Schon lange wollte ich mir die palästinensische Hauptstadt Ramallah ansehen, was im wahrsten Sinne des Wortes naheliegend ist. Sage und schreibe 16km ist es von Jerusalem entfernt. Endlich, nach acht Monaten, habe ich es geschafft. Hat es sich gelohnt? Und wie! Es war ein durch und durch erlebnisreicher Tagestrip – “Illegale Einwanderer” und Schmuggel inklusive. Erfahre die ganze Geschichte in diesem Beitrag.
Mir war von Anfang an bewusst, dass Ramallah trotz seiner Nähe doch recht anders als Jerusalem sein sollte. Das hat sich mir dann bestätigt, als jeder erzählte, dass es komplett anders sei, als sie es sich vorgestellt hatten – vor allem viel moderner und quirliger. Doch was mich dort erwartete, wusste ich natürlich immer noch nicht.
Nach zahlreichen erfolglosen Ansätzen, mir die palästinensische Hauptstadt einmal näher anzusehen, hat es zu meiner Freude dann doch noch geklappt – auch wenn ich auf den ersten Blick einen besseren Zeitpunkt hätte auswahlen können.
Einreise mit Hindernissen
Wie so oft führt mich mein Reiseziel zum arabischen Busbahnhof am Damascus Gate. Da ich bereits weiß, dass es in unmittelbarer Nähe zwei gibt, frage ich mich von einem zum jeweils anderen, laufe aber die ganze Zeit hin und her, weil an keinem der beiden mein Bus abfährt. Schließlich schafft eine junge Dame Abhilfe, indem sie ihre Freunde zurücklässt und mich direkt zum richtigen Busbahnhof bringt. Und siehe da: Es gibt noch einen dritten, etwas versteckteren. Ich liebe diese Art von Freundlichkeit!
Dort treffe ich auf zwei Wartende. Ich werde auch direkt angesprochen. Wir tauschen uns aus. Der ältere der beiden spricht sechs Sprachen. Fließend. Ich bin beeindruckt und zolle meinen Respekt. Er erwidert nur, dass er eben Sprachen möge.
Während der Busfahrt spreche ich mit Vehadî, dem jüngeren. Er arbeitet in Tel Aviv, etwas mit Immobilien. In den letzten Wochen hat er viel Geld verdient. Aufgrund des anstehenden jüdischen Feiertags gibt es aber keine Arbeit für ihn. Deshalb fährt er mal wieder nach Hause nach Ramallah. Also ist er israelischer Staatsbürger arabischer Abstammung, frage ich ihn. Nein, er ist Palästinenser.
Ich bin überrascht und hake nach, wie das mit der Arbeit funktioniert. Er gibt mir ein “Unter-der-Hand”-Zeichen. Mir dämmert, dass Vehadî wohl auch Schwierigkeiten haben dürfte, rücklings über die Grenze zu kommen. Israel zu verlassen ist nämlich nicht das Problem. Reinkommen schon eher. Es gäbe eine paar Stellen an der Mauer, wo sie Strickleitern anbrächten. Schon sechs Mal sei er aufgegriffen worden. Doch was sollen die Soldaten schon groß machen, als ihn zurückschicken? Entsprechend lässt er sich auch nicht davon abhalten, es wieder zu tun.
Vehadî gibt mir noch ein paar arabische Vokabeln mit auf den Weg. So richtig vertraut mit der Aussprache bin ich nicht, weshalb es sich auch schwierig ins lateinische Alphabet transkribieren lässt. Immerhin weiß ich jetzt die wichtigsten Zahlen und ein paar Floskeln. Irgendwo muss ich ja anfangen. ;)
In Ramallah angekommen, begab ich mich weiter zu Fuß auf den Weg. Esist nicht so groß und deshalb wunderbar zu erlaufen.
Gaumenfreuden zum Sonderpreis
Mir knurrt auch scho der Magen. Kurzerhand suche ich einen Falafelimbiss auf. Die Preise dafür sind unglaublich niedrig. Und es schlägt sich nicht einmal im Geschmack nieder. Wunderbar! Jetzt noch ein kleiner Nachtisch, also auf zum nächsten Geschäft: Ein Schokoladenladen. Hier sind die Preise eher wie in Jerusalem, doch diese Vielfalt bei der Auswahl! Da kann ich gar nicht widerstehen, mich durchzuprobieren.
Außerdem wurde mir gesagt, dass man Ramallah auch günstig Nüsse und Obst kaufen kann. Bei meinem Verzehr ein durchaus willkommenes Angebot. Tatsächlich kann man das in Ramallah finden – man muss nur wissen wo. Ich entdecke erst kurz vor Abreise den großen Markt, auf dem die Preise tatsächlich recht günstig sind.
Leider sind die meisten Stände und Läden freitags bereits geschlossen, da dies der wichtigste Tag für Muslime ist. An diesem treffen sie sich zum gemeinschaftlichen Mittagsgebet, was für Männer als Pflicht gilt. Deshalb bekomme ich auch gar nicht die komplette Quirligkeit der Stadt mit, die sie zwar versprüht, aber mir nicht in vollem Ausmaß zeigt.
