7 Gründe, warum man auf Reisen die Kamera zu Hause lassen sollte

Welche Dinge nimmst du auf jeden Fall auf Reisen mit? Kleidung, Hygieneartikel, Reisepass, Geld und … die Kamera? Warum es sogar vorteilhafter ist, wenn du sie nicht dabei hast und warum ich diese Meinung als Filmemacher vertreten kann, erfährst du in den folgenden sieben Gründen.

Es begab sich vor etwas mehr als zehn Jahren, als ich eine meiner besten Freundinnen in Madrid besuchte. Voller Freude auf den damals unbekannten Ort, hole ich jedes Mal meine Kompaktkamera hervor, wenn mich ein Anblick verzückte, wie ich es sonst auch gewohnt war. Allerdings hatte ich dieses Mal das Ladegerät für die Akkus vergessen. Sobald ich das feststellte, veränderte sich mein Fotografieverhalten während der Reise grundlegend: Ich zückte die Kamera nicht mehr bei jedem beachtenswerten Bauwerk und experimentierte mit Kadrierung und Einstellungen herum, bis ich nach hunderten Auslösern den richtigen Treffer gelandet hatte. Stattdessen beschränkte ich mich auf die Momente, wo ich die Bildwirkung bereits vor meinem inneren Auge einen Moment des Staunens hinterließ, stellte geschwind alles ein und gab jedem Motiv genau einen Versuch ob des Endes der Batterielaufzeit. Nichtsdestotrotz war der Akku lange vor Ende der Reise aufgebraucht. Was tat ich also?

Grund #1: Für schöne Erinnerungen braucht man keine schönen Fotos.

Natürlich die Reise weiterhin in vollen Zügen genießen. Habe ich deshalb weniger schöne Erinnerungen an sie? Nicht im Geringsten. Meines Erachtens lebte ich sogar mehr im Moment, weil ich den Großteil der Zeit nicht darauf bedacht war, schöne Momente mit dem Sensor einzufangen und mich stattdessen darauf konzentrierte, es mit den mir zur Verfügung stehenden Mitteln zu tun: Meinen Sinnen.

Grund #2: Mit weniger im Gepäck reist es sich leichter.

Egal ob es die Kompaktkamera oder eine mit Wechselobjektiven ist: Nichts macht das Gepäck leichter als all die Dinge, die man zu Hause lässt. Alle technischen Geräte inklusive Zubehör wie Ladegeräten läppern sich sowohl in Hinblick auf Gewicht als auch Raum zusammen. Außerdem halten sie nicht nur als physischer, sondern auch als psychischer Ballast auf. Je teurer die Ausrüstung, desto mehr Sorge, dass etwas passieren könnte. Unbeschwertes Reisen sieht anders aus.

Grund #3: Das Foto, das man machen möchte, bekommt man eh nicht hin.

Sei es wegen einer fehlenden Optik, all der Menschen im Foto, weil man eigentlich drei Meter höher stehen müsste, oder weil das Stativ nicht mehr ins Gepäck gepasst hat: Irgendeinen Grund gibt es immer, warum das Foto nun doch nicht so aussieht, wie man es sich vor dem inneren Auge vorgestellt hat.

Grund #4: Das Motiv wurde schon Millionen Male abgelichtet.

Instagram beweist wieder und wieder, dass insbesondere Sehenswürdigkeiten bereits aus allen erdenklichen Winkeln zuhauf auf Film bzw. den Sensor gebrannt wurden. Ist die eigene Perspektive wirklich so anders, dass man selbst noch zum unendlichen Strom beitragen will?

Grund #5: Weniger Fotos, mehr Zeit.

Das erklärt sich von selbst: Fotos, die nicht geschossen werden, beanspruchen nicht nur während, sondern auch nach der Reise keine Zeit mehr, denn sie brauchen nicht sortiert und bearbeitet zu werden.

Grund #6: Alles ist endlich.

So, wie es sich mit Besitz verhält, gestaltet es sich auch mit Fotos: Wenn man nicht aufpasst, werden sie im Laufe des Lebens mehr und mehr. Digitale Fotografie hat dafür Tor und Angel geöffnet. Der nötige Platz (entweder in Form von physischem Raum für Fotoalben, Speicherplatz auf Medien oder in der Cloud) lässt sich zwar in begrenztem Umfang erweitern, mehr Zeit, um all die Fotos zu würdigen, bekommen wir deshalb aber nicht.

Grund #7: Man schaut sich die Fotos eh nicht mehr an.

