Tagtäglich kann uns das Leben überraschen, solang wir dafür empfänglich bleiben und nicht danach suchen. So auch vor wenigen Monaten auf einer Reise in Glasgow, als ich plötzlich, während ich ein Foto aufnahm, von der Seite angesprochen wurde: “Äh, Philipp, bist du es wirklich?”
Die Welt sei ein Dorf, sagt man so schön. Trotzdem bin ich die Reise mit der Meinung angetreten, keine Seele in Glasgow zu kennen. Außerdem war ich gerade völlig in mein Foto von der Queen Street Station vertieft, als mich die seltsam vertraute Stimme aus dem Fluss riss. Entsprechend freudlos muss ich auch gerade ausgesehen haben – zumindest wird mir so mein Null-Gesicht beschrieben, wenn ich mal nicht darauf achte, ich wie ich gerade dreinschaue.
Wer konnte das sein? Eine Leserin meines Blogs vielleicht? Oder sollte das wieder so eine Situation sein wie damals 2009 in Erfurt, als mich ein Kind als Schauspieler identifiziert hat und dann weggerannt ist? Aber auf der Bühne stand ich schon seit Jahren nicht mehr. Ich drehte mich herum und schaute in das lächelnde Gesicht der Freundin meines früheren Mitbewohners. Ich dachte kurz darüber nach, ob ich wirklich in Glasgow oder nicht doch in Darmstadt gelandet bin, stellte fest, dass ich mich definitiv nicht in letzterem befand und fragte: “Was machst du hier?”
Sie war vor wenigen Tagen angekommen, um im Master zu studieren und war eigentlich auf dem Sprung zu ihrer ersten Universitätsveranstaltung. Also verabredeten wir uns auf Drinks am Abend. Bis dahin schoss mir noch einige Male durch den Kopf, was für ein unglaublicher Zufall das doch sein musste, dass ich auf einer Reise just in dem Moment an dieser Stelle ein Foto aufnahm, in dem sie dort auch vorbeikam und war ganz aus dem Häuschen. Doch darum geht es in diesem Text nicht.
Neben all den Neuigkeiten, die wir an dem Abend austauschten, brannte sich vor allem ein Gesprächsfetzen in meinen Kopf und beschäftigt mich seitdem: Als ich sie fragte, ob sie denn ihre Erfahrungen auf einem Blog teilen würde, antwortete sie: “Nein, dieses Jahr mache ich nur für mich.”
Hätte man mich vor zehn Jahren gefragt, wäre meine Antwort womöglich dieselbe gewesen. Zwischenzeitlich hat sich mein Leben und die Welt um uns herum so stark gewandelt, dass es nahezu normal geworden ist, alles mit unseren Mitmenschen zu teilen: Wo wir gerade sind, was wir essen, mit wem wir wie unsere Freizeit verbringen – die Stasi hätte heute leichtes Spiel, auch ganz ohne IM, denn die meisten Informationen geben wir selbst bereitwillig heraus.
Bei der Entscheidung, welche Informationen ich öffentlich über mich preisgebe, wage ich oft selbst einen Spagat. Offensichtlich teile ich mich nicht in meiner Gänze mit, weder hier noch in den asozialen Medien. Dasselbe gilt für alle anderen Menschen im Internet auch, obwohl ich mich schon oft frage, woher dieses gewaltige Mitteilungsbedürfnis für solche Belanglosigkeiten und damit einhergehend das Interesse für ebensolche stammt. Gleichzeitig frage ich mich dann, ob ich eigentlich nicht ebenfalls nur zum Rauschen beitrage, denn das Internet vermittelt täglich so viele polierte Reiseeindrücke, dass jeder einzelne für sich im Meer der Summe versinkt.
Während wir damit beschäftigt sind, unser Leben permanent zu streamen und dem nächsten teilungswürdigen Moment nachjagen, verpassen wir dann oft genau diese Überraschungsmomente, weil wir gar keine Kapazitäten mehr für Spontaneität haben. Offline ist das neue Bio schreibt Frau Ding Dong und drückt damit sehr genau das aus, was mir schon seit ein paar Monaten im Kopf herumschwirrt. Fokus auf das Wesentliche ist in Zeiten der Redundanz und des Überflusses wichtiger denn je, egal ob wir gerade posten, kommentieren, konsumieren oder boykottieren.
Bevor Du sprichst, frag Dich: Ist es freundlich? Ist es nötig? Ist es wahr? Und, ist es besser als die Stille?
Shirdi Sai Baba
Ja, manchmal tun wir schlichtweg besser daran, Dinge für uns zu behalten.
Alles Liebe
Philipp
Matthias
12/01/2020 — 15:42
Lieber Philipp!
