Feiern ohne Ende

Als mir vor wenigen Wochen versichert wurde, dass die Feierei nun ein Ende habe, wog ich mich schon glücklich, denn gewissermaßen werfen mich Feiertage immer etwas aus der Bahn. Doch von wegen! Die letzten zwei Wochen hatten es schon wieder in sich! Jerusalem Day, Student Day und Shavuot ließen mich einmal mehr ganz neue Seiten kennenlernen. Was es mit ihnen auf sich hat, erfährst du hier.

Eigentlich sollte ich es ja von Deutschland gewöhnt sein, dass dermaßen viel gefeiert wird und Feiertage selten allein kommen. Besonders im Frühling gibt es diese Häufung: Ostern, Maifeuer, 1. Mai, Himmelfahrt, Pfingsten, …

Interessanter Weise gibt es sogar recht viele Feiertage, die um die gleichen Zeiträume angesiedelt sind – etwa Chanukka, Wintersonnenwende und Weihnachten. Zufall? Wohl kaum! Zumindest bei Weihnachten ist erwiesen, dass es zum gleichen Zeitpunkt angesiedelt wurde, damit es “Heiden” einfacher fiel, zu konvertieren. Dabei ist die Wintersonnenwende solch ein freudiger Anlass – endlich wieder längere Tage und mehr Sonnenschein! Im Grunde leisten alle drei sogar den gleichen Zweck – Rettung, Trost und Wunder in der kalten Jahreszeit.

Zwischenzeitlich habe ich mich sogar gefragt, wieso wir überhaupt Feiertage haben. Ist unser Leben ohne nicht schön genug? Ich beschwere mich natürlich nicht über freie Tage. Gleichwohl finde ich den Hintergrund bei vielen insofern fragwürdig, dass dieser für einen Großteil der Menschen gar keine Relevanz hat. Das ist in der Moderne besonders bei religiösen Feiertagen der Fall. Und bei wie vielen Anlässen vergessen wir eigentlich den Hintergrund? Darüber hinaus blenden wir häufig aus, wie viele Leute eben auch einfach nicht frei haben – aus welchen Gründen auch immer.

In Israel hat Feiertagskultur freilich ein ganz anderes Ausmaß. Es gibt hier wöchentlich zumindest einen Feiertag: Schabbat. Und der wird tatsächlich auch als solcher zelebriert. Abseits davon gibt es natürlich noch viel mehr Feiertage. Doch der Reihe nach.

Jerusalem Day

Dieser Tag ist vor allem – der Name lässt es vermuten – in Jerusalem ein Feiertag. Doch das nicht einmal für die gesamte Bevölkerung der Stadt. Denn gefeiert wird nicht etwa die Gründung der Stadt, sondern die Wiedervereinigung, welche historisch betrachtet, nicht für alle so positiv war.

Als 1948 die Unabhängigkeit Israels ausgerufen wurde, wurde der dem jungen Staat bereits nach einem Tag von Ägypten, Irak, Syrien und Transjordanien der Krieg erklärt. Der Arabisch-Israelische Krieg endete mit einem Waffenstillstand und vorübergehenden Grenzen, der sogenannten Green Line. Diese verlief durch Jerusalem und teilte die Stadt in den israelischen Teil (Westjerusalem) und den jordanischen Teil (Ost-Jerusalem), welcher fortan zum von Jordanien annektierten Westjordanland gehörte.

Für den jüdischen Staat stellte das ein Problem dar, da die Altstadt zu Ostjerusalem gehörte, also nicht im israelischen Teil der Stadt lag. Folglich konnten jüdische Gläubige und Religiöse nicht die heiligste jüdische Stätte besuchen: Die Klagemauer als einzigen Überrest des 2. Tempels.

1967 begann Israel den Sechs-Tage-Krieg und besetzte in Folge dessen den von Ägypten besetzten Gazastreifen sowie die Sinai Halbinsel, die syrischen Golanhöhen und das Westjordanland inklusive Ost-Jerusalem, obwohl die israelische Armee zahlenmäßig bei weitem unterlegen war.

Somit war Jerusalem wieder vereint. Entsprechend viel Bedeutung hat dieser Feiertag – aber eben nur für einen Teil der Bevölkerung.

Von besagtem Teil ausgeschlossen sind nämlich alle Araber. Darüber hinaus ist dieser Feiertag auch eher nichts für links Orientierte. Auch säkulare Einwohner sind eher uninteressiert.

Foto Junge Religiöse beim March of the FlagsZu meiner Überraschung reisen dafür dann doch recht viele Menschen nach Jerusalem, um die Feierlichkeiten des Tages zu begehen. Das sind meiner Beobachtung nach vor allem junge, religiöse Menschen. Die erste öffentliche Veranstaltung ist der sogenannte Flaggenmarsch, bei welchem Hunderte (oder Tausende?! – ich verliere so schnell den Überblick beim Zählen) von Menschen, hauptsächlich in den Farben weiß und blau, mit Flaggen staffiert aus zwei Richtungen gen Damascus Gate marschieren.