Letztlich habe ich von meiner Zeit aus Madrid noch neun Fotos übrig. Jedes davon verankert eine bestimmte Erinnerung. Unabhängig davon trage ich aber noch viele andere in mir: Die Intergambio-Gruppe und das Konzert, die ich mit meiner Freundin besucht hatte, ungewohnte Pop-Musik in der Disko, die an Intros für Animes erinnert, die Titanic-Austellung mit geborgenen Artefakten, eklige Beilagen in Bars, eine neue Bedeutung für Neapolitaner, neue Menschen, deren Stimme ich auch heute noch in meinem Kopfe höre, obwohl sie längst nicht mehr leben und wir nur so kurze Zeit zusammen geteilt haben, um nur einige zu nennen. Um mich daran zu erinnern, benötige ich keine Fotos. Entsprechend selten schaue ich sie auch an.

Der Anti-Grund: Wann lohnt es sich trotzdem, eine Kamera mitzunehmen?

Versteh mich nicht falsch, ich liebe es selbst, den ganzen lieben Tag zu fotografieren. Die Frage dahinter lautet aber, warum wir so verbissen darauf sind, besondere Momente in einem Bild festzuhalten. Als Gedächtnisstütze für die Zukunft, mit wem wir wann was unternommen haben, wenn wir eines Tages selbst nicht mehr darauf kommen? Als Dokumentation, um zu beweisen, wie kulturell bewandert wir sind? Weil wir die Schönheit einer Aufnahme so schätzen? Oder etwa wegen unser künstlerischen Ader?

Eine Reise inspiriert, ohne Frage. Doch tun es all die Fotos, die uns heute im Alltag umgeben, auch noch? Seit Jahren besitze ich keine andere Kamera mehr als mein Handy. Und doch stoße ich immer wieder an meine Grenzen und sehne mir eine vernünftige Kamera herbei. Andererseits frage ich mich auch, wofür eigentlich: Freilich nutze ich sie für meinen Blog, allerdings bezeugt das Internet auch regelmäßig, wie inflationär Bilder unseren Alltag überschwemmen. Lohnt sich eine solche Investition überhaupt, wenn ich doch genauso gut für das Geld verreisen könnte?

Für jeden der oben genannten Gründe finde ich ein Gegenargument:

  • Fotos können aufmuntern, wenn man mal nicht so gut drauf ist und etwas Aufheiterung gebrauchen kann.
  • Anstelle der Kamera kann ich ja auch einfach mein Handy nehmen.
  • Womöglich liegt in der Herausforderung, allen Einschränkungen zum Trotz ein tolles Foto zu erzielen, ja sogar die Kunst? Und ein begrenzter Akku kann dem ganzen ja noch eine erfrische Retroprise verleihen: Dann ist man trotz schier unbegrenztem digitalen Speicher angehalten, sich genau zu überlegen, was man ablichten möchte und was nicht.
  • Der Buchstabe A wurde auch schon Millionen Male geschrieben. (Allein in diesem Absatz befinden sich neun Stück.) Dennoch ist er aus dem deutschen Wortschatz nicht wegzudenken.
  • Durch die Linse kann man einen Ort noch einmal auf ganz neue Art entdecken und sich noch stärker in ihm verlieren.
  • Fotos zu sortieren kann ist auch eine Art, das Erlebte zu verarbeiten.
  • Offentsichtlich sehe ich Fotos doch wieder und wieder an, wenn es auch nur sei, um weiter zu sortieren, welche mir noch etwas bedeuten. (Wie verändert das im Nachhinein eigentlich unsere Wahrnehmung von Reisen, wenn wir immer wieder nur ausgewählte Fotos sehen?)

Gleich ob auf Reisen oder nicht, gibt es verschiedene Motive, warum wir Menschen Bilder machen. Dein persönliches geht mich nichts an, aber solang man Freude an Fotografie hat und nicht nur um ihretwillen vor sich hinknipst, sehe ich keinen Grund, warum man sich davon abwenden sollte. Nichtsdestotrotz halte ich es es für sinnvoll, einmal zu hinterfragen, ob es dieses Foto wirklich braucht und wozu ich die Kamera eigentlich mitnehme oder hervorhole.

Sollen Handys die Lösung für alles sein?

Heutzutage liefern auch Handys eine brauchbare Fotoqualität ab und dürften für viele Alltagsanwendungen genügen. Praktischer Weise haben wir sie ohnehin immer dabei und können so nicht nur ohne große Aufbauten den Auslöser drücken, sondern die Ergebnisse auch jederzeit teilen – ob offline oder im Internet. Außerdem vereinfachen sie Reisen, denn neben der Kamera bieten sie Navigation, Recherche vor Ort, Buchungen, Tickets, Übersetzungen, Reisetipps und vieles mehr. Und in die Hosentasche passt es auch noch.

In Hinblick auf Fotografie empfinde ich die eingeschränkten Möglichkeiten wiederkehrend als störend. Über mehrere Brennweiten verfügen mittlerweile einige, aber blinde Bedienung, Langzeitbelichtung und richtige Telebrennweiten vermisse ich nach wie vor. Von Rauschverhalten möchte ich gar nicht erst anfangen.

