Diese Woche endete der alljährliche, aber dennoch unregelmäßige Frühjahrs-Sale bei Interrail. Während meine Laune beim Gedanken an das Interrail-Ticket allem voran sehr nostalgisch wird, kann man das Interrail-Ticket natürlich auch einfach als das betrachten, was es im Kern ist: Eine hochpreisige Zugfahrkarte. Oft genug kommt bei meinen Reiseberichten die Frage auf, ob sich das Ticket gelohnt hat. Da gerate auch ich jedes Mal wieder ins Grübeln: Kaufen oder nicht? Deshalb schaue ich heute – all meinen positiven Gefühlen zum Trotz – einmal genauer drauf.
Vorab möchte ich jedoch warnen: Eine pauschale, allgemeingültige Antwort darauf habe ich nicht. Unabhängig davon, wage ich eine Empfehlung für verschiedene Erwartungshaltungen und Reisetypen.
Erfahrungswerte
Das Interrail-Ticket habe ich bereits in einigen Konstellationen genutzt:
- 2007 bei meiner ersten eigenen Reise nach London, Paris, Marseilles und Straßburg in elf Tagen
- 2012 bei meiner einmonatigen Reise nach Großbritannien
- 2022 bei meiner elftägigen Reise in Italien
- 2023 bei meiner einmonatigen Reise nach Portugal und zurück
Dass ich das Angebot zwischendurch zehn Jahre lang gar nicht genutzt habe, liegt vor allem daran, dass ich zwischen 2014 und 2019 jede Möglichkeit genutzt habe, nach Israel zu reisen, nicht am Ticket selbst. Abgesehen davon hat sich das Angebot nicht nur im preislichen Rahmen (alle wird teurer, das Interrail-Ticket insbesondere im Alter von 28 bis 59 Jahren), sondern auch bei der Umsetzung stark geändert. So gab es 2007 noch ganz andere Regeln als heute (man denke nur an die beliebte 19:00-Uhr-Regel, um Reisetagen zu sparen) und man musste in ein Ticket händisch die Reisetage eintragen. Mittlerweile läuft das alles digital und intuitiv in einer eigenen App.
Welche Pässe gibt es?
Prinzipiell gibt verschiedene Interrail-Tickets für verschiedene Bedürfnisse. Grob unterteilen kann man sie in die Global Passes und die One Country Passes. Während man mit ersteren in allen teilnehmenden Ländern reisen kann, gelten letztere – wie es der Name schon suggeriert – lediglich in einem Land. Dafür sind sie auch erschwinglicher. Allerdings muss man sich noch darum kümmern, wie man in das Land selbst gelangt. Oft helfen hier die Europa-Spezial-Preise der teilnehmenden Bahngesellschaften.
Weiterhin kann man unterscheiden zwischen den Pässen, in denen man jeden Tag als Reisetag nutzen darf (Continuous Pass) und jenen, die innerhalb eines bestimmten Zeitraums eine begrenzte Anzahl an Reisetagen erlauben (Flexi Pass). Ersteres habe ich bis dato noch nie genutzt, weil ich mich nicht jeden Tag an einen anderen Ort reisen sehe, sondern gern auch an Orten verweile.
2007 nutzten mein Cousin und ich einen Global Pass für fünf Reisetage innerhalb von zehn Tagen. Das genügte uns anno dazumal. Heute reise ich wesentlich langsamer und würde entsprechend großzügigere Zeiträume wählen. Interrail hat sich dahingehend angepasst und bietet alle Flexi-Pässe unabhängig von der Anzahl der Reisetage für die Dauer von einem Monat oder sogar mehreren Monaten an. Das kann man ausreizen, muss aber natürlich nicht.
Erwartungen
Die Frage, ob sich ein Interrail-Ticket lohnt, würde ich prinzipiell mit Ja beantworten. Allerdings spielen die individuellen Erwartungen und Kriterien eine wesentliche Rolle. Da ich…
… gern langsam reise,
… dabei ökologisch möglichst nachhaltig sein möchte,
… das Prozedere an Flughäfen und die Rahmenbedingungen von Flügen nicht ausstehen kann,
… nicht gern Auto fahre,
… aber nicht immer ausreichend Zeit dafür habe, alle Strecken zu Fuß zurückzulegen,
… sind Züge für mich das ideale Transportmittel.
