Was fällt dir als erstes ein, wenn du an das Wort Zeit denkst? Die Uhrzeit? Vorfreude auf den kommenden Urlaub? Oder all die Dinge, für die du meinst, keine Zeit zu haben?
Bei mir löst sie, oder besser gesagt unser Umgang mit ihr, ambivalente Gefühle aus, denn täglich erfahre ich am eigenen Leib, wie viele Entscheidungen wir aufgrund einer simplen Frage zu Ungunsten der damit einhergehenden Folgen treffen.
Der Unschuldsverlust
Es ist schon eine seltsame Angelegenheit. Einerseits wird Zeit als Geschenk betitelt, andererseits sitzt sie besonders gestressten Menschen oft im Nacken. Vorwürfe von ebendiesen, zu viel davon zu haben, wirken ungewollt ironisch, wenn man bedenkt, dass wir alle täglich dieselbe Zeit zur Verfügung gestellt bekommen: 24 Stunden. Und dennoch ist jeder Augenblick, ob genossen oder nicht, binnen eines Wimpernschlags unwiederbringlich verloren.
Im Kindesalter bleibt uns dieses Verständnis zum Glück oft erspart. Was wäre das sonst für eine Kindheit, wenn man schon im Alter von zehn Jahren permanent reflektiert, ob die derzeitige Aktivität einen den eigenes gesteckten Zielen näher bringt? Wie würden wir dann jemals zufällig Neues entdecken und beiläufig lernen?
Nein, das Übel nimmt erst seinen Lauf, wenn wir das erste Mal mit dem Konzept von Leben und Tod konfrontiert werden und erkennen, dass auch wir eines Tages sterben müssen. Damit sind unsere Tage gezählt, wir wissen bloß nicht, von wo an wir abwärts zählen. Kaum auszuhalten dieser Zustand! Aber ändern können wir auch nichts dran. Also bemühen wir uns, das Beste aus dieser knappsten aller Ressourcen herauszuholen, wenngleich uns ihre wahre Größe auch unbekannt ist.
Vergleiche sind vergleichbar schlecht
Nicht selten verwechseln wir das Beste mit das Meiste. In der Folge stopfen wir, also zumindest ich, so viel als möglich in unseren ohnehin schon vollen Terminkalender. Der Gedanke, dass das doch auch alles schneller gehen muss, liegt nahe, denn uns wird nichts anderes vorgelebt.
Züge, Computer, das Internet – alles wird schneller und schneller und damit augenscheinlich effizienter. Aber ist dem tatsächlich immer so?
Ich erinnere mich noch daran, wie ich als Kind geduldig darauf wartete, dass mein erster Rechner hochfuhr. Da konnten schon mal ein paar Minuten vergehen. Heute spüre ich schon eine leichte Reizung, wenn der Vorgang mal länger als zehn Sekunden dauert. Selbiges erfahre ich im Internet: Lädt eine Seite länger als drei Sekunden, werde ich äußerst skeptisch. Bei mehr als zehn habe ich keine Geduld mehr und breche den Vorgang ab. Als ich das erste Mal Internet zu Hause hatte, waren Wartezeiten von einer Minute weder Seltenheit, noch Problem.
Heute haben wir Vergleichswerte. Ohne den direkten Vergleich könnten wir etwas gar nicht als schnell oder langsam bezeichnen. Diese Adjektive funktionieren ohne Relation nicht. Und erst diese Vergleichsmöglichkeit macht uns ungeduldig – mit anderen und uns selbst.
Eine Frage der Maxime
Doch was nützt es uns, wenn wir immer schneller arbeiten können, dafür aber nicht eher nach Hause gehen, sondern stattdessen mehr arbeiten? Wozu schneller von einem Ort an den anderen gelangen, wenn wir nicht einmal innehalten, um ihn in uns aufzusaugen und zu bestaunen?
Dass schneller nicht gleichbedeutend mit besser ist, bezeugen unter anderem Tausende Wasserhähne auf öffentlichen Toiletten auf der ganzen Welt, die Händewaschende trotz ausladendem Waschbecken dazu nötigen, beim Waschen mit dem unhygienischen Porzellan in Berührung zu kommen. Hätte nur ein Mensch gezweifelt und vorgeschlagen, noch mal einen Moment länger darüber nachzudenken, wäre man womöglich auf die Idee gekommen, längere Wasserhähne zu verwenden. Aber das ist Konjunktiv und es musste ja schnell gehen.
Andere Ecke, ähnliches Szenario: In Land- und Viehwirtschaft greifen wir zu allen möglichen Mitteln, um schneller und mehr zu ernten, Nahrung zu transportieren, zuzubereiten und letztlich auch zu verspeisen in uns zu stopfen.
Was haben all diese Beispiele gemeinsam?
Auf den ersten Blick, scheint die Fragen Geht das noch schneller? und Geht da noch mehr? stets mit Ja beantwortet werden zu können. Dabei sollten wir uns eine ganz andere Frage stellen: Ist das dann noch ein Genuss für alle Beteiligten? (Oder im Falle von Hühnern und anderen Leidensgenossen Betroffenen?)
Ja, das eigene bevorstehende Ende mag bedrohlich wirken, zumal wir es nicht in der Hand haben. Doch Innehalten kann uns helfen, zu unseren Werten zurückzukehren und uns neu zu besinnen, auf welches Leben wir am Ende zurückblicken wollen: ein volles oder ein tolles? Und das haben wir sehr wohl in der Hand.