Mir persönlich sind solche nationalen Bewegungen eher befremdlich. Umso erfreuter bin ich, dass es auch linke Gegendemonstranten gibt, zum Beispiel vor dem Rathaus mit Parolen wie “Israel gehört allen”. Polizei und Armee waren natürlich im Einsatz, schienen allerdings eher gelangweilt.

Foto "Israel gehört allen"

Foto Arabischer WiderstandAll die Massen, die Jerusalem Day feiern, ziehen schließlich weiter durch die Altstadt. Auch dort gibt es Widerstand – natürlich ganz friedlich. ;) Die ganzen Geschäfte der Altstadt haben bereits geschlossen, was untypisch für die Uhrzeit ist. Entsprechend hake ich auf beiden Seiten nach und erhalte verschiedene Antworten. Von “Sie müssen schließen, es ist Feiertag.” bis “Wir wollen nicht, dass etwas in unseren Geschäften kaputt geht. Und wir mögen den Tag nicht feiern. Also schließen wir.” ist alles dabei. Alle Geschäfte haben aber doch nicht geschlossen. “Wir möchten nicht schließen.”, erwidern sie, während  die Männer gemischten Alters vor ihrem bereits für den Feierabend fertig gemachten Geschäft sitzen und die vorbeiziehenden Mengen beobachten. Unterwegs in der Altstadt werden all die Feierwütigen auch mit Getränken versorgt. Das ist wohl auch nötig, bei den Temperaturen, die derzeit bei uns herrschen.

Die Stimmung ist stark gemischt. Zwischen all den euphorischen Jugendlichen erblicke ich nur ab und an Erwachsene. Hier und da sind Ultraorthdoxe, die mit ihren schwarzen Gewändern, nicht aber mit ihrem Grinsen, herausstechen. Vor mir benutzt ein Jugendlicher den abgebrochenen Stil seiner Fahne, um einen Davidsstern in den Lack des Tors neben ihm zu ritzen. Von zwei verschiedenen Leuten wird er energisch aufgefordert, es bleiben zu lassen. Sie wollen keinen Stunk. Er gibt vor, kein Hebräisch zu sprechen, lässt es nach wiederholter Aufforderung aber bleiben.

Foto Rock die Klagemauer

Am Ziel angekommen, erkenne ich es kaum wieder. So viele Menschen haben ich dort an wirklich noch keinem Feiertag gesehen. Außerdem dabei: Eine Bühne, auf der eine Gruppe Musiker das Publikum mit jüdischer Volksmusik anheizt. Die Menge tobt.

Ich mag jüdische Volksmusik. Trotzdem ist mir nicht nach Feiern zu Mute, denn es fühlt sich nicht richtig für mich an, ein Ereignis zu feiern, das so vielen Menschen das Leben gekostet hat. Und auch der Ort fühlt sich für mich falsch an, denn ich wünsche mir hier ohnehin mehr Stille und Frieden – also das exakte Gegenteil.

Foto Ansturm am Jaffa GateDeshalb beschließe ich, zu gehen. Ich habe schließlich noch andere Dinge vor. Das ist dann allerdings doch gar nicht so leicht. Wo wollen nur all die Leute hin, die mir entgegen kommen? Der Platz vor der Klagemauer scheint mir bereits voll.

Student Day

Natürlich gehe ich an besagtem Abend nicht direkt nach Hause. Für den gleichen Tag angesetzt ist nämlich auch der Student Day. Sprich: Es gibt Konzerte auf die Stadt verteilt und am Folgetag ist vormittags keine Uni. Einen Grund dafür braucht es wohl kaum, schließlich sind wir Studenten. Ich sehe es einfach als Ablassventil für die chronische Überarbeitung, die ich hier beobachte. Der Ansturm ist riesig, die Musik ganz in Ordnung – und ich einfach nur müde nach dem Tag. Deshalb bin ich auch gar nicht traurig darüber, kein Ticket zu haben. Und die wahre Party findet natürlich ohnehin mal wieder vor den Toren statt. Das ist wohl in allen Ländern gleich. :D

Shavuot

Eine Woche später: Es ist mal wieder langes Wochenende, denn Shavuot steht an. Übersetzt heißt das einfach nur “Wochen”. So wirklich Ahnung hat niemand in meinem Umkreis, was genau da eigentlich gefeiert wird. So nach und nach fügt sich aber alles zusammen.

Shavuot ist eins der drei ehemaligen jüdischen Pilgerfeste. Auch hier gilt: Da der Tempel nicht mehr existiert, wird auch nicht mehr gepilgert. Zelebriert wird die Empfängnis der Torah von Gott auf Sinai, nachdem das jüdische Volk aus Ägypten geführt wurde. Das Fest hat seinen Namen von den Wochen (und Tagen), die sinnbildlich gezählt wurden, um das Verlangen nach der Torah auszudrücken. Deshalb kann es trotz des unterschiedlichen Hintergrunds ein wenig mit dem christlichen Pfingsten verglichen werden.

