Ist euch schon mal aufgefallen, von wie vielen Bildern wir täglich umzingelt werden? Sehnt ihr euch auch nach mehr visueller Ruhe? Dann begehrt auch ihr euch auf!
Mir ist völlig bewusst, wie ironisch mein – mit einem Bild – gekrönter Aufruf erscheint. Doch der Inhalt bleibt relevant: Kein Tag vergeht mehr, an dem wir nicht von einer Bilderflut überschwemmt werden. Sei es in der Stadt, auf Arbeit, im Supermarkt, in den Öffis, auf dem Land, im Internet und leider auch zu Hause. Überall buhlen Grafiken um unsere Aufmerksamkeit.
Beginnen wir in der Stadt, wo die schönsten architektonischen Landschaften mit bunt blinkenden Reklamen und Schildern verschandelt werden. Scheinbar macht sich niemand Gedanken darüber, wie schlecht sich Straßenschilder zwischen historischen Bauwerken einfügen, oder dass grelle Plastikschilder mit willkürlich zusammengewürfelten Schriftarten wirklich an keiner Fassade gut aussehen. Eine Aufsichtsbehörde für visuell stimmige Schilder existiert wohl nicht. Schlimmer noch: Es scheint auch keine Institution zu geben, die darüber entscheidet, wo überhaupt Schilder angebracht werden dürfen. Denn wenn ich mich in Städten umschaue, komme ich zum Schluss, dass schlichtweg alles erlaubt wird.
Was sehne ich mich da nach den Zeiten, als Schilder noch analog waren und lediglich aus Holz, Stahl und mit Naturfarben hergestellt wurden. Freilich möchte ich nicht im historischen Kontext dieser Zeit leben, also wage ich mal einen Blick in die Zukunft. Denn natürlich bin ich mir dessen bewusst, dass Schilder auch einen Zweck erfüllen. Wo doch ohnehin alle smarte Telefone, Uhren und demnächst auch noch Brillen mit Augmented Reality verwenden, gibt es meines Erachtens gar keinen Bedarf mehr für analoge Reklame oder Schilder. All das kann sich dann virtuell abspielen, damit die analoge Realität frei visuellem Müll bleibt. Oder wird eine Applikation für meine AR-Brille entwickelt werden, die ebendiesen in Echtzeit wegretuschiert? Man darf gespannt bleiben und sich überraschen lassen.
Als Mensch, der im Berufsleben permanent mit Bildern arbeitet, schätze ich es in der Zwischenzeit zu Hause umso mehr, eine Pause von der Bilderflut nehmen zu können. Das ist jedoch einfacher gesagt als getan. Einerseits lebe ich nicht allein und kann entsprechend auch nicht komplett selbstständig entscheiden. Andererseits bringen wir unbewusst Unmengen an Bildern mit nach Hause.
Digital natürlich über das Internet. Plattformen mit Fokus auf Fotos und Videos stehen hier oft im Vordergrund. Doch selbst bei vielen textbasierten Internetseiten fühle ich mich von visueller Werbung nahezu angesprungen, wenn hier Anzeigen mit blinkend wechselndem Bildinhalt vom eigentlichen Inhalt ablenken oder dort ein Banner aufklappt, das davon überzeugen möchte, mich für einen Newsletter oder ein Abo anzumelden. In Apps tauchen äquivalent diverse Benachrichtigungen auf, denn mittlerweile hat ja jede ihren eigenen internen Nachrichtendienst. Ich vermisse Blogs, die nur zum Selbstzweck ohne finanzielle Interessen bestehen.
Analog schleppen wir mit jedem Produkt neues grafisches Material mit in die eigenen vier Wände, denn sie kommen gewöhnlich selten allein, sondern in einer mehr oder weniger ansprechend gestalteten Verpackung. Auf Schachteln, Gläsern und Dosen ziehe ich die Etiketten gern ab. Leider artet es oft in Pfuhlen aus, da sie mit solch hartnäckigem Kleber angebracht sind, dass ich nur mit heißem Wasser nicht weit komme. Stattdessen schrubbe ich mit Spülmittel und Stahlwolle mühsam die letzten Klebereste ab. Zum Glück hat man irgendwann auch genug leere Gläser, sodass die Arbeit künftig, so hoffe ich, nicht mehr nötig sein wird.
Raumgestaltung ist ohnehin ein Thema für sich. Ich lasse Tische, die Oberflächen von Kommoden und Schränken sowie Fensterbretter gern leer, also ohne überflüssigen Kram, der bei jedem Staubwischen wieder bewegt werden müsste. Bilder an Wänden mag ich auch nicht mehr. Generell ziehe ich möglichst einfache, einfarbige Flächen vor und setze Farben nur dezent ein.
