Endlich ging es los! Nach mehrmaligen Verschiebungen, unzähligen Stunden der Recherche und Vorbereitung sowie einer viel zu kurzen Nacht, nahm ich früh morgens um kurz nach 06:00 den ersten Zug von Berlin nach Prag, um zu meiner etwas mehr als 200km langen Paddeltour aufzubrechen.
Der Problematik, zu Beginn einer Reise nicht genügend Schlaf zu bekommen, begegnete ich nun schon häufiger. Sie ist gewissermaßen einem Dilemma geschuldet: Mit begrenzten Urlaubstagen versuche ich natürlich stets, das Meiste aus diesen wenigen Wochen im Jahr herauszuholen. Wenn ich dann jedoch am letzten Arbeitstag noch bis spät im Büro festhänge, fehlt mir die Zeit für letzte Vorbereitungen und zum Packen. Da es aber auch keine Option darstellt, nicht zu packen, verkürzt sich also mein Schlaf. Dass dies keine ideale Grundlage für Erholungsurlaub darstellt, der es ja schließlich auch noch sein soll, ist mir natürlich bewusst. Andernfalls würde aber die mir zur Verfügung stehende Zeit nicht ausreichen. Deshalb nehme ich das wieder und wieder in Kauf.
Österreichische Züge sind schmal
Zum Abschied brachte mich mein Partner mitsamt Hündin zum Berliner Hauptbahnhof. Freilich freute ich mich auch über die Unterstützung beim Tragen all meines Gepäcks. In der Theorie und bei Trockenübungen funktionierte das alles. Doch draußen auf der Straße bemerkte ich bereits die ersten Unbequemlichkeiten. Daran würde ich unterwegs definitiv noch mal feilen!
Nach kurzem und schmerzlosem Abschied – für Tränen freute ich mich viel zu sehr auf das bevorstehende Abenteuer und schließlich würden wir uns ja auch schon in zwei Wochen wiedersehen – befand ich mich also mitsamt meiner Gepäckkarre im Railjet der Österreichischen Bundesbahnen. Womöglich war es etwas blauäugig von mir anzunehmen, dass ich schon Platz für meine ganze Ausrüstung finden würde, die ich auch liebevoll kleiner Kühlschrank nannte. Denn solche Ausmaße nahm das Komplettpaket an. Während es problemlos möglich war, die Gepäckkarre in den Zug zu hieven, war im Eingangsbereich des Waggons auch schon Schluss. Denn für die Gänge war die Karre zu breit. Entsprechend blieb mir nichts anderes übrig, als die einzelnen Gepäckstücke einzeln zu lagern und den Wagen zusammengeklappt vor mir zu verstauen.
Die Fahrt nach Prag gibt bereits einen guten Vorgeschmack auf die bevorstehende Paddeltour, denn so mancher Abschnitt deckt sich mit einzelnen Etappen. Das betrifft insbesondere die Strecke zwischen Dresden und Roudnice nad Labem, denn hier begleiteten die Gleise den Verlauf der Elbe komplett. Leider war die Landschaft ab Dresden derart nebelverhangen, dass ich schon feucht-kalte Wetterlagen über die Reise hinweg befürchtete. Immerhin starte ich die Tour Mitte Oktober. Insofern musste ich mit allem rechnen. Sehr eindrucksvoll präsentierten sich die mit Sicherheitsnetzen verhangenen Felsen in der Böhmischen Schweiz. Was für eine Arbeit es gewesen sein muss, all die Bohrungen in den nackten Felsen vorzunehmen!
Es braucht Zeit, loszukommen
In Prag angekommen klarte sich das Wetter auf – es wurde gar richtig sonnig. Wider Erwarten kam ich allerdings nicht am Hauptbahnhof an, denn der österreichische Hochgeschwindigkeitszug hält auf dem Weg nach Wien in Prag nur in Holesovice. Natürlich gelang es mir nicht, meine Gepäckkarre wieder so schön ordentlich zu beladen, wie es mir zu Hause gelungen war. Der Fußweg bis zur Moldau würde kein Spaß werden!
