Wie gern würde ich schreiben, dass keine Reise wie die andere ist! Aber das halte ich nicht für wahr. Individualreisen sind auch nicht mehr das, was sie mal waren. Woran das liegt? Ein Rückblick.
Es war einmal… Der Fuß.
Es mag schwer vorzustellen sein, aber es soll vor Tausenden von Jahren eine Ära gegeben haben, zu der alle Menschen Nomaden waren. Mit den Jahreszeiten wechselten sie ihren Aufenthaltsort, um zu überleben. Wurde es zu heiß, zu kalt oder das Tal war leergejagt, zogen sie gen Norden oder Süden, um weiterhin Nahrung zu finden. Und das alles zu Fuß!
Dann folgte die Domestizierung und plötzlich war es nicht mehr nötig, für Nahrung weiterzuziehen. Menschen wurden sesshaft und Reisen zu etwas Besonderem. Zehn Millennien später legt ein Großteil der Menschheit an einem Tag mehr Strecke zurück, als man vorher je zu träumen wagte, in einem Leben zu schaffen. Doch zu welchem Preis?
Technik, die antreibt
Natürlich hatten die Menschen rasch genug von platt- und blutig gelaufenen Füßen. Also ließen sie andere für sich laufen, beispielsweise Esel, Kamele und Pferde. Schneller war das allemal und größere Distanzen ließen sich so auch noch zurücklegen. Nur Meere stellten weiterhin eine Herausforderung dar, die man mit Schiffen meisterte. Aber das war alles zu langsam.
Deshalb behalf sich der Mensch mit Erfindungen, um die lästigen, langen und beschwerlichen Reisezeiten sowohl zu verkürzen als auch komfortabler zu gestalten. Züge waren schneller, aber man konnte nicht selbst entscheiden, wann man fährt, weil man vom Fahrplan eines Unternehmens abhängig war. Autos waren schnell und garantierten Unabhängigkeit, doch das forderte den Preis der Aufmerksamkeit während der Reise. Andernfalls konnte sie leicht tödlich enden. Außerdem war man bei längeren Strecken immer noch mehrere Tage bis Wochen unterwegs. Dafür sollte das Flugzeug Abhilfe schaffen: Binnen eines Tages konnte man so ans andere Ende der Welt reisen.
All diese technischen Fortschritte erlaubten kürzere, häufigere und günstigere Reisen. Während Handelsreisende früher Wochen und Monate von einem Ort zum nächsten zogen, geschah dies fortan eher täglich in Form eines Arbeitswegs. Privatreisen wurden von sogenannten Reisebüros unter Aussicht auf spektakuläre Erlebnisse als Pauschalangebote vermittelt. Für jede Traumreise gab es ein vorgefertigtes Paket. Abenteuer ja, aber bitte mit Komfort.
Mit Einzug des Internets, mussten Handelsreisende gar nicht mehr reisen, sondern konnten all ihre internationalen Geschäfte zentral aus der Ferne steuern. Gleichermaßen ermöglichte das Netz auch weniger wohlhabenden Menschen privaten Zugang zu Fernreisen, von denen sie sich früher nie hätten träumen lassen. Damit war die Bewegung der Individualreisenden geboren. Um eine Fernreise zu buchen, brauchte man sich nicht mehr ins Reisebüro bequemen. Viel günstiger, ganz individuell und von zu Hause aus ließen sich Reisen nun online buchen. Das gefiel den Leuten: Mehr Reisen und damit mehr Erfahrungen für weniger Geld und in kürzerer Zeit. Und so reisten sie und reisten sie. Und so reisten immer mehr Menschen immer öfter an die immer gleichen Orte.
Ewiges Standbye
Neben neuen Erfahrungen dienten diese Reisen vor allem einem: Dem Abschalten. Dem Rauskommen aus dem Alltagstrott. Dem Entrinnen des Gewohnten. Einfach mal weg von allem, was man sonst jeden Tag um sich hat und stattdessen rein in eine kunterbunte Mischung aus unbekannten Landschaften, Menschen und Sprachen. Einfach mal nicht arbeiten. Einfach mal tägliche Routinen links liegen und das allabendliche Unterhaltungsprogramm auf den Bildschirmen ausgeschaltet lassen.
Damit einher kamen ebenfalls Einschränkungen der alltäglichen Annehmlichkeiten: Kein Kontakt zu Familie und Freunden. Wenn doch, dann nur über Briefe, die wochenlang brauchten, um zugestellt zu werden, sodass die Reisenden oft früher zurück zu Hause waren, als die Reisepost. Das blieb auch während der Jugendjahre des Internets so, denn es war teuer, ein Luxusgut und äußerst langsam noch dazu. Wer wollte schon wertvolle Reisezeit damit vergeuden, stundenlang in einem verrauchten, schäbigen Internetcafé zu verbringen, nur um den Liebsten mitzuteilen, dass das Wetter schön ist? Dann doch lieber mit einer Postkarte und einem Kugelschreiber am Strand.
Allerdings wurde auch das Internet schneller, schließlich so mobil wie der Mensch selbst und ebenso wenig Luxusgut wie das Reisen. Von nahezu überall auf der Welt konnten die Menschen also endlich auch mit ihren Liebsten und der Arbeit in Verbindung bleiben. Darüber hinaus bot das Internet jedem Möglichkeiten, nun selbst in die Tourismusbranche einzusteigen. Warum sollte man die eigenen vier Wände auch nicht vermieten, während man selbst auf Reisen ist? Und damit man sich auch unterwegs wie zu Hause fühlte, konnte man sich selbst ebenfalls bei anderen Menschen im Wohnzimmer einmieten.
Was bleibt, wenn sich alles vermengt?
Zu guter Letzt blieben den Menschen gar die lästigen Diaabende nach den Reisen erspart, bei denen man gezwungen war, sich durch hunderte Fotos zu quälen, die tatsächlich doch ohnehin niemanden interessierten. Digitaler Fotografie und mobilem Internet sei Dank, konnten die Menschen nun gar Tausende von belanglosen Fotos aufnehmen und im Internet präsentieren. Doch war das Interesse gestiegen?
Bei den Menschen war inzwischen eine kuriose Lethargie eingetreten: Nun, da sie wiederkehrend nahezu identischen Fotos der immer gleichen Motive ausgesetzt waren, ließen sie sich sogar freiwillig und täglich von Hunderttausenden von Fotos berieseln, noch bevor die Reisenden zurück waren. Zwischen all den Reisen bleibt natürlich keine Zeit mehr, um mit den Liebsten einen Fotoabend zu verbringen!
Die Frage ist: Wofür reisen die Menschen noch, wenn sie, egal ob vor, während oder nach einer Reise, die gleichen Bilder zu sehen bekommen und sich doch einfach nur wie zu Hause fühlen wollen?
Alles Liebe
Philipp