Gleichermaßen bin ich mir bewusst, dass es nicht immer das Transportmittel der Wahl aller anderen ist und sie ihre Gründe dafür haben. Auch möchte ich betonen, dass wir zunächst einmal definieren sollten, was eigentlich genau gemeint ist, wenn es darum geht, ob sich das Interrail-Ticket lohnt oder nicht. Lohnt es sich finanziell oder lohnt es sich der Erfahrung wegen? Darin sehe ich zwei verschiedene Paar Schuhe. In beiden Fällen lohnt es sich nicht immer.
Wann lohnt sich Interrail finaziell?
Betrachtet man das Ticket finanziell, steht dem entgegen, dass man ja auch alle Fahrten einzeln buchen könnte. Hierbei steht dann die Frage im Raum, wie flexibel man bei der Reiseplanung unterwegs sein möchte. Außerdem benötigt man für die meisten internationalen Bahngesellschaften Reservierungen für Züge des Fernverkehrs – auch mit Interrail. Die sind zwar schneller, kosten aber je nach Land teilweise noch mal zusätzlich. Gleichzeitig geht mit der Reservierung ein Teil der Flexibilität verloren, jeden Tag neu entscheiden zu können, ob man nun fährt oder noch bleibt.
Aus finanzieller Sicht empfehle ich Interrail-Tickets deshalb vor allem dann, wenn man:
- viel Strecke zurücklegen möchte
- unterwegs an vielen Orten anhalten möchte
- nicht auf Fernverkehrszüge angewiesen ist
- viel Zeit mitbringt
Insbesondere der letzte Punkt macht deutlich, dass sich ein Interrail-Ticket finanziell erst so richtig rechnet, wenn man möglichst lang unterwegs ist. 2022 verbrauchte ich beispielsweise nur die Hälfte meiner vier Reisetage, weil ich aus Gründen mehrfach meine Reisepläne änderte und länger an Orten verweilte, weil es mir dort so gut gefiel. Letztlich hätte ich die Strecke also auch kostengünstiger zurücklegen können. Gleichermaßen bot sich mir so ein maximales Maß an Flexibilität.
Wann lohnt sich Interrail als Erfahrung?
Deshalb möchte ich den Blick noch auf den Aspekt der Erfahrung lenken: Reisen in Zügen sind so viel entspannter als in einem Flugzeug. Keine Warteschlagen an Flughäfen, man sitzt nicht wie Hühner auf einer Stange, kann sich unterwegs die Beine vertreten, hat keine Probleme mit dem Druckausgleich, bekommt mit, wie sich die Landschaft verändert und kann unterwegs Spiele spielen, lesen und sich richtig gut unterhalten. (Zumindest mir gelingt das in Flugzeugen nie, weil ich meist einschlafe und dann mit furchtbar steifem Nacken erwache, wenn zur Landung angesetzt wird.) Durch Umstiege und Halte unterwegs stößt man auf Regionen, Landschaften und Städte, die einem aus der Vogelperspektive komplett entgangen wären. Und schließlich kann man stets vom Stadtzentrum aus starten und kommt auch dort an, statt irgendwo jwd.
In puncto Erfahrungswert empfehle ich Interrail-Tickets also, wenn man:
- unterwegs spontan die Möglichkeit haben möchte, die Reiseroute zu ändern
- möglichst viel von Land und Leuten sehen möchte
- vom Flughafenprotokoll die Nase voll hat
- ausreichend Zeit mitbringt (Zwei Wochen aufwärts empfehle ich schon!)
Wie viel Zeit brauche ich?
Aufmerksam Lesenden dürfte aufgefallen sein, dass ich den zeitlichen Aspekt mehrfach anspreche. Das liegt einerseits daran, dass es meiner Erfahrung nach bei meinem Reisetempo unter zwei Wochen keinen Sinn ergibt, ein Interrail-Ticket (Global Pass) zu nutzen, weil ich dann entweder nicht die vier Reisetage ausnutze oder an keinem Ort ausreichend verweilen werde. Stattdessen würde ich aus heutiger Perspektive eher länger an einem Ort verweilen und nur Einzelfahrten hin und zurück (und gegebenenfalls einen One Country Pass) buchen. Mit einem Monat kann man schon einiges anfangen. Bei unserer Reise nach Portugal hatte ich jedoch sogar das Gefühl, dass wir im Grunde noch mehr Zeit benötigt hätten, wenn man die Distanz berücksichtigt. Denn im Grunde wären wir überall gern eine Woche am Stück geblieben. (Und auch dafür gibt es die entsprechenden Tickets.)