Ein kurzer Blick auf der Karte offenbarte mir, dass die Moldau unweit des Bahnhofs vorbeifloss. Ursprünglich wollte ich mit Blick auf die wundervolle Altstadt starten, allerdings wusste ich aus meiner Recherche heraus bereits, was mich dort erwartet hätte: Direkt in der Altstadt gäbe es keine Möglichkeit zum Einsetzen. Wenn ich also auch vor dem Panorama der Altstadt sowie unter der Karlsbrücke paddeln wollte, hätte ich bereits einige Kilometer flussaufwärts einsetzen müssen. Jedoch wären mir für dieses Vergnügen einige Wehre in die Quere gekommen. Wer selbst schon mal gepaddelt ist, dürfte die leidige Erfahrung gemacht haben, dass man an Wehren entweder schleußen oder eben oft umtragen muss. Entsprechend plante ich, erst nach der Altstadt einzusetzen. Im Wiki des Faltbootforums hatte ich zuvor gelesen, dass es auf der Insel Štvanice eine günstige Einstiegsmöglichkeit gäbe. Nun fand ich mich aber wesentlich weiter flussabwärts im Norden Prags wieder. Innerhalb Prags an eine andere Einstiegsstelle weiter südlich zu gelangen, um die Altstadt sehen zu können (die ich ja schon mehrfach zu Fuß erkundet hatte), durch die Stadt wieder flussabwärts zu paddeln und schließlich das Wehr in Troja durch Umtragen zu überwinden, nur um wieder an meinem Ausgangspunkt herauszukommen, ergab in meinen Augen überhaupt keinen Sinn und hätte mich wahrscheinlich mindestens drei Stunden gekostet. Also beschloss ich diese paar Kilometer einfach sausen zu lassen und stattdessen in Troja einzusteigen.
Dazu musste ich lediglich den Bahnhof verlassen, eine Straßenunterführung sowie eine Brücke über die Moldau passieren und schon konnte es losgehen – quasi. Denn einerseits wollte ich einen Blick auf das Barockschloss von Troja erhaschen, welches mit einer weitläufigen Gartenanlage aufwartet. Auch der Prager Zoo liegt nicht weit entfernt, von dem ich trauriger Weise erfahren musste, dass während der Jahrtausendflut 2002 ein Großteil der Tiere ertrank, weil sie ihren Gehegen nicht entfliehen konnten. Andererseits knurrte mir nach vier Stunden Fahrt schon gehörig der Magen. Um unterwegs nicht nach wenigen Kilometern wieder stoppen zu müssen, entschied ich mich für ein frühes Mittagessen direkt am Flussufer. Proviant hatte ich schließlich noch genügend dabei. Währenddessen genoss ich den Blick auf die Fußgängerbrücke und die Gesellschaft von Schwänen und Enten am Flussufer.
Der Aufbau des Kajaks selbst ging gewohnt schnell von statten – darin war ich schließlich auch geübt. Doch das Bepacken und Ablegen brachte einige Tücken mit sich, sodass ich dann doch erst nach 13:00 ablegte. Es wirkte etwas dilettantisch, aber tatsächlich hatte ich Probleme, mich in mein Kajak zu setzen, ohne an einem Stein unter Wasser hängen zu bleiben. Um die rastenden Vögel nicht zu stören, wollte ich nicht direkt am natürlichen Ufer einsetzen, sondern wählte die Betonplattform weniger Meter weiter, die wie dafür gemacht erschien. Rückblickend kann ich den Einstieg in Troja empfehlen, allerdings würde ich mich künftig von der Betonplattform fernhalten. Unter der Wasseroberfläche ist es dafür einfach zu steinig.
