würde. Im Kopf hatte ich, dass zu Hause noch fünf bis sechs ungelesene Bücher auf mich warten. Und dann wurde mir noch etwas bewusst: Oft hege ich Gedanken, in denen ich mir mich selbst in einer gewissen Zukunft vorstelle; für gewöhnlich bei einer Aktivität. Dann erwerbe ich für die Aktivität benötigte Artikel und bringe diese nach Hause. Letztlich fehlt mir aber oft die Zeit, der Aktivität dann auch tatsächlich nachzugehen. Und so stehen diese Artikel oft für Monate, wenn nicht sogar Jahre, herum, ohne genutzt zu werden, bis ich hoffentlich irgendwann doch mal die Zeit dafür finde. Wäre das bei den neuen Büchern wirklich anders? Falls ja, müsste ich die ungelesen Bücher zu Hause eigentlich entsorgen, denn offensichtlich sprechen sie mich nicht so stark an, dass ich mir die Zeit nehme, sie zu lesen. Aber sie interessieren mich ja und ich sollte mir nur mal die Zeit nehmen, statt sie anderweitig zu vertrödeln. Also sagte ich Nein zu den neuen Büchern.

Ein Erfolg? Könnte man denken… Doch zurück zu Hause traf mich schließlich der Schlag, als ich alle meine Bücher durchging und sämtliche ungelesen (oder noch nicht fertig gelesenen) Bücher auf einen separaten Stapel packte und durchzählte: Mehr als 30! Und bei meinen Eltern verbirgt sich sicherlich auch noch das eine oder andere!

Ein Weinkenner bin ich nun wahrlich nicht. Doch wenn ich mehr als 30 Flaschen Wein im Keller hätte, würde ich mir selbst ein Kaufverbot für Wein auferlegen, bis die Restbestände mal reduziert sind. Und so handhabe ich das jetzt auch erstmal mit Büchern. Das heißt:

  • Vorerst lasse ich keine neuen Bücher mehr ins Haus.
  • Außerdem lasse ich meine Mitgliedschaft in der städtischen Bibliothek ruhen.
  • Wenn ich wieder bei zehn TBR-Büchern angekommen bin, denke ich darüber erneut nach. Doch bis dahin wird wohl noch einige Zeit verstreichen.

Und ja, beim nächsten Frühjahrsputz werde ich mich noch einmal gesondert mit meinen Büchern auseinandersetzen und inspizieren, welche ich davon tatsächlich aufheben möchte. Denn es gibt schon einige, die ich bereits mehrfach begonnen, aber schlichtweg nicht fertig gelesen habe; auch Klassiker. Vielleicht sind sie dann doch nicht mehr so gut und/oder zeitgemäß oder passen einfach nicht zu mir? Muss ich mich da wirklich durchzwingen, nur weil ein Buch oder bestimmte Autor*innen eine gewisse Reputation haben? Ist mir meine Lebenszeit nicht mehr wert?

Doch mit diesen Fragen werde ich mich an anderer Stelle auseinandersetzen. Jetzt mag ich erstmal lesen. In diesem Sinne: Ein schönes gemütliches Wochenende!

Und nun interessiert mich noch, wie du das eigentlich mit deinen Büchern handhabst, sofern du welche besitzt. Teile es gern in den Kommentaren!

Alles Liebe
Philipp

Alt werden

Die nächsten Tage und Wochen geht es in unserem Kulturkreis wieder viel um den Tod und gewissermaßen auch das Leben danach. Man kommt quasi gar nicht umhin, sich zu fragen, wie man selbst zum Tod steht und wie alt man eigentlich werden möchte. Wie würdest du darauf antworten?

Ehrlich gesagt empfinde ich diese Frage als seltsam, denn es liegt ja gar nicht wirklich innerhalb meines Machtbereichs, wie lang ich lebe. Natürlich kann ich sehr viel dafür tun, meine Gesundheit möglichst lang aufrecht zu erhalten. Doch es gibt einigen Faktoren, die ich nicht beeinflussen kann, beispielsweise meine Genetik.

Intuitiv antworte ich auf die Frage, wie alt ich werden möchte, gern mit: “125 Jahre, damit ich meine Midlife-Crisis mit 62,5 Jahren haben kann.” Doch wenn ich dann mal genauer darüber nachdenke, mag ich mir auch nicht vorstellen, mit 125 Jahren plötzlich das Zeitliche zu segnen. Strebe ich also im Grunde nach Unsterblichkeit?

Und ehe ich versehe, befinde ich mich in ethischen, moralischen, philosophischen und spirituellen Diskussionen! Ehrlich gesagt finde ich den Gedanken von Unsterblichkeit ebenso faszinierend wie ganze Generationen vor uns. Viele Weltreligionen basieren genau auf dieser Faszination. Doch, obwohl ich das Thema interessant finde, habe ich mit Religion nichts (mehr) am Hut. Denn wenn der Preis für Unsterblichkeit wäre, mit ebendiesen religiösen Menschen für immer und ewig zusammen zu leben, kann ich ruhigen Gewissens dankend ablehnen.

Außerdem gibt es von wissenschaftlicher Seite – abseits der Machbarkeit – einige ethische und moralische Aspekte, die gegen Unsterblichkeit sprechen:

  • Für unseren Planeten wäre es überhaupt nicht zuträglich, wenn wir Menschen, vor allem des globalen Nordens mit unserem hohen Ressourcenverbrauch, ewig leben würden und immer mehr Menschen nachkommen.
  • Stichwort immer mehr Menschen nachkommen: Es bräuchte früher oder später wahrscheinlich eine sehr strikte Geburtenregulation. Doch wer entscheidet dann, wer Kinder bekommen darf und wer nicht, wer unsterblich sein darf und wer nicht?
  • Es gibt Indizien dafür, dass sich zunächst vor allem reiche Menschen leisten könnten, unsterblich zu sein. Wenn manche Menschen dann jedoch plötzlich unsterblich wären, könnte dies die Schere zwischen arm und reich sogar noch weiter vergrößern und für noch mehr soziale Ungleichheit sorgen.