Andererseits liegt es aber auch an einem Problem der europäischen Bahnen: Diese entstammen einer Zeit, als jedes Land in Europa seinen eigenen Brei gekocht hat. Entsprechend gibt es teilweise verschiedene nicht kompatible Spursysteme. Diese nötigen Fahrende auf Regionalbahnen zurückzugreifen und Orte in der Pampa Spaniens kennenzulernen. Aber auch das gehört zum Abenteuer dazu. :)
Das Problem mit den Reservierungen
Probleme gibt es zwischen den einzelnen Bahngesellschaften übrigens noch mehr: Nicht alle Länder haben nur eine dominierende Bahngesellschaft, sondern viele kleine. Die Buchungssysteme funktionieren ebenso unterschiedlich wie der Leistungsumfang mit Interrail-Ticket.
Ein prominentes Beispiel dafür sind Reservierungen. Aus Deutschland kommend, ist man es gewohnt, dass man seine Fahrkarte auch ohne Reservierung eines Sitzplatzes nutzen kann. Das führt im Zweifelsfall eben dazu, dass man zwar mitfahren darf, aber keinen Sitzplatz hat.
In anderen Ländern (beispielsweise Frankreich, Italien und Spanien) benötigt man für alle Fernverkehrszüge eine Sitzplatzreservierung und erhält diese automatisch beim Kauf einer Fahrkarte dazu. Gibt es keine Sitzplätze mehr, können hier entsprechend auch keine Fahrkarten mehr erworben werden. Das sorgt nicht nur für angenehm gefüllte Züge, sondern meines Erachtens auch für mehr Sicherheit.
Da man beim Interrail-Ticket jedoch keine individuellen Fahrten gekauft hat, sondern ein Pauschalangebot nutzt, muss man in besagten Ländern manchmal noch Reservierungen erwerben und kann ausverkaufte Verbindungen auch mit Interrail-Ticket nicht ohne Reservierung nutzen. Das geht teilweise über die App mit Gebührenzuschlag. Aus Deutschland kommend ist man gewohnt, dass das ganz entspannt im Internet beziehungsweise in der App funktioniert. In anderen Ländern ist das aber nicht immer der Fall. Stattdessen muss man sich an Schaltern anstellen, was zeitintensiv sein kann.
An dieser Stelle würde ich mir wünschen, dass die Bahngesellschaften der teilnehmenden Länder enger zusammenarbeiten. Wie schön wäre es, wenn es Deutschland das Reservierungsprinzip der anderen Länder übernehmen würde? Nie wieder überfüllte ICEs und stets ein Sitzplatz! Gleichermaßen wünschte ich, Länder wie Italien und Spanien würden die Online-Funktionalität der Deutschen Bahn übernehmen.
Tipps & Tricks
Über die Jahre hinweg haben sich zwar einige Details bei Interrail geändert, aber folgende Tipps helfen unabhängig vom genauen Regelwerk:
- Um bei den Reservierungen Zeit zu sparen, empfehle ich das die Websites der lokalen Bahngesellschaften. Viele verfügen über eine englischsprachige Version.
- Ist dies nicht möglich und/oder Geld spielt keine Rolle, kann man auch ganz bequem die Reservierungsfunktion in der App Rail Planner nutzen. Der Aufschlag hält sich in Grenzen (circa drei Euro).
- Funktionieren weder 1.) noch 2.), bleibt nur noch der Gang zum Schalter an einem Bahnhof des Landes. Um Zeit zu sparen, rate ich, sich an einem gewissen Punkt der Reise auf bestimmte Reisetage festzulegen und alle Reservierungen des Landes in einem Rutsch durchzuführen.
- Wem der finanzielle Aspekt wichtig ist, sei geraten, die Preise für Zugfahrkarten bis zu sechs Monate im Voraus zu prüfen und für die geplante Route mit den Preisen für entsprechende Interrail-Tickets abzugleichen. Die App Rail Planner hilft auch hier, unverbindlich die Route zu planen und die Kosten zu ermitteln.