Wehr versus Kanut
An den Ausläufen der Stadt säumen Gärten die Flussufer der Moldau. Immer wieder begegnete ich Anglern (tatsächlich nur Männern!), derer Leinen ich stets auszuweichen versuchte. Das glückte leider nicht immer, denn die verwendete Schnur ist oft kaum zu sehen und ich war überrascht, wie weit Richtung Flussmitte die Köder manchmal schwammen. Ebenfalls immer wieder begegnete ich Graureihern. Wie vielen kann ich nicht beziffern, was nicht nur an der großen Menge lag, sondern auch daran, dass die Graureiher meist flussabwärts flohen, sodass ich sie binnen weniger Minuten wieder aufschreckte. Ingesamt wirkten die Tiere recht scheu. Das Fließtempo der Moldau war überraschend langsam. Bereits wenige hundert Meter nach dem Wehr in Troja war Schluss mit den Stromschnellen, sodass ich deutlich langsamer vorankam als gewünscht. Es dauerte nicht lang, bis ich auf das erste Wehr stieß (oder das zweite, wenn man bedenkt, dass ich das Wehr in Troja geschickt umgangen hatte). Die Schleuse in Klecany war allerdings nicht besetzt, sodass ich zum Umtragen gezwungen war.
Nach einigen Umtrageaktionen kann ich überzeugt behaupten, dass ich Wehre und Schleußen hasse. Jedes von ihnen kostet so viel Zeit! Zunächst gilt es, eine günstige Ausstiegsstelle zu finden. Schließlich läuft man die Umgebung ab, um eine geeignete Einstiegsstelle nach dem Wehr aufzuspüren. Ist diese gefunden, läuft man wieder zum Kajak zurück, wuchtet es mitsamt allem Gepäck aus dem Wasser und muss es nun auf dem Landweg an die gewünschte Einstiegsstelle bringen. Je nach Länge der Schleuse läuft man also mehrere Kilometer hin und zurück.
Hinzukommt, dass ich mich abseits von der Tatsache, dass ich mit einem Bootswagen gereist bin, absolut wie ein blutiger Anfänger verhalten habe. In Klecany setzt man vom linken Schleusenkanal in die Floßgasse rechts über. Die Kaimauer ist allerdings erst ganz am Ende, also am Eingang zur Schleuse, flach genug, um überhaupt anlegen zu können. Da ich der Meinung war, nur kurz nach einer günstigen Einstiegsstelle zu suchen, vertäute ich mein Kajak nicht. Ein großer Fehler, wie sich herausstelle, denn trotz geschlossener Schleuse gab es immer noch genügend Strömung, um mein Kajak mitzuziehen. Das liegt an der Länge von Kajaks: Auf ihrer Breitseite gibt es genügend Angriffsfläche, sodass bereits kleinste Böen oder Strömungen genügen, es vom Ufer wegzudrehen. Während ich also auf den Damm ablief und darauf achtete, die darauf grasenden Ziegen nicht entkommen zu lassen, driftete mein Kajak in den Schleusenkammer.
Letztlich hatte ich Glück im Unglück, weil es mir mit Hilfe meines Paddels sowie der Leitern in der Kammer gelang, eines der an meinem Kajak befestigten Seile zu ergreifen. So konnte ich es wieder zurückziehen. Der Transport an Land gestaltete sich etwas umständlicher, als ich es mir während der Trockenübungen vorgestellt hatte. Doch nach etwas mehr als einer Stunde war das Wehr überwunden und ich konnte endlich weiter.
Der schreiende Unbekannte
Der Nachmittag neigte sich dem Ende. In den Gartengrundstücken am Ufer schmissen zunehmend mehr Menschen ihren Grill an, sodass nach Grillgut duftende Rauchschwaden über die Moldau ihren Weg in meine Nase fanden. Auch einem lautstarken Konzert konnte ich von ihr aus lauschen. Nur etwas mehr als zehn Kilometer weiter flussabwärts traf ich in Dolany bereits auf das nächste Wehr. Hier ging ich bereits davon aus, dass die Schleuse nicht mehr im Betrieb sein würde, immerhin war es samstags. Tatsächlich begegnete ich keiner Menschenseele auf dem Schleusengelände. Nachdem ich mich beim vorherigen Wehr etwas ungeschickt angestellt hatte, wollte ich dieses Mal alles richtig machen. Also vertäute ich mein Boot fein säuberlich und erkundete den Schleusendamm. Beim Steuerhaus der Schleuse fand ich einen Wagen, wie ich ihn in Dokumentationen schon einige Male habe andere Kanut*innen nutzen sehen, um ihre Kajaks umzusetzen. Also dachte ich mir: Warum meinen eigenen Bootswagen erst vom Boot runternehmen, wenn ich mir einfach den kurz ausleihen konnte?