Darüber hinaus gibt es einige Menschen auf der Welt, beispielsweise Diktatoren, wo es Hoffnung stiftet, dass auch sie eines Tages das Zeitliche segnen werden. Diese Hoffnung gäbe es dann nicht mehr.

Unsterblichkeit würde also bestehende Ungleichheit zwischen den Menschen noch vergrößern und auch neue Dimensionen der Ungleichheit schaffen. Das ist gewissermaßen “das Schöne” am Tod: Er trifft alle Menschen gleichermaßen früher oder später und ist deshalb zumindest in dieser Hinsicht gerecht.

Man kann Unsterblichkeit natürlich auch aus einem evolutionären Standpunkt aus betrachten: Ohne Tod sind wir als Spezies nicht anpassungsfähig an die sich um uns herum verändernde Umgebung. Es gibt allerdings noch andere, persönliche Perspektiven die man auf Hinblick auf ein ewiges Leben und/oder hohes Alter nicht aus dem Blick verlieren sollte:

  1. Schwindende Gesundheit – Bei der Mehrheit der Menschen treten mit steigendem Alter vermehrt gesundheitliche Probleme auf. Was nützt ein ewiges Leben, wenn man gesundheitlich derart eingeschränkt ist, dass man sein ewiges Leben nicht mehr selbstbestimmt führen kann, sondern gegebenenfalls rund um die Uhr im Krankenbett verbringt?
  2. Budgetäre Engpässe – Wer soll eigentlich für solch ein ewiges Leben bezahlen? Das Rentensystem ist schon jetzt überfordert, weil es grundlegende konzeptionelle Schwächen aufweist, während Altersarmut für immer mehr Menschen ein relevantes Thema wird. Wie soll man also über die Runden kommen, wenn man wesentlich mehr Zeit seines ewigen Lebens im Ruhestand verbringt, als erwerbstätig zu sein? Oder wie funktioniert Erwerbstätigkeit vom Krankenbett aus?
  3. Ewige Langeweile – Was ist ein Tag wert, wenn ich weiß, dass ich noch unendlich viele weitere haben werde? Sämtliche Werke, die sich mit Unsterblichkeit beschäftigen schildern ein ähnliches Problem: Die Unsterblichen langweilen sich ganz fürchterlich, weil es irgendwann nichts Neues mehr für sie gibt.
  4. Intergenerationale Distanz – Bereits jetzt besteht eine große Herausforderung darin, mit zunehmendem Alter den Anschluss in der Gesellschaft und an jüngere Generationen nicht zu verlieren. Wie schwierig wird das erst, wenn man mehrere hundert Jahre älter ist, als die Menschen um einen herum?
  5. Vereinsamung – Viele ältere Menschen leiden unter dem Phänomen, dass alle Menschen, die ihnen lieb und teuer sind, um sie herum wegsterben. Wie lang hält man diese Erfahrung wohl aus, wenn noch nicht alle Menschen unsterblich sind?

Uff, das sind dann doch einige Aspekte, die gegen ein ewiges Leben sprechen. Denn wir wollen gar nicht nur ewiges Leben, sondern auch noch ewige Jugend mit dazu! Wie so oft gibt es auch hier ein passendes Zitat, was es ganz wunderbar zusammenfasst:

Alle wollen alt werden, aber keiner will es sein.

– Gustav Knuth

Sind also selbst 125 Jahre zu hoch gegriffen? Lass es mich so formulieren: So lang ich würdevoll und selbstbestimmt leben kann, bin ich für jeden weiteren Tag dankbar und zu haben. Wenn ich mich so umschaue, hege ich jedoch meine Zweifel, ob wir dazu als Gesellschaft zu einem würdevollen Umgang mit Alter in der Lage sind. Zumindest aktuell sind wir davon noch weit entfernt. Doch das ist ein Thema für sich.

In diesem Sinne: Happy Halloween / Samhain / Día de Muertos!
Philipp

Abschied auf Raten

Regelmäßig stoße ich auf Verwunderung, wenn ich gestehe, dass mir Abschiede eher schwer fallen. Dabei sollte man meinen, ich sei sie gewohnt, wo ich doch schon so häufig umgezogen bin. Jetzt habe ich Abschied mal ganz anders erlebt: Stück für Stück.

Natürlich wusste ich schon, bevor ich überhaupt nach Lüneburg gezogen war, dass meine Zeit in der Hansestadt begrenzt sein würde. Aber irgendwie hat sich in dem schmucken Örtchen viel richtig angefühlt: Die Stadt an sich mochte ich ebenso wie die Tatsache, dass man schnell raus ins Grüne konnte. Die Arbeit war genauso toll wie das Kollegium. Dass ich rundum verpflegt wurde und mir nur am Wochenende Gedanken darum machen brauchte, was ich esse, hat mir sehr zugesagt. Etwas Sozialleben hatte ich auch, aber auch nicht zu viel, sodass auch noch ausreichend Zeit blieb, um sich um alles andere zu kümmern.

Ehrlich gesagt freute ich mich nach über fünf Jahren in Berlin auch darauf, endlich mal wieder umzuziehen und einen neuen Ort länger entdecken zu können. Gleichermaßen würde es ein Versuch werden, zwei Wohnsitze gleichzeitig zu unterhalten. Denn da ich wusste, dass meine Zeit in Lüneburg begrenzt sein wird, ergab es keinen Sinn, die gemeinsame Wohnung in Berlin aufzugeben. – So günstig und zentral würden wir nie wieder etwas finden. Alles war also aufregend!