Ich bin entzückt
Das hat aber nicht nur Nachteile, merke ich, als ich plötzlich vor einem unscheinbaren Haus innehalte. Dessen buntes Innenleben zieht meine Aufmerksamkeit auf magische Weise an. Ich schaue mich genauer um. Geschäfte und Arztpraxen reihen sich auf mehrere Stockwerke verteilt aneinander. Allerdings ist niemand da. Ich schaue mich genauer um und bin der Lichtstimmung wegen ganz außer mir!
Etage für Etage erklimme ich mit steigender Verwunderung. Ja, ich bin einfach glücklich zu machen.
Über Umwege gelangte ich letztlich sogar auf das Dach! Die Aussicht lohnt sich – ganz Ramallah lässt sich hier überblicken. Außerdem offenbart sich mir hier oben die Schönheit des Gebäudes in seiner vollen Blüte. So viele kleine Geschichten werden hier erzählt. Meine Fantasie füllt die Lücken. Und doch bin ich mir beim Abstieg nicht sicher, ob das Gebäude zwischenzeitlich beschädigt oder einfach nur nie fertig gestellt wurde.
Da kommt noch was
Meiner nächstes Ziel ist die Altstadt. Zugegebener Maßen bin ich durch die Jerusalemer Altstadt sehr verwöhnt. Die von Ramallah ist eher überschaubar. Zudem sind gerade alle Straßen offen. Überall wird gewerkelt. Und das gilt nicht nur für die Altstadt. In nahezu jeder Straße findet man in Ramallah eine Baustelle vor.
Der Tourismus ist sehr sanft. Dennoch gibt es riesige Hotels. Und es schaut nicht so aus, als würde sich das in den nächsten Jahren reduzieren – im Gegenteil. Außerdem ist Ramallah auch ein wichtiges palästinensisches Kulturzentrum. Film- und Literaturfestivals sind hier keine Seltenheit.
Deshalb kann ich mir sehr gut vorstellen, dass Ramallah sich weiterhin zu einer kleinen Metropole entwickeln wird. Das hängt auch wesentlich von den Fortschritten im Friedensprozess mit Israel ab. Selbst wenn keine Rückschläge durch militärische Auseinandersetzungen zu verzeichnen sind, kontrolliert Israel immer noch Palästinas Straßen – und somit auch die Transportwege für … so ziemlich alles.
Schmuggel zum Schmunzeln?
Auf dem Rückweg sitzt Clairé im Bus neben mir. Sie ist öfter in Ramallah und gibt mir Tipps für Museen.
Nachdem wir die Grenze passieren, zieht eine Schildkröte in den Händen einer jungen Frau ihre Aufmerksamkeit auf mich. Sie wird zur Selfiepose arrangiert und ich zeige mich verdutzt. Die haben sie gerade über die Grenze geschmuggelt, klärt mich Clairé auf. Der Busfahrer hat ihnen geholfen. Ohne hätten sie die auch nie über die Grenze bekommen. Das glaube ich ihr und bleibe bis zum kurz vor Ausstieg ruhig, während ich mich schweigend und glücklich an die Erlebnisse des Tages erinnere. Ramallah hat jede Menge Potential. Und ich freue mich darauf, zu sehen, wie es sich im Laufe der Zeit entwickeln wird.
Beim Verlassen des Busses gibt erzählt mir Clairé noch vom arabischen Eis, dass aus Ramallah kommt. Als Eisfreund bin ich natürlich besonders entzückt, als sie mir berichtet, dass es das auch im arabischen Viertel in Jerusalem gibt, wenn auch aus Ramallah “importiert”.
Ich habe zumindest Baladna mittlerweile probiert. Die Konsistenz ist etwas gewöhnungsbedürftig und wirklich schwierig zu beschreiben. Ich verstehe nun, warum Clairé damit ihre Probleme hatte. Gerade die Konsistenz macht es aber so besonders! Und lecker schmeckt es auch. Neben Baladna gibt es auch noch Rakoub. Beide sind nach Straßen in Ramallah benannt, wo sie hergestellt werden. Letzteres konnte ich leider noch nicht probieren, doch was nicht ist, kann ja noch werden. :)
Alles Liebe,
Philipp
Leona
23/06/2015 — 09:46
Wow, ich bewundere es sehr, dass du es schaffst einfach so in den Tag hinein leben zu können. Das klingt nach einem spannenden Leben ;). Die Aussicht von dem Haus hätte ich auch gerne genoßen, schön wenn man so etwas durch Zufall entdeckt, statt teure Touristenpreise für eine mittelmäßige Aussicht bezahlen zu müssen. Viele Grüße, Leona
Philipp
25/06/2015 — 05:20
Hallo Leona,
das gelingt mir ja auch nicht jeden Tag. ;)
Doch wenn ich es selbst nicht mache, wer dann?
Alles Liebe,
Philipp