Glücklich mit meiner Idee zog ich den robusten Wagen über den Damm, als ich plötzlich das Schreien eines Mannes von der anderen Seite der Schleuse vernahm. Allerdings sah ich niemanden. Also zog ich weiter. Wieder ertönte das Schreien und dieses Mal hatte ich das Gefühl, dass es direkt an mich gerichtet war. Allerdings verstand ich kein Wort Tschechisch und konnte am anderen Ufer immer noch niemanden ausmachen. Kaum wollte ich mich weiter in Richtung Kajak in Bewegung setzen, schrie der Unbekannte weiter. Dass ich adressiert wurde, war mir nun absolut klar. Doch wie sollte ich mit ihm kommunizieren, wenn ich ihn nicht mal sehen konnte? Noch mal scannte ich das gegenüberliegende Ufer ab, schaute von Haus zu Haus, suchte jedes Fenster, alle Tore und auch die Gärten am Hang nach einem menschlichen Gesicht ab, doch konnte einfach keins entdecken. Da dies nicht ewig so weitergehen konnte, beschloss ich, es jetzt einfach durchzuziehen.
Am Kajak angekommen bemerkte ich jedoch, dass es ein schwieriges sein dürfte, es überhaupt aus dem Wasser zu bekommen. Entsprechend fing ich mit der Entladung an. Auf dem Weg zurück über dem Damm sah ich nun endlich den Unbekannten, denn er betrat die Fläche der Schleuse am anderen Ufer. Seinen Hund hatte er auch dabei. Sprachlich konnten wir uns nicht wirklich gut verständigen, bei mir mangels Tschechisch, bei ihm mangels anderer Sprachen. Stattdessen versuchten wir es mit Mimik, Gestik und dem Übersetzungsdienst der Suchmaschine des Vertrauens. Zumindest auf Textbasis funktionierte das schon hervorragend und erleichterte unsere Kommunikation ungemein. Unmissverständlich gab er mir zu verstehen, dass es sich bei der Karre um seine handelte und ich die nicht einfach so verwenden dürfte. Natürlich entschuldigte ich mich direkt. Wir unterhielten uns eine Weile via Übersetzungsdienst über meine Reise. Der Einheimische, einer der Schleusewarte, bat mir dann direkt seine Hilfe dabei an, mein Kajak umzusetzen. Sogar mit seiner Karre. Zu zweit ging sich das wesentlich einfacher aus und ehrlich gesagt habe bis heute keinen Schimmer, wie ich das sonst allein bewältigt hätte, wo der Weg des Damm direkt am Wasser derart steil verlief.
Mittlerweile dämmerte es bereits und ein neuer Gedanke breitete sich in meinem Kopf aus: Niemals würde ich es vor Dunkelheit bis Kralupy schaffen, wo ich vorab eine Unterkunft reserviert hatte, die mir aber bis heute nicht bestätigt wurde. Mir blieb nur eine Lösung: Fragen, ob ich mein Zelt auf dem Schleusengelände aufstellen dürfte. Glücklicherweise stelle sich das als problemlos heraus und der Schleusenmitarbeiter fragte, ob er mir sonst noch irgendwie helfen konnte. Zwar verneinte ich, war aber begeistert von seiner Hilfsbereitschaft und Freundlichkeit. Nach mehrmaligen Danksagungen und Verabschiedungen schlug ich mein Zelt auf der Wiese des Damms auf. Zum Glück gab es etwas Beleuchtung auf dem Gelände und ich konnte das Zelt sozusagen im Schlaf aufbauen. Erschöpft, aber glücklich begab ich mich direkt zur Nachruhe und dauerte es nicht lang, bis ich ins Land der Träume entschwunden war.
Hier geht es weiter zu Etappe 2.
Dieser Beitrag ist Teil der Reihe Mit dem Kajak von Prag nach Dresden.