Doch freilich war auch nicht alles gut: Beispielsweise, dass meine Liebsten im Grunde zu weit entfernt wohnen und man sich deshalb nicht so häufig sehen konnte. Die Wochenenden außerhalb Lüneburgs fühlten sich stets zu kurz an. Langfristig hätte ich auch nicht in der Wohnung bleiben wollen, sondern lieber in einem anderen Stadtteil gewohnt. Aber man kann eben nicht alles auf einmal haben!

In jedem Fall fühlte ich mich in Lüneburg sehr im Reinen und hätte das gern noch eine Weile fortgesetzt. Allerdings war mir ja klar, dass es einen Stichtag gibt, an dem ich umziehen werde. Also beschloss ich, alles rauszuholen, was geht, und es möglichst intensiv zu genießen. Und trotzdem bahnten sich die Abschiede schon recht früh an.

Den Anfang machte meine Mitbewohnerin bereits zwei Monate, bevor wir die Wohnung auflösen würden, indem sie Tag für Tag ein paar Dinge in den Flur stellte, die sie schon mal wegbringen wollte, damit sie nicht alles am Umzugstag machen musste. Den machte sie übrigens auch nicht am Ende des Monats, sondern schon ein paar Wochen vorher, weil sie dann in Lüneburg ohnehin nichts mehr zu tun hatte. Auch wenn das bedeutete, dass ich fortan auch nicht mehr auf Waschmaschine, Kühlschrank und Co. würde zugreifen können, konnte ich das gut nachvollziehen. Denn selbst hätte ich auch keine Lust gehabt, all ihr Gerödel zu transportieren. Entsprechend glücklich schätzte ich mich, nur die paar Sachen aus meinem Zimmer zu haben.

Sechs Wochen später räumte ich einen Mietwagen ein und staune nicht schlecht, dass der kleine Transporter von den “paar Sachen” am Ende doch bis unter die Decke voll ist. Die Fahrt verlief zum Glück bei Weitem nicht so anstrengend, wie ich erwartet hatte. Trotzdem war ich nach dem Einpacken, Einräumen, Fahren, Ausräumen, Auto zurückgeben und Auspacken überhaupt nicht so erholt, wie ich es nach einem Wochenende eigentlich hätte sein sollen.

Und an diesem Punkt merkte ich: Ehrlich gesagt habe ich keine Lust mehr auf Umzüge. Ja, nomadisches Leben macht Spaß, wenn man einfach mit wenigen Dingen von Ort zu Ort ziehen kann, ohne sich Gedanken über die Infrastruktur zu machen. Aber Wohnungssuche, Umzüge, Wohnungsauflösung, An- und Abmeldung von Ämtern, Behörden und Versorgungsgesellschaften bereiten mir einfach Null Freude.

Tatsächlich kam ich nach dem Umzug noch einmal zurück nach Lüneburg, denn es lagen noch zwei Wochen Arbeit vor mir. Den Umzug hatte ich nur so früh gemacht, weil ich ihn weder auf dem letzten Drücker erledigen, noch mir direkt vorm Marathon in Berlin aufbürden wollte. Also fand ich mich in der komplett leeren Wohnung ein, wo nur noch meine Seifenschale im Bad auf mich wartete. Mein Plan: Einfach auf der Isomatte schlafen. Essen gibt es ja auf Arbeit.

Das habe ich exakt eine Nacht lang durchgehalten. Bisher hatte ich die Isomatte nur auf weichem Rasen verwendet. Auf hartem Parkett erwies sie sich als völlig unbequem. Und so war ich sehr froh darüber, die restliche Woche das Hotelzimmers eines Kollegen in Anspruch nehmen zu können, der gesundheitlich ausgefallen war. Viel besser!

Und so endete meine Zeit in Lüneburg nicht nur mit einem Abschied auf Raten von der Stadt und dem Kollegium, was sich nach und nach ausdünnte. Es bahnte sich auch ein Abschied von einem Lebensmodell an, was ich lange Zeit verfolgte: In meiner jugendlichen Naivität träumte ich als Abiturient davon, eines Tages überall auf der Welt verteilt Wohnungen zu besitzen, um je nach Lust und Laune mal hier und mal dort sein zu können.

Davon habe ich mich jetzt verabschiedet. Woher der Sinneswandel? Allein das Unterhalten von zwei Wohnungen, von denen man jeweils nur eine gleichzeitig nutzen kann, empfinde ich als völlig unnötige Belastung und Ressourcenverschwendung. Dabei spreche ich hier nur von zwei Orten in Deutschland und noch nicht mal von den ganzen anderen Orten auf der Welt. Aber so oder so zahlt man zwei Mal Miete, Energiekosten, Internet und in meinem Fall auch noch Zweitwohnsitzsteuer. Davon lässt sich zwar einiges steuerlich absetzen, aber trotzdem handelt es sich zunächst um Geld, das man zunächst zusätzlich ausgibt und teilweise auch nie mehr wiedersehen wird. Von Arbeit und Energie, die man investiert, haben wir dabei noch nicht gesprochen.

Deshalb lautet meine Devise für sämtliche nomadischen Unterfangen der Zukunft: Eine Home-Base. Der Rest muss über Hotels und anderweitige Unterkünfte laufen. Das ergibt nicht nur finanziell mehr Sinn. Gleichzeitig nimmt man vor allem in Ballungszentren niemandem eine dringend gesuchte Wohnung weg.

Das Experiment Zweitwohnsitz erkläre ich hiermit für beendet.

Alles Liebe
Philipp

Blinde Flecken

Hin und wieder werden wir bezüglich unserer Werte, meist belehrend, auf inkohärentes Verhalten angesprochen. Plötzlich wird von Doppelmoral, zweierlei Maß oder Wasser und Wein geredet. Wie unangenehm, dabei ertappt zu werden. Aber davon bleibt wohl niemand von uns verschont. Also lasse ich heute sinnbildlich meine Hosen runter und offenbare meine blinden Flecken beim Minimalismus.