- Oft gibt es zum Ende beziehungsweise Beginn eines Kalenderjahres Rabatte auf Interrail-Tickets, meist zwischen 10% und 20%.
Der Vollständigkeit halber, möchte ich noch die Website von Interrail verlinken. (keine bezahlte Werbung) Man kann die Tickets auch über die lokalen Bahngesellschaften erwerben, wird dann aber ohnehin auf Interrail verlinkt. Sehr nützlich finde ich auf der Website jedoch diese interaktive Streckenkarte sowie das dort verlinkte PDF, um bei der Planung einen schnellen Überblick über Fahrtzeiten zu erhalten und sich inspirieren zu lassen.
Interrail – Ein Symbiosemodell für die Zukunft?
Hoffentlich konnte ich den Eindruck einer romantischen Verklärtheit meinerseits für das Interrail-Ticket etwas abwenden. :) Unabhängig davon hoffe ich auf noch viele weitere Reisen im Zug – ob mit Interrail oder ohne.
Tatsächlich kann ich mir vorstellen, dass Interrail ein Modell für die Zukunft werden kann und es mehr Menschen einfach nur als internationales Ticket nutzen, um innerhalb Europas von A nach B zu gelangen, wenn bei allen Menschen angekommen ist, dass wir uns Flüge aus ökologischer Sicht langfristig nicht leisten können.
Darüber hinaus sehe ich in Interrail aber auch großes Potential für die nationalen Bahngesellschaften, verstärkt auf europäischer Ebene zusammenzuarbeiten und Synergien zu verstärken. Denn aktuell verfügen vor allem in Zentraleuropa viele Länder über ein hervorragend ausgebautes Netz. Was wäre erst möglich, wenn das europäische Schienennetz auch über Grenzen hinweg großartig wäre, sodass man unkompliziert von Sagres in den Osten der Türkei oder ans Nordkap reisen kann?
Bist du selbst schon mit Interrail verreist? Was verbindest du damit? Oder was hindert dich? Teile deine Erfahrungen, Tipps und Bedenken gern in den Kommentaren!
Alles Liebe
Philipp
PS: Letztlich habe ich kurz vor Ablauf des Sales noch ein Interrail-Ticket für vier Reisetage (Global Pass) erworben, ohne eine genauen Reiseplan dafür zu haben. Da ich den ersten Reisetag lediglich binnen der nächsten elf Monate antreten muss, wird sich mit sehr großer Wahrscheinlichkeit eine Möglichkeit für eine Reise bieten. Jetzt habe ich zumindest noch einen Grund mehr, zumal ich für dieses Jahr noch gar keine Reise habe, bei der ich einen mir noch unbekannten Ort bereise. :P
Nicole
10/03/2024 — 16:53
Hallo Philipp,
danke für die ausführliche Abwägung zwischen Pro und Contra und vor allem, dass du auch die Schwierigkeiten mit aufgeführt hast.
Aus Sicht einer Person, die das Ticket zwar noch nicht selber genutzt aber schon mehrfach verkauft hat, kann ich sagen, dass du wohl an alle wichtigen Punkte gedacht hast :-)
liebe Grüße, Nicole
Philipp
15/03/2024 — 20:15
Hallo Nicole,
vielen Dank! Es beruhigt mich ungemein, das von einem Profi aus der Reisebranche zu lesen!
Lieber Gruß
Philipp
Queen All
15/03/2024 — 06:14
Ich fand Zugreisen immer super entspannt und denke (sehr verklärt) an zwei Wochen in Schottland mit dem Zug zurück. Heute ist Bahnfahren leider ein einziges Ärgernis aus Zugausfällen und Verspätungen, da braucht es nicht mal Streiks dazu. Für längere Reisen sollte neben einem großzügigen Puffer auch noch eine gehörige Portion Gelassenheit im Gepäck stecken 😉
Philipp
15/03/2024 — 20:18
Hallo Vanessa,
da hast du wohl Recht, aber ehrlich gesagt geht mir das bei anderen Verkehrsmitteln nicht anders, nur stressen die mich allein durch die Rahmenbedingungen. In Zügen bin ich hingegen immer tiefenentspannt. :)
Herzlicher Gruß
Philipp