Wirklich vorgeschriebene Regeln gibt ausnahmsweise nicht. Dennoch haben sich ein paar Bräuche eingebürgert. Einst war es Gang und Gebe, Gott einen Teil der ersten Kornernte anzubieten. Diese Zeiten sind aber längst vorbei. Heute ist es Brauch, so richtig viele Milchprodukte zu essen.

Ich habe keine Ahnung, wer auf diese Idee gekommen ist und es kann mir auch keiner erklären! Ja, es ist verrückt. Die Leute freuen sich dennoch darauf. Ich selbst hatte Lust auf Käsekuchen. Da ich aber keinen bekommen konnte, habe ich mir stattdessen ein Käsekucheneis in der Waffel gegönnt und mir außerdem eine Quark/Puddingtasche beim arabischen Bäcker meines Vertrauens besorgt. Denn natürlich ist das Arbeiten an diesem Tag verboten und alle Israelis legen die Arbeit nieder.

Außerdem hatte ich unglaublich Appetit auf Milchreis. Allerdings habe ich nie Milch im Haus, weil es die hierzulande nur in Plastik gibt. Not macht bekanntermaßen erfinderisch, also habe ich einfach auf mein gebündeltes Wissen zu Reis zurückgegriffen, dass ich im letzten Jahr von meinem koreanischen Mitbewohner vermittelt bekommen habe.

Entsprechend habe ich mir klebrigen Reis gekocht und diesen schön zart zubereitet. Zum Süßen habe ich neben Banane auch Aprikosen, Birne und Passionsfrucht verwendet, welche ich noch während des Kochens dazugerührt habe, damit sich die Zucker etwas lösen. Die Banane unterstützt  die Konsistenz zusammen mit überschüssiger Stärke vom Reis und etwas Wasser. Das Ganze habe ich noch mit Zimt abgerundet. Sehr lecker! Sogar meiner veganen Mitbewohnerin hat es geschmeckt. (Sie kannte Milchreis noch gar nicht.)

Foto Veganer Milchreis

Zum Süßen kann man extra Zucker dazugeben, ich habe hier darauf verzichtet. Beim Aufwärmen würde ich auf jeden Fall noch einen Schuss Wasser dazugeben.

Ein weiterer Brauch ist die Nacht des Studiums. Sprich: Man soll die Nacht durchstudieren. Im Rahmen dessen gibt es viele öffentliche Veranstaltungen auf die ganze Stadt verteilt, bei welchen man mehr über bestimmte Orte lernen kann. Aufgrund meines mangelnden Hebräischstudiums der vergangenen Wochen, habe ich mich stattdessen dafür entschieden. Und dann abschließend für ein frühes Selbststudium. ;)

Shavuot war nämlich endlich mal wieder ein Tag, den ich mir einfach nur für mich genommen habe, zum Runterkommen, Entspannen und Regenerieren. Und es hat gut getan! Dafür sind Feiertage dann nämlich doch ganz gut. Man muss sich nur seine Freiheit zurücknehmen.

Wie hast du die letzten Feiertage verbracht? Und wie gehst du mit ihrem religiösen Hintergrund um?

Alles Liebe,

Philipp

PS: So werden in Israel übrigens Straßen gesperrt:

Foto Straßensperrung

5 Kommentare

Antworten

  1. Ich habe deinen Blog gerade eben entdeckt und finde die ausführlichen Berichte total spannend. Da ich selbst nicht religiös bin, freue ich mich an den Feiertagen über einen arbeitsfreien Tag – feiere aber nicht wirklich.
    Liebe Grüsse
    Ariana

    • Hallo Ariana,

      vielen Dank! :)

      Feiern kann ja auch ganz schön anstrengend sein – man denke nur an Weihnachten. Da ist so ein entspannter Tag zwischendurch doch echt viel hilfreicher in unserer hektischen Zeit. ;)

      Lieber Gruß,
      Philipp

  2. Hallo Philipp!

    Aufgrund der Challenge bin ich kaum zum Lesen gekommen, daher erst jetzt Deinen Beitrag gesehen.

    Feiertage ignoriere ich weitgehend, finde es aber hoch interessant, einmal von anderen Ländern und anderen Sitten Informationen zu bekommen.

    Super Idee mit dem “Milchreis”! Kann ich mir gut vorstellen und vielleicht probiere ich das mal so aus.

    lg
    Maria

    • Hallo Maria,

      mich hat sie auch etwas in Verzug verbracht. Deshalb komme ich auch jetzt zum Beantworten der Kommentare.

      Für den Milchreis empfehle ich auf jeden Fall, Banane dazuzugeben. Ich habe es neulich noch einmal ohne probiert, da war die Konsistenz bei Weitem nicht die gleich. Außerdem ist die lange Quell- und Kochzeit meines Erachtens immens wichtig.

      Lass mich wissen, wie er dir schmeckt! :)

      Lieber Gruß,
      Philipp

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