Wie siehst du das? Lieber viel in kurzer Zeit erleben und schaffen oder weniger und dafür ausgiebiger? Lass es uns wissen.
Alles Liebe,
Philipp
Nicole Eckhoff
23/01/2018 — 19:28
Hallo Philipp,
Ich habe mich vor einiger Zeit auch mit dem Thema “Zeit“ beschäftigt. https://traveler1986.com/2017/07/09/zeit/#more-1733
Nicht so ausführlich wie du – zumindest nicht schriftlich festgehalten.
Ich versuche seitdem meine Zeit bewusster einzuteilen, mich mehr auf die Dinge einzulassen und nicht “mal eben nebenbei“ etwas zu machen. Meistens klappt es. Allerdings gibt es auch vieles wo ich noch nicht die nötige Zeit für gefunden habe. Ich arbeite dran.
Viele liebe Grüße, Nicole
Philipp
24/01/2018 — 09:08
Hallo Nicole,
vielen Dank für deinen Beitrag! Den verlinke ich gern an passender Stelle, wenn es dich nicht stört. :)
Bewusst ist hier das richtige Stichwort! Daran arbeite ich zur Zeit besonders, denn oft nehme ich gar nicht wahr, was ich eigentlich gerade tue. Durch meinen Fokus auf dieses Thema in den nächsten vier Wochen fällt mir viel stärker auf, wie oft ich im Modus Operandi Dinge schon unbewusst tue.
Ich bin auch der Meinung, dass man nicht zu streng mit sich sein und entsprechend Zeit geben sollte, um Gewohnheiten in die gewünschte Richtung “umzuprogrammieren”.
Lieber Gruß,
Philipp
Nicole Eckhoff
24/01/2018 — 18:17
Hallo Philipp,
gerne darfst du meinen Beitrag verlinken. Immer und jederzeit ;)
Viele liebe Grüße,
Nicole
Achtsame Lebenskunst, Gabi Raeggel
24/01/2018 — 20:44
Weniger ist mehr – auch beim Umgang mit Zeit. Zumindestens für mich. Die Erkenntnis, irgendwann sterben zu müssen, führt bei mir eher dazu, die Zeit mehr auskosten. Nicht, indem ich mehr reinpacke, sondern indem ich mir klar mache, mit was für einem wildgewordenem Zeugs, welche Ziele, Pläne, Aktivitäten ich eben genau nicht brauche, nicht will. Das ist so unendlich befreiend. Gerade in Meditationen hatte ich es schon oft, dass sich die Minuten wie Kaugummi zogen. Und so unangenehm dies im ersten Moment ist, so endlos wohltuend und schön ist es auch. Es ist, als befände ich mich in einem riesen großen Zeitraum. Und da muss ich nichts tun, sondern bin einfach da und lebe.
Philipp
25/01/2018 — 18:15
Hallo Gabi!
Vielen Dank für deine Perspektive! Das Gefühl bei der Meditation kenne ich sehr gut! Gerade deshalb möchte ich sie auch gern wieder in meine Routine etablieren.
Es gibt doch da auch diese scherzhafte Anleitung zur Meditation. Die geht in etwa so:
Jeder Mensch sollte täglich 20 Minuten meditieren. Wer dafür keine Zeit hat eine Stunde!
Lieber Gruß,
Philipp
Achtsame Lebenskunst, Gabi Raeggel
25/01/2018 — 21:27
Stimmt. Passt irgendwie. Obwohl so einfach mal einen Tag total vertrödeln hat auch was.
Philipp
31/01/2018 — 20:57
Haha, da gebe ich dir Recht! :)
widerstandistzweckmaessig
28/01/2018 — 16:42
Hallo Philipp!
Für mich hat sich irgendwann die Frage gestellt, wie viel meine Zeit wert ist. Wie viel will ich davon verkaufen? Wie viel Geld muss ein Unternehmen mir bezahlen, damit ich mehr als das Nötigste arbeite?
Ich habe festgestellt, dass meine Zeit nur noch sehr begrenzt zum Verkauf steht. Daher habe ich meine Arbeitszeit reduziert und arbeite nur noch Teilzeit.
Und die restliche Zeit habe ich dann für mich selbst zur Verfügung. Und wenn das mal gar nichts tun ist, dann ist es auch gut. Der Tag muss nicht mit allerlei gefüllt werden, um ein guter Tag zu sein. Im Gegenteil.
Wenn ich von Moment zu Moment entscheiden kann, was ich gerade möchte, dann ist es ein guter Tag!
lg
Maria
Philipp
29/01/2018 — 01:29
Hallo Maria,
da sagst du was! Ich bin voll bei dir und frage mich zunehmend, woher dieser innere Drang, ständig etwas zu tun, eigentlich kommt.
Ich möchte meine Arbeitszeit im Prinzip auch reduzieren, werde das aber vor dem Ende meines Studium eher nicht unterbekommen, wenn ich meine Studienzeit nicht noch weiter verlängern möchte, da ich nebenbei noch arbeite.
Damit ich diese Von-Moment-zu-Moment-Entscheidungen häufiger habe, plane ich mittlerweile schon immer nur den nächsten Tag jeweils nur am Vorabend, um nicht in die unnötige Situation zu geraten, wochenlang verplant zu sein. Wobei auch hier das Studium schon einiges vorgibt.
Lieber Gruß,
Philipp