Wieder ein sehr schöner Beitrag von dir und er spricht mir zur Zeit wirklich aus dem Herzen. :)
Ich habe mir in letzter Zeit selbst oft die Frage gestellt, ob es wirklich nötig ist, permanent Alles (oder fast alle Aspekte des eigenen Lebens) mit den Menschen im Internet zu teilen, wie das heute der Großteil macht – zumindest scheint es teilweise so zu sein.
Aus diesem Grund habe ich für mich vor wenigen Tagen die Entscheidung getroffen, meinen IG-Account zu löschen und wieder mehr offline zu leben, da ich selbst sehe, wie sehr einen das Internet und die damit verbundenen, scheinbaren Möglichkeiten einnehmen können.
Facebook nutzte ich nie und Instagram war eigentlich auch nur das Ansehen schöner Bilder von lieben Menschen, mit denen ich mich verbunden fühlte für mich.
Es kann jedoch viel Zeit in Anspruch nehmen und man übersieht auf der Jagd nach dem neuen tollen Foto das man selbst posten könnte, nur zu leicht die wirklichen Begegnungen im realen Leben, die einem so viel Freude, Glück und Herzenswärme geben können, wie es die „sozialen“ Medien niemals schaffen werden. Sie spiegeln nur eine Scheinwelt wieder, etwas zweifellos schönes, aber nicht reales.
Es war kein leichter Schritt, (kommt heute teilweise schon fast einem sozialen Selbstmord gleich) aber ich merke mit jedem Tag, wie angenehm es ist, sich wieder mehr in der „wirklichen Welt“ aufzuhalten und nicht permanent das Gefühl zu haben etwas zu verpassen, weil man nicht genug gepostet oder geliked hat. ;)
Der damit verbundene (und durchaus künstlich) selbst erzeugte Stress, kann einem das Leben manchmal schon ganz schön schwer machen.
Bei einem Spaziergang in der Wintersonne erkennt man, wie angenehm ruhig und langsam es offline sein kann. –
Offline ist wirklich das neue Bio. ;)
In diesem Sinne: „Bin dann mal off.“
Alles Liebe,
Matthias :)
Philipp
13/01/2020 — 06:54
Hallo Matthias,
vielen Dank für deine lieben Worte und Einblicke!
Was du beschreibst, kann ich total gut nachvollziehen. Ich selbst habe mich letztes Jahr für fünf Monate aus Instagram verabschiedet und es überhaupt nicht vermisst. Als ich Ende des Jahres mal wieder reingeschaut habe, merkte ich schnell, dass alles beim Alten geblieben ist.
Eine Frage in Hinblick auf die Zeit, die ich mir dann auch gern stelle, lautet: In wessen Ziele investiere ich gerade Zeit: Meine eigenen oder jemandes anderen? – Und warum? Damit hat sich die Thematik sehr schnell erledigt.
Lieber Gruß und viel Freude in der analogen Welt :)
Philipp
Anna
13/01/2020 — 06:55
Ich musste sofort an den Spruch denken: Nur wovon es ein Foto gibt ist auch wirklich passiert.
Ich gehöre ja mehr zur “mitteilungsbedürftigen” Fraktion, dennoch … sehne ich mich nach der Zeit vor Facebook/Instagram und Co. Ich fühle mich müde, außerdem geht mir der ganze Hass im Netzt ziemlich am Keks, auch dieses immer weiter, höher und schneller ist anstrengend, diese ständigen (unbewussten) Vergleiche wer etwas besser/cooler macht. Ich kann total nachvollziehen dass Menschen an FOMO leiden (= Fear of missing out). Die “sozialen” Medien geben einem das Gefühl etwas zu verpassen wenn man mal gemütlich auf der Couch verbringt. Was totaler Humbug ist. Ich versuche mich derzeit in dem Spruch “Bleib auf deiner Matte” vom Yoga, da mir das ganze derzeit etwas über den Kopf wächst. Ich habe das Gefühl erdrückt zu werden und das Bedürfnis davon auszubrechen.
Wann wurde das verlernt?
Danke für diesen tollen Beitrag.
LG Anna
Philipp
19/01/2020 — 10:26
Hallo Anna,
vielen Dank für den Einblick in deine Gedankenwelt! Es freut mich, dass dir mein Beitrag nützt.
In den 2010ern würde man wohl auch sagen können, dass nur wirklich passiert ist, wovon es ein Foto auf Instagram gibt. FOMO abzulegen, kann man auch erlernen. Der erste Schritt ist, ein Bewusstsein zu entwickeln. Im Anschluss braucht es nur noch Handeln. ;)
“Bleib auf der Matte” – Den merk ich mir und werde ihn mir gern selbst häufiger sagen.
Lieber Gruß aus Berlin
Philipp