Warum ich das tue? Dafür gibt es mehrere Gründe:

  1. Leugnung halte ich für den falschen Weg. Auch ich bin nur ein Mensch mit Schwächen.
  2. Wenn man genauer darüber nachdenkt, entdeckt man womöglich doch die eine oder andere Stelle, wo man noch einmal reduzieren könnte.
  3. Auf der anderen Seite führt es im besten Fall deutlich vor Augen, welche Dinge (ja, damit meine ich dieses Mal tatsächlich Gegenstände) einem wichtig sind und wieso.

Natürlich fühle ich mich zunächst ertappt, wenn ich gefragt werde, was eigentlich aus meinem Minimalismus geworden ist. Die kurze Antwort lautet: Seitdem ich nicht mehr von WG zu WG ziehe, kann ich nicht mehr auf denselben Fundus an WG-Eigentum zurückgreifen. Entsprechend besitze ich selbst mehr Haushaltsgegenstände persönlich, seitdem ich in die erste eigene Wohnung gezogen bin. Darin liegt aber nur die halbe Wahrheit; vielleicht sogar nur ein Drittel.

Die anderen beiden Drittel lauten Hobbys, Interessen und Leidenschaften sowie Vielleicht kann ich das ja mal noch gebrauchen… – ja, ich weiß: Diesen Satz sollte man als Minimalist eigentlich aus dem eigenen Vokabular gestrichen haben.

Doch in der Realität geht es mir nicht nur um präsentablen Minimalismus, sondern womit ich mich selbst wohl fühle. Überhaupt nicht wohl fühle ich mich damit, unnötig Dinge zu entsorgen, um sie später noch einmal wieder zu beschaffen. Also hebe ich sie lieber auf. Und ehrlich gesagt gehe ich, seitdem ich nicht mehr alle paar Monate umziehe, nicht mehr durch meinen kompletten Besitz und sortiere aus. Das kann schon mal etwas länger dauern. Aber zwei Mal im Jahr passiert es in der Regel schon noch.

Nun noch zu meinen Hobbys, Interessen und Leidenschaften: Viele davon kommen ohne zusätzliches Zubehör aus: Blogging, Kino, Museumsbesuche, … Es gibt jedoch auch ein paar, die – leider – mit Gegenständen daherkommen:

  • Bücher – Selbstverständlich sind mir Bibliotheken vertraut und ich nutze sie auch sehr gern. Es gibt aber, das eine oder andere Buch (Oder sollte ich hier Dutzend von Büchern schreiben?), die ich gern persönlich besitzen mag, um jederzeit etwas in ihnen nachschauen oder sie einfach noch mal lesen zu können. Dabei bin ich mir überaus bewusst, dass ich die meisten Bücher eben doch nur ein einziges Mal lese und prinzipiell auch E-Books lesen könnte (Sogar einen E-Reader habe ich!), aber manchmal genügt mir das einfach nicht. Abgesehen davon: So sehr ich Dekoration auch meide, dekoriere ich die eigene Wohnung mit nichts lieber als mit Büchern. Und habe ich schon erwähnt, wie oft ich Bücher geschenkt bekomme (und mich darüber selbstredend nicht beklage 😉)?
  • Duplikate – Entgegen dem häufig genannten Tipp unter Minimalismus-Gurus, jedes Objekt nur einmal zu besitzen, handhabe ich das oft komplett andersherum, um mein Leben einfacher zu gestalten: Bei Kleidung verwende ich gern Duplikate der gleichen Modelle, um sie beliebig wechseln zu können und mir beim Einkleiden nie Gedanken machen zu müssen, was ich denn nun am besten tragen soll. Außerdem bewahre ich gern ein zweites Set an Kleidung (und Laufausrüstung) bei meinen Eltern auf, um bei Besuchen in der Erstheimat mit weniger Gepäck reisen zu können. Das Prinzip hat sich bewährt und ich sehe nicht, dass ich davon Abstand nehmen werde!
  • Fotografie – Freilich könnte man jetzt sagen, dass ich doch einfach mit meinem Smartphone Fotos machen könnte und oft genug stimmt das auch. Gelegentlich schätze ich es aber, eine Kamera mit Wechselobjektiven zu besitzen, wo ich mich wirklich nur auf die Fotos konzentrieren kann. Und seitdem ich mit Polaroid-Fotografie experimentiere, habe ich bei jedem Auslösen ein schlechtes Gewissen wegen der Materialschlacht, die daraus resultiert. Aber die Technik dahinter hat mich in ihren Bann gezogen!
  • Gesellschaftsspiele – Wer themenfremd ist, vermag sich gar nicht vorzustellen, was für eine Brandbreite an Vielfalt es an Gesellschaftsspielen gibt. Auch hier achte ich möglichst darauf
  • Küchenzubehör – Natürlich bin ich stets darum bemüht, das auf ein Minimum zu beschränken. Aber bei Plätzchen kommen dann doch einige Formen zusammen. Anstelle von Tüllen mit Kunststoffbeutel, verwende ich eine aus Edelstahl. Dieses Prinzip zieht sich in einigen Bereichen durch, wo ich auf Plastik verzichten möchte. Und überhaupt erfordern manche Spezialitäten bedauerlicher Weise ihr eigenes Werkzeug – oder es macht den Prozess einfach nur ungemein einfacher.
  • Paddeln – Mein Kajak dürfte sich mittlerweile amortisiert haben, auch wenn ich bei Weitem nicht so oft paddeln gehe, wie ich gern würde. Selbstreden kommt ein Kajak mit einiger Ausrüstung. Und der Trend geht aktuell zum Zweitkajak, denn man möchte ja auch nicht immer allein paddeln.
  • Rucksäcke und Taschen – Viel Zeit meines Lebens habe ich bereits darauf verwendet, den Heiligen Gral unter den Rucksäcken zu finden; den einen, der für alle Zwecke passt. Bisher komme ich wiederkehrend zu dem Schluss, dass es den schlicht nicht gibt. Folglich besitze ich mittlerweile ein buntes Sammelsurium an Rucksäcken und Taschen für verschiedene Zwecke: Tagesrucksack, Weekender, Handgepäcksrucks (der mittlerweile leider nicht mehr die Handgepäcksbestimmungen erfüllt), Tageswanderungsrucksack, Alpin-Rucksack, Trekking-Rucksack, wasserdichter Rucksack fürs Paddeln, … Aktuell habe ich mir ein Embargo für Rucksäcke auferlegt, damit es nicht noch weiter ausufert. Aber was soll ich sagen? Ich reise eben für mein Leben gern!