Nicht zuletzt sorgt ein Handy dafür, dass man weniger frei reist: Ein Klick genügt, um mittels Telekommunikation in den Alltag geholt zu werden. (Wer schon mal just in dem Moment angerufen wurde, als man eigentlich auf den Auslöser drücken wollte, weiß, wovon ich rede…) Für mich gehört das Umherirren, um neue Orte zu entdecken, unweigerlich zum Reisen dazu. Doch mit Handy passiert das eher selten, denn allzuoft gehen wir damit auf Nummer sicher, bloß nicht unsere Komfortzone zu verlassen. Wie soll man da vom bereits Bekannten loslassen? Dann doch lieber einfach mal abschalten.

Wie handhabst du es mit der Fotografie auf Reisen? Kannst du gut darauf verzichten oder dir eine Reise ohne gar nicht vorstellen? Teile deine Meinung gern in den Kommentaren.

Alles Liebe
Philipp

4 Kommentare

Antworten

  1. Hallo Philipp,
    ich bin in der Hinsicht wohl noch sehr altmodisch. Ich fotografiere gern auf Reisen, selektiere aber inzwischen. Trotz Digitalität mache ich nicht mehr 100 Fotos von einem Motiv, sondern 1 oder 2 und genieße dann auch den Moment. Bzw. andersrum. Ich genieße und halte dann fest. Auf der Safari in Namibia saß ich z.B. einfach in dem Wagen, während meine Mitreisenden damit beschäftigt waren, irgendwie TIerselfies, und andere Tierfotos zu schießen und irgendwann bei 500 Fotos waren (kein Witz!), hatte ich gerade mal 20 Fotos, wovon ich dann wiederum auch gleich abends 10 gelöscht habe, weil verwackelt, und die restliche Zeit habe ich den Moment genossen. Die Atmosphäre. Die Fotos sortiere ich dann zu Hause und – ganz altmodisch und unminimalistisch – lasse ich sogar die ausgewählten Fotos entwickeln und bastel ein Fotoalbum. Dazu kommen Eintrittskarten, Karten mit den eingezeichneten Wegen, andere Erinnerungen an die Reise. Diese Alben sind bei mir alle sortiert und ich schaue sie mir auch regelmäßig an. Allein, oder mit meinen Nichten /Neffen,… Die schönsten und intensivsten Erinnerungen sind tatsächlich auch ohne Foto present, Fotos helfen aber ab und an, die Erinnerungen wieder nach vorn zu holen. :-)
    Auf den meisten Reisen habe ich aber auch nur noch mein Handy dabei. Lediglich auf Reisen, bei denen ich weiß, dass ich einen guten Zoom benötige (z.B. bei Safaris) da kommt meine Spiegelreflex ins Gepäck.
    Ich denke, dass ein Mittelding ganz gut ist. Fotografieren ja, aber eben nicht alles und jeden und vorher kurz drüber nachdenken.
    LG Nicole

    • Hallo Nicole,

      Fotoalben scheinen zwar erstmal altbacken, sind doch aber eine wunderbare Art, die eigenen Fotos wertzuschätzen! Und das Blättern und Erzählen empfinde ich als wesentlich sozialer als das bloße Teilen in einem Netzwerk. Das schafft familiäre Momente.

      Ich weiß ehrlich gesagt nicht, wo ich mich selbst auf der Skala zwischen 20 und 500 Fotos auf einer Safari in Namibia einstufen würde. Wahrscheinlich würde ich lieber eine Trekking-Tour unternehmen, damit ich sowohl den Eindrücken als auch dem Fotografieren genügend Zeit einräumen kann. :)

      Lieber Gruß
      Philipp

  2. Irgendwann habe ich mich dran erinnert, dass meine Überlegung zu analogen Fotografie-Zeiten maximal war, ob ich einen 24er oder 36er-Film mit in den Urlaub nehme. Meistens war es ein 24er-Film, weil es sonst ja nach dem Urlaub so lange dauert, bis der 36er Film endlich voll ist…. 😂
    Fotos sind schöne Erinnerungen, aber manches können sie einfach nicht wiedergeben. Daher genieße ich mitunter lieber intensiv und habe Situationen als innere Bilder im Gedächtnis.

    • Hallo Gabi,

      da sagst du was! Ich erinnre mich noch sehr gut daran, wie sparsam ich früher mit Film umgegangen bin, weil ja jede Rolle und auch die anschließende Entwicklung extra kostete.

      Mit den Eindrücken, die Fotos nicht wiedergeben können, gebe ich dir vollkommen Recht! Insbesondere was Fotos von Buffets auf Reisen oder bei besonderen Anlässen anbelangt, verstehe ich nicht, wie daraus eine ganze Gattung auf Fotoplattformen werden konnte. Auch ich habe schon Selfies mit riesigen Eistüten aufgenommen, aber auf Fotos bekommt dann doch häufiger Quantität als Qualität eine Bühne. #foodporn

      Lieber Gruß
      Philipp

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