Mit diesen Ansichten fühle ich mich leider oft als Außenseiter. Während bildtreibende Werbeagenturen mit Milliardenbudgets unterstützt werden, frage ich mich oft, wo sich eigentlich die Lobby für freie Fläche versteckt. Ich kann mir bei bestem Willen nicht vorstellen, dass keine anderen Menschen wie mich geben soll.
Deshalb: Falls ihr irgendwo da draußen seid, nehmt gern Kontakt mit mir auf! Lasst uns an einer Zukunft mit mehr Freiblick arbeiten.
Alles Liebe
Philipp
Frau DingDong
09/08/2020 — 19:46
oh ja, bin dabei!
Deshalb renn ich so gern in der Natur rum und an touristischen Orten lass ich meistens das Handy (mit dem ich Fotos knipse) auch drin. Wurde ja eh schon tausendmal von irgendwem fotografiert und ich weiß ja, dass ich da war.
Ich mag auch Weiß gerne. Ich ziehe die Labels ab und kaufe Haushaltsgeräte auch nur in Weiß (Toaster, Brotkasten, Kühlschrank, Staubsauger…)
Is irgendwie angenehmer, wenn man keine “Informationen” dadurch ins Hirn kriegt
Philipp
11/08/2020 — 06:00
Interessanterweise fotografiere ich trotzdem ganz gern und trage so unweigerlich zu noch mehr Bildern bei. Dieser elende Konflikt zwischen Arbeit, Leidenschaft und persönlichem Befinden. Es ist allerdings schon etwas besser geworden, weil ich aufgegeben habe, Fotos aufzunehmen, von denen ich von vornherein weiß, dass sie nicht so werden, wie ich sie mir vorstelle. :)
Wenn ich so darüber nachdenke, sind wahrscheinlich Museen der einzige Ort, an dem visuelle Eindrücke tatsächlich sorgfältig geplant eingesetzt werden.
Anna
10/08/2020 — 06:09
Danke für deine Gedanken. Ich hege seit einiger Zeit ähnliche Gedanken, wobei ich nicht nur an die Bilderflut denke sondern auch an die Kabelflut. Die Kabel für die Weihnachtsbeleuchtung spannen sich das gesamte Jahr über die Straße – in so manchen Ort werden die Schneeflocken gar nicht abmontiert. Alles muss so schnell gehen – wenn man denkt die neuen Biene Maja Folgen dauern nur mehr 12 statt 25min aber mit demselben Inhalt – der schnellen Bilderfolge geschuldet. Das kann es nicht sein, vor allem nicht gesund.
Philipp
11/08/2020 — 06:07
Hallo Anna,
Festtagsbeleuchtung ist tatsächlich ein Thema, über das ich in diesem Zusammenhang noch gar nicht nachgedacht hatte! Dass die Lichterketten an manchen Orten gar nicht abgenommen werden, fiel mir bisher noch nicht auf. Vermutlich hängt es da auch an Geldern? Wobei die konsequenz minimalistische Entscheidung an der Stelle wohl wäre, schlichtweg auf die Beleuchtung zu verzichten. Bei mancher Beleuchtung, insbesondere der blinkenden, knallbunten oder kühlen wäre mir das tatsächlich auch lieber. :D
Interessant auch, dass Kinderserien derart stark verdichtet werden. Ich erinnere mich noch daran, dass die Charaktere zu meiner Kindheit auch mal auf dem Bildschirm innegehalten haben, weil sie etwas beobachten. Der Trend der Verdichtung wurde meines Erachtens auch durch Videos auf Social Media verstärkt. Dort sind mir auch viele Videos zu turbulent geschnitten, sodass ich das Gefühl habe, ich müsste mich angestrengt konzentrieren, um auch ja nichts zu verpassen.
Lieber Gruß
Philipp
Gabi
10/08/2020 — 15:24
Da fällt mir auf, dass ich in der Küche seit über 2 Jahren überlege, ein Bild an die Wand zu machen, weil die Wand dort do leer ist. Und seit über 2 Jahren setze ich das aber nicht um. Und wo ich deine Zeilen lese, weiss ich endlich warum: Es interessiert mich überhaupt nicht. Es ist maximal eine überflüssige Gewohnheitsidee nach der „man“ eben die leere Wand mit einem Bild verziert. Also lasse ich diese Dekoidee und die Wand bleibt kahl. Sie gefällt mir nämlich auch so.
Philipp
11/08/2020 — 06:11
Hallo Gabi,
in solchen Momenten erinnere ich mich gern das englische Sprichwort “If in doubt leave it out.” – Wenn du dir nicht sicher bist, lass es einfach weg.
Lieber Gruß
Philipp