Das sind meine sieben blinden Flecken, die mir spontant in puncto Minimalismus auffallen. Dazu möchte ich anmerken, dass ich in allen Bereichen auch gern Dinge weggebe, die sich nicht bewähren: Wenn ich Bücher nicht für gut befinde, verschenke ich sie. Duplikate werden regelmäßig erneuert und aussortiert. Wenn ich merke, dass Ausrüstung bei den Kameras überflüssig ist, verkaufe ich sie wieder. Gleiches gilt für Gesellschaftsspiele, die ich nicht mag, wobei ich hier sogar oft vorab in einem Brettspielcafé zum Test spiele, bevor ich es kaufe, oder zumindest online Videos dazu anschaue, um zu beurteilen, ob es mir taugt. Bei Küchenzubehör sortiere ich aus, wenn Dinge kaputt gehen. Beim Kajak musste ich zum Glück noch nichts aussortieren. Jüngst konnte über Kleinanzeigen einen Rucksack, der den Reisetest nicht bestanden hat, sogar an jemanden abgeben, der ihn selbst verschenken wollte.

Insbesondere Letzteres ist mir bei allem Minimalismus wichtig: Wenn ich Dinge selbst nicht mehr benutze, möchte ich sie nicht einfach wegschmeißen, sondern, dass sie nach Möglichkeit noch weiter verwendet werden. Das bremst solche einen Entsorgungsprozess natürlich aus, aber alles andere kann ich mit meinem Gewissen nicht vereinbaren. Und wenn man genauer darüber nachdenkt, ist doch genau das ein guter Grund, nicht einfach so sorglos weiter Gegenstände anzuhäufen: Wenn man weiß, wie anstrengend es ist, sie wieder loszuwerden.

Jetzt interessiert mich, welche blinden Flecken du bei dir selbst kennst: In puncto Minimalismus oder vielleicht ja auch in anderen Wertebereichen. Teile sie gern in den Kommentaren.

Alles Liebe
Philipp

Einfach weiter funktionieren?

Heute vor einem Jahr hat das brutalste antisemitische Verbrechen seit dem Holocaust stattgefunden. Seitdem steht der Nahe Osten nahezu täglich im Fokus der Nachrichten – und ein Ende ist nicht in Sicht.

Im Sommer war ich da – aus familiären Gründen: Meine Quasi-Schwiegermutter wurde 60. Dieses Jubiläum zu feiern, fühlte sich wirklich seltsam an, auch wenn es den Spagat, den Israels Bevölkerung seit Jahrzehnten im Alltag praktiziert, nicht besser beschreiben könnte: Trauma auf der einen Seite, Lebenslust auf der anderen, denn eine wirkliche Wahl hat man nicht.

Dass diese Reise nach Tel Aviv anders als sonst werden würde, zeichnet sich bereits beim Verlassen des Flugzeuges vom Gangway ab. Der Kapitän meldet sich zu Wort; nicht etwa, um die übliche Flugroute anzukündigen, sondern, um auf die furchtbare Lage aufmerksam zu machen: “234 Tage sind vergangen, seitdem die Terrororganisation Hamas Israel überfallen, 1200 Menschen getötet und 250 Menschen, darunter Babys, Kinder, Senioren und Frauen, entführt, gefoltert und vergewaltigt haben. Noch immer sind 124 von ihnen in der Gewalt der Hamas.”

Dies setzt sich nicht nur am Flughafen, sondern während des gesamten Aufenthalts in Israel fort:

  • Bereits direkt nach dem Verlassen des Flugzeuges ist der Weg mit den Fotos und Namen der Opfer gezäumt.
  • Eine Installation mit militärischen Erkennungsmarken erinnert an die Verstorbenen.
  • Autos sind mit gelben Schlaufen und Seitenspiegelhüllen versehen. In den Fenstern der Autos hängen Fotos der Geiseln.
  • Plakate und Werbetafeln überall machen auf die Lage der Geiseln aufmerksam.
  • Die meisten Geschäfte nutzen ihre Schaufenster, um den Opfern zu gedenken.
  • Öffentliche Plätze wie der Dizengoff Square mit seinem unverkennbaren Springbrunnen sind mit Fotos, Kerzen und Kondolenzschreiben übersät.
  • Auch unscheinbare Ecken wie Baustellen werden für Installationen mit riesigen Plüschtieren verwendet, die blutige Wunden tragen.
  • Die meisten Israelis tragen solidarisch gelbe Schlaufen oder militärische Erkennungsmarken mit der Kernbotschaft, die auch Fenster, Straßenlaternen, Schilder, Gebäudefassaden, Straßen und jegliche freie Fläche trägt: BRING THEM HOME – NOW!

