Vor einigen Jahren reisten wir gemeinsam zu den Plitvicer Seen. Noch heute erinnere mich an den Gefühlsmix, der mich damals durchfuhr: Auf der einen Seite beeindruckt von der Schönheit der Naturlandschaft, auf der anderen Seite schockiert von den Massen der Reisenden, die zeitgleich mit uns ebendiese genießen wollen, und schließlich die erdrückende Einsicht, dass es aus dem Teufelskreis namens Tourismus wohl kein Entrinnen gibt.

Auf unserem Roadtrip mit einem alten, ausgebauten VW-Bus nach und durch Kroatien durfte ein Stop an den berühmten Plitvicer Seen doch nicht fehlen, so die Meinung der Freund*innen, mit denen ich gemeinsam reiste. Die Umschreibung sagenhaft bezaubernder Seenlandschaften ließ auch mich nicht unberührt zurück und schließlich lagen die Seen ja quasi fast auf dem Weg. Dort angekommen waren die Landschaft tatsächlich atemberaubend. Gleichermaßen blieb mir der Atem weg, weil zeitgleich tausende anderer Menschen im Eingangsbereich des Nationalparks angelangten. Als jemand, der Zeit seiner Kindheit in Nationalparks allem voran Abgeschiedenheit und Ruhe genoss und schon eine Weile von seiner Misophonie geprägt war, ergriff mich direkt mein Instinkt und verleitete mich zur Flucht.

Etwas weiter abseits des Eingangs verliefen sich die Massen zum Glück, sodass wir gelegentlich doch mehr Ruhe hatten, doch wirklich unter uns befanden wir uns nie. In mir selbst herrschte der Situation geschuldet ein Konflikt: Zwar hegte ich ein reges Interesse, das Idyll zu bewundern, doch der Störfaktor Mensch machte mir die Erfahrung ein wenig zunichte – nicht nur auf Fotos. Gleichwohl konnte ich anderen Menschen den Zugang nicht verwehren, es sei denn, ich wäre ein tyrannischer Diktator.

Fernab meiner persönlichen Bedürfnisse, zieht Tourismus aber auch die betroffene Region in einen Teufelskreis bestehend aus den folgenden Schritten:

  1. Eine Region wird als sagenumworben schön erachtet, ist allerdings nicht gut angebunden. Deshalb gilt sie als Geheimtipp.
  2. Der Geheimtipp verbreitet sich, zunehmend mehr Menschen erfahren davon. Auch die Menschen der Region schlafen natürlich nicht und bauen die Infrastruktur aus, um ihr touristisches Angebot mehr Menschen zugänglich zu machen. Schließlich winkt damit auch wirtschaftlicher Wohlstand.
  3. Je mehr Menschen die Region besuchen, desto mehr Ursprünglichkeit verliert sie. Sie büßt ihre Authentizität ein. Das hält die meisten Menschen jedoch noch nicht davon ab, dennoch der Attraktion wegen ein paar Stunden zu verweilen, bevor sie sich ihres Mülls entledigen und schließlich weiterreisen.
  4. Alle Einheimischen der Region arbeiten im Zusammenhang mit dem Tourismus. Ab einem gewissen Punkt wird die Attraktion durch den Massentourismus jedoch derart beschädigt, dass die Attraktivität dahinschwindet. Oder eine Naturkatastrophe unterbricht den touristischen Strom.
  5. Plötzlich stehen alle Einheimischen ohne Einkommen da. Die Attraktion ist verwahrlost und bedarf entweder viel Zeit oder viel Arbeit durch Menschen, um wieder restauriert zu werden.

Solche Phänomene begegnen nicht nur landschaftlichen Augenweiden wie den Plitvicer Seen. Es kann auch ebenso Städte treffen, wie Venedig recht eindrücklich zeigt. Jahrelang überlaufen verschnaufte die Stadt etwas während der Pandemie. Zwischenzeitlich kommen sogar Delphine wieder in die Stadt, sie findet zu ihrer angepriesenen Schönheit zurück, doch der wenigen Bevölkerung, die tatsächlich noch dort wohnt, fehlen die Einnahmen.

Es bleibt freilich abzuwarten, wie sich das Reiseverhalten nach der Pandemie entwickeln wird. Vielleicht haben die Menschen die Möglichkeit, die Welt zu bereisen, so sehr vermisst, dass sie es dann umso intensiver und häufiger nachholen werden. Oder sie haben gelernt, dass es andere, wichtigere Dinge in ihrem Leben gibt, mit denen sie ihre Zeit verbringen wollen. In jedem Fall steht die Frage im Raum, ob es sinnvoll ist, zu den präcoronalen Verhältnissen des Massentourismus zurückzukehren. Wir genossen schier grenzenlose Freiheit und haben es in vielerlei Hinsicht übertrieben. Gewisse Grenzen täten uns also sicherlich gut.

Insofern scheint mir die Praxis, für den Nationalpark Plitvicer Seen Eintrittsgelder zu verlangen, durchaus sinnvoll. Andere Regionen hadern womöglich damit, um Reisende nicht zu vertreiben. Doch keine touristische Attraktion dieser Welt kann als fixes, starres und stabiles Gebilde angesehen werden. Es verändert sich in Wechselwirkung mit seiner Umgebung. Wenn Tausende Menschen über eine Wiese laufen, wächst dort nicht mehr viel Gras. Wenn Millionen Menschen über dieselbe Stelle einer Sandsteinmauer streifen, wird früher oder später ein Loch entstehen. Warum glauben wir, dass sich das mit Nationalparks oder antiken Bauwerken anders verhält? Eine Obergrenze für Tagestourismus würde da sicherlich nicht schaden. Die Hoffnung auf eine stark florierende Tourismusbranche mag damit zwar nicht eintreten, doch dafür kann eine Region langfristig davon profitieren. Und wer weiß: Womöglich erhöht der begrenzte Zugang im Vergleich zur hohen Nachfrage ja sogar die Begehrlichkeit, diesen Ort einmal im Leben besucht zu haben?

Wie stehst du zur Wechselwirkung des Tourismus? Siehst du es als notwendiges oder vermeidbares Übel? Und wie gehst du bei der Reiseplanung mit solchen Attraktionen um? Teile es gern in den Kommentaren.

Alles Liebe
Philipp