Im Zentrum der Stadt wurde den Opfern eigens ein Platz gewidmet. Dort befindet sich eine Installation mit einer langen Tafel, die für das jüdische Hochfest Pessach eingedeckt wurde. Doch bei genauerem Hinsehen wird klar: Der Tisch wirkt wie aus Beton und von Staub bedeckt – so wie die Tunnel, in die Opfer verschleppt wurden. Vor Ort kann man besagte gelbe Schleifen und Anhänger erwerben, um das Hostages and Missing Families Forum zu unterstützen, das sich unermüdliche für die Rückkehr der übrigen Geiseln einsetzt.

Wer bei militärischen Erkennunsmarken Sorge vor eskalierendem Militarismus hat, sei beruhigt. Denn die Organisation dahinter ist tatsächlich eine regierungskritische und setzt auf Verhandlungen: Ja, die Geiseln sollen nach Hause gebracht werden. Dass dies mit militärischen Mitteln geschehen soll, wird in keinem Wort erwähnt. Im Gegenteil: Die Organisation und Teilnehmende der andauernden Demonstrationen, die zumeist am Wochenende in den Nachrichten erscheinen, demonstrieren entschlossen gegen Netanyahus Politik und fordern einen Geiseldeal.

Parallel bemühen sich alle darum, Alltag weiterzuleben – sofern das denn geht. Hunderttausende wurden in die Reserve einberufen. Viele Geschäfte straucheln, weil ihnen die Angestellten fehlen. Das Land gerät in eine Starre, auch wenn der erste Schock überwunden sein mag. Gleichermaßen bemühen sich alle darum, sich nicht in eine depressive Spirale ziehen zu lassen. Israelis sind geübt darin, der ständigen Bedrohung ihre Lust auf Leben und Überleben entgegenzusetzen. Auch in düsteren Zeiten wird jeder Anlass zur Freude anerkannt und gefeiert – so gut es eben geht, während 60 Kilometer entfernt Krieg stattfindet.

Denn der Allgegenwärtigkeit des Konflikts kann man nicht entkommen. Das zeigt sich schon in kleinen Momenten; etwa beim Nutzen von Kartendiensten, die plötzlich anzeigen, dass man sich am Flughafen in Beirut befindet. Dahinter verbirgt sich ein taktisches Manöver der Israelischen Armee: Sie manipulieren GPS-Daten, sodass auf Israel abgefeuerte Raketen, die GPS verwenden, fernab der Landesgrenzen einschlagen. Oder im Einkaufszentrum, wo Schilder aufgehangen wurden, die Touris anweisen, bei Raketenalarm den Israelis zu folgen, weil die am besten wissen, was zu tun ist.

Das bringt mich zu einer grundlegenden Frage, die ich wiederkehrend gestellt bekomme: Hat man Angst, wenn man in Israel ist?

Meine Antwort dazu lautet nach wie vor Nein.

Das hat verschiedene Gründe:

  1. Israel verfügt im Gegensatz zu den übrigen Ländern über ein ausgezeichnetes Verteidigungssystem. Das der 07. Oktober 2023 passiert ist, hängt sicherlich nicht mit dem Verteidigungssystem, sondern menschlichem Versagen zusammen. Doch auch, wenn Israel wiederkehrend Opfer aufgrund von Angriffen zu vermelden hat, fallen diese wesentlich geringer aus als im Gazastreifen und im Libanon, weil Israel Technologie zur Verteidigung der eigenen Bevölkerung einsetzt.
  2. In Israel weiß die Bevölkerung, was in Notfällen zu tun ist. Diesen Eindruck bekomme ich in Europa nicht. Und ehrlich gesagt bin ich doch sehr verwundert darüber, wie Deutschland sich um die Opfer kümmert, die die deutsche Staatsbürgerschaft besitzen.
  3. Obwohl ich selbst nicht jüdisch bin, fühle ich mich in Berlin seit dem 07.10.2023 häufiger nicht sicher. Denn obwohl antisemitische Anfeindungen nicht mir persönlich gelten, erzeugen sie ein aggressives Klima, das uns alle betrifft.

Der Nahe Osten mag sich gar nicht so nah anfühlen, aber der Nahostkonflikt geht uns dann doch alle an – auch wenn wir nicht alle Familie und Freunde vor Ort haben. Sehr wahrscheinlich gibt es Menschen in deinem Umfeld, die direkt oder indirekt betroffen sind. Bitte bring Empathie für sie auf – unabhängig von der Nationalität. Sich um geliebte Menschen zu sorgen oder gar zu trauern, ist nie einfach.

Zum Ende unseres Aufenthalts gibt es dann doch noch eine erfreuliche Nachricht: Die Israelischen Streikräfte haben vier Geiseln aus dem Gazastreifen befreit. Das wird sogar direkt am Strand von den Rettungsschwimmern per Lautsprecher durchgesagt, sodass der gesamte Strand jubelt. Klar möchte ich mich freuen, aber so richtig gelingt es nicht. Denn es bleiben Fragen in meinem Kopf hängen: Zu welchem Preis wurden die vier Geiseln gerettet? Und wie steht es um die übrigen Geiseln?

Ehe ich mich versehe, befinde ich mich in Gedankenspiralen, wieso wir eigentlich permanent Leben quantifizieren und gegenüberstellen, als wären manche Leben mehr wert als andere. Stattdessen könnten wir auch deutlich sagen, wie es ist: Gewalt und Krieg sind Mist – für alle Betroffenen.

Das letzte Jahr hat mir noch einmal deutlicher vor Augen geführt, an wie vielen Stellen zweierlei Maß angelegt wird. Aber auch, wie fragil und schützenswert Demokratien sind. In Demokratien sollte man auch diskutieren können. Oft vermisse ich dabei jegliche menschliche Empathie, die sich zwischen binären Grundsätzen zerreibt. Ist es wirklich so schwer, anzuerkennen, dass Menschen auf beiden Seiten leiden und keines mehr aufwiegt als das andere? Die Welt ist nicht schwarz-weiß!

Sengende Hitze

Es ist September und in meinem Kopf ist der Sommer somit vorbei. Doch die Temperaturen sagen etwas anderes. Und ich muss für mich feststellen: Für den Klimawandel ist mein Körper nicht konzipiert.

Seit jeher argumentiere ich, dass Kälte besser auszuhalten ist als Wärme, weil man stets eine weitere Schicht anziehen kann, wenn man friert. Doch beim Ausziehen, weil man schwitzt, ist spätestens dann Schluss, wenn man nackt rumläuft. Leider wird das jedoch in vielen Situationen in unserer Gesellschaft nicht akzeptiert.

Was tut man also, wenn die Klimaanlage im Büro versagt, die Sonne einen aber dennoch unermüdlich durch die große Fensterfront und das schlecht isolierte Gebäude grillt, als wäre man eine Tofu-Wurst? Mein Körper hat darauf eine sehr deutliche Antwort: Da ich ohnehin schon über einen geringen Blutdruck verfüge, geht er bei Temperaturen ab 25°C noch weiter in den Keller und macht mich unfassbar schläfrig. Bei der einen oder anderen Besprechung in den letzten Wochen hatte ich mit Sicherheit hin und wieder einen Sekundenschlaf, ohne etwas davon zu merken. Und ich konnte nichts dagegen tun!

Freilich habe ich ein paar Tipps, aber die helfen auch nur begrenzt:

  • Mehr trinken! Da man mehr schwitzt, verbraucht der Körper mehr Wasser. Um nicht zu dehydrieren, muss man entsprechend noch einmal mehr darauf achten, in regelmäßigen Abständen nachzutanken.
  • Weite, luftige Kleidung tragen! Leinen ist im Sommer der beste Naturstoff, weil er Feuchtigkeit schnell aufsaugt und wieder trocknet, was dazu führt, dass Schweiß vom Körper schnell abtransportiert wird, man aber im Gegensatz zu Baumwolle auch nicht lang mit feuchter Kleidung umherläuft.
  • Fächer und/oder Ventilatoren nutzen! Auch wenn sie die Luft an sich nicht abkühlen, hilft es zumindest für den Abtransport von Wärme vom Körper schon, wenn ein Windchen weht.
  • Den Körper mit Wasser kühlen! Was für Computer funktioniert, kann für Menschen nicht verkehrt sein, oder? Nein, ich stelle mir hier nicht vor, dass wir Menschen Wasserschläuche entlang unseres Körpers legen, aber Kopf und Handgelenke unter kühles Wasser zu halten und die Füße in kühles Wasser zu stellen, hilft auch schon.
  • Lieber draußen statt drinnen arbeiten! Auch wenn ein Gebäude im Schatten steht, heizt es sich drinnen (vor allem bei schlecht isolierten Gebäuden mit viel Glas) deutlich schneller auf als draußen unter dem Schatten eines Baumes.
  • Geistig und körperlich anstrengende Arbeit in die kühlen Stunden legen! Das ist freilich nicht immer möglich, hilft aber ungemein, totz der Hitze fitter zu agieren. Da bei mir zuletzt nachmittags nichts mehr ging, ist es meines Erachtens nur eine Frage der Zeit, bis auch bei uns in Deutschland die tägliche Siesta Einzug halten wird, sodass viele von uns morgens und abends arbeiten und dazwischen ruhen, weil es anders nicht mehr geht.

Leider werden die Temperaturen auch in den kommenden Jahren und Jahrzehnten noch weiter steigen, weil es uns als Menschheit nicht schnell genug gelingt, die nötigen Schritte zu unternehmen, um dem Klimawandel etwas entgegenzusetzen. Deshalb werfe ich an dieser Stelle schon mal zwei weitere gesellschaftliche Konzepte in den Raum, die ich für diskussionswürdig halte:

  1. Extensive Sommerferien – Wenn man den Gedanken der Siesta weiterspinnt, sehe ich auch Potential dafür, dass der bearbeitenden Bevölkerung im Sommer aufgrund von Unwirtschaftlichkeit von vornherein frei gegeben wird. Wobei das noch viel zu romantisch klingt für das, was ich im Angesicht des Kapitalismus erwarte: Wenn die Temperaturen derart ansteigen, dass Arbeiten in den heißesten Monaten des Jahres, Juli und August, prinzipiell nicht mehr möglich wären, würden in diesen beiden Monaten alle Urlaub nehmen müssen. Dafür arbeiten wir wahrscheinlich den Rest des Jahres durch. Vielleicht werden dann auch sämtliche gesetzlichen Feiertage an den neuen klimatischen Bedingungen orientiert, anstatt sich an irgendwelchen kruden religiösen Bräuchen festzuklammern.
  2. Saisonales Nomadentum – Wenn all dies auch nicht mehr hilft, gibt es noch ein weiteres Konzept, das ich für möglich halte, wenngleich ich befürchte, dass es nur einem Teil der Bevölkerung möglich sein wird. Die Zugvögel leben es uns bereits vor: Wenn es kälter wird, ziehen sie in den Süden; wenn es wärmer wird, wieder in den Norden. Natürlich bin ich mir bewusst, dass dies nicht für jeden Beruf funktionieren wird. Gleichermaßen gebe ich zu bedenken, dass wir im Hinterkopf behalten sollten, dass mit zunehmender globaler Erwärmung, immer mehr Teile der Erde unbewohnbar werden. Entsprechend dürften sich neue “Hot Spots” (Oder sollte ich sie eher “Cool Spots” nennen?), an denen sich der Großteil der Menschheit ansiedelt. Eine neue Welle der Völkerwanderung könnte beginnen, die dazu führt, dass die Menschen vornehmlich zu den Polen des Planeten strömen.

Insbesondere der letzte Punkt mag aktuell absurd klingen, aber ist er das wirklich? Persönlich kann ich mir das auch jetzt schon vorstellen, wenn auch eher aus Gründen des Komforts als der Notwendigkeit heraus.

Jetzt interessiert mich deine Meinung: Wie gehst du mit der Hitze um? Was sind deine Strategien für die kommenden Jahre und Jahrzehnte? Und was hältst du von extensiven Sommerferien und saisonalem Nomadentum? Teile es gern in den Kommentaren!

Alles Liebe
Philipp

Was ist schon ein Jahrzehnt?

Diese Frage schießt mir in den Kopf, wenn ich mir vor Augen führe, dass mein Blog heute vor zehn Jahren online ging. Kaum zu glauben, dass das schon so lang her sein soll. Andererseits fasziniert mich auch, was ich in dieser Zeit alles erlebt habe.

Doch dieser Beitrag soll weder ein Best-of meiner Erlebnisse, noch eine statistische Auswertung werden. Vielmehr möchte ich einen Blick darauf werfen, wie es mir aktuell mit dem Blog geht und wo beziehungsweise wie ich seine Zukunft sehe. Denn offensichtlich hat sich Wo ist Philipp? thematisch verändert und insgesamt ist es um den Blog wesentlich ruhiger geworden, als dies zu Anfangszeiten der Fall war.

Das hängt nicht zuletzt damit zusammen, dass es in der Blogosphäre insgesamt stiller geworden ist. Als ich mit dem Bloggen begann, war die deutsche Blogosphäre eine rege Wohlfühl-Community, in der man sich angeregt mit Gleichgesinnten über Themen unterhalten konnte, die einen begeisterten. In meinem Fall waren das vornehmlich Minimalismus, Nachhaltigkeit und nomadisches Leben. Was ungemein zum Wohlgefühl beigetragen hat (und wahrscheinlich auch den Begriff Wohnzimmer des Internets prägte) war nicht nur die Vielfalt an kosten- und werbefreien Blog, sondern auch die Kommunikation auf Augenhöhe.

Mittlerweile hat sich das Angebot innerhalb der Blogsphäre sehr stark verdichtet und verschoben: Einerseits wurden viele Blogs früher oder später an den Nagel gehängt oder kommerzialisiert. Andererseits sind viele Angebote zu geschlossenen Plattformen im Rahmen von Social Media umgezogen. In beiden Fällen hat es dazu geführt, dass Beiträge auch abseits der Werbeunterbrechungen wie Werbung wirken. Damit mag ich jedoch meine Freizeit nicht verbringen.

Auch das Internet insgesamt hat sich in den letzten zehn Jahren stark verändert. Wenn ich es in einem Satz zusammenfassen soll, würde ich es so formulieren: Es macht keinen Spaß mehr. Schuld daran tragen vornehmlich: Kommerzialisierung, Trolle und Hasskommentare sowie nicht vorhandener Flow beim Konsumieren.

Mir ist durchaus bewusst, dass das Betreiben eines Blogs mit Kosten verbunden ist, die gedeckt werden müssen. Auch finde ich es völlig in Ordnung, wenn sich Menschen im Internet durch ihre Angebote professionell positionieren. Es führt aber leider auch oft dazu, dass ich nicht mehr Teil davon sein mag.

An dieser Stelle sollte ich betonen, dass ich hiermit nicht dass Ende von Wo ist Philipp? verkünde. Im Gegenteil: Ein wesentlicher Bestandteil des Konzeptes Blog besteht für mich darin, dass es langfristig angelegt ist. Aus dieser Perspektive ich auch den Titel gewählt.

Auch in Zukunft wird mein Blog werbefrei bleiben und kostenfrei zugänglich sein. Dafür nehme ich jedes Jahr etwas Geld in die Hand, aber das tut mir nicht weh und ist wohl investiert, weil ich nach wie vor gern blogge. Auch wenn auf dem bisherigen Weg viele Blogs aufgegeben wurden, erfreue ich mich hin und wieder an neuen Blogs und so einigen, die schon weit über die zehn Jahre hinaus existieren.

Thematisch werde ich mich fluide halten: Ergo schreibe ich darüber, was mich interessiert, inspiriert und bewegt. Da ich mit diesem Blog nicht meinen Lebensunterhalt bestreite, kann ich mir das leisten. Und ja, diese Freiheit genieße ich.

Danke sagen möchte ich den treuen Mitlesenden, Kommentierenden und all den wunderbaren Menschen, denen ich durch das Bloggen bereits im analogen Leben kennenlernen durfte. Darin besteht nämlich mein persönliches Highlight bei allen virtuellen Tätigkeiten: Wenn daraus zwischenmenschliche Beziehungen in der analogen Welt entstehen!

In diesem Sinne: Auf die nächsten zehn Jahre!

Alles Liebe
Philipp

Blogpause – Sommerferien mal anders

Wenn ich an die letzten Jahre zurückdenke, wollte ich meine Sommerpause ohnehin stets früher beginnen lassen. Dieses Jahr klappt es endlich mal!

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Gegen das Vergessen

Den Titel dieses Beitrags hast du wohl schon hunderte Male irgendwo gehört, gelesen oder anderweitig aufgeschnappt – sehr wahrscheinlich im Kontext des Holocaust. Letzte Woche ist mir jedoch bei einem entspannten Mittagspausengespräch ein bei Weitem nicht so entspannender Gedanke gekommen: Wir (Menschen) vergessen ständig das Leid anderer – völlig unbeabsichtigt. Doch was lässt sich dagegen tun? Mit bloßer Dokumentation ist es meiner Meinung nach nicht getan.

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