In jüngster Zeit werde ich online gezielt mit Werbung für Saudi-Arabien bombardiert, welches sich erst dieses Jahr für Tourismus öffnete. Einerseits denke ich direkt “Wow, toll!”, andererseits habe ich, wie bei einigen anderen Ländern auch, Vorbehalte. Denn Saudi-Arabien ist nur ein Beispiel von vielen auf dieser Welt: Länder, deren Besuch verboten gehört.
Was, hat er das wirklich gerade geschrieben? Ja, und nicht ohne Gründe. Welche ich habe und warum ich mich dennoch im Dilemma befinde, erfährst du im Folgenden.
Es gibt noch verschlossene Länder?
Beginnen wir von vorn. Alles begann mit diesem Video, welches ich im Internet regelmäßig aufgedrückt bekomme. Freilich versucht es, Saudi-Arabien schmackhaft zu machen. Das gelingt auch. Wenn ich das Video sehe, möchte ich am liebsten direkt meine Sachen packen und los. “Sei einer der ersten, die dieses Land entdecken.” – Natürlich spricht mich das an, wo ich doch stets versuche, abseits kultureller Hauptstraßen zu wandern.
Wie das möglich ist? Saudi-Arabien war bis vor Kurzem abseits von wirtschaftlichen und religiösen Reisen nach Mekka oder Medina der Öffentlichkeit überhaupt nicht zugänglich. Doch das soll sich nun ändern.
Was macht Tourismus mit einem Land?
Dass es sich bei dem Spruch, einer der Ersten zu sein, lediglich um geschicktes Marketing handelt, ist recht schnell zu durchschauen. Denn letztlich bleiben muslimische Heiligtümer auch weiterhin für gewöhnlichen Tourismus tabu. Und in den Bereichen, in die man darf, werden sich wahrscheinlich recht schnell touristische Magneten herausbilden. Bis zuletzt gab es im Grunde allerdings keinerlei Infrastruktur für Tourismus, denn dieser hatte ja ebenfalls nicht existiert.
Wie authentisch wird eine Reise also, wenn nun eigens touristische Zentren erschaffen werden, um diese Industrie überhaupt er zu ermöglichen? Über Jahre hinweg hat sich das Land darauf vorbereitet, um nun westlich geprägten Reisenden ein Erlebnis zu bieten – allerdings auch mit Komfort. Doch spiegelt das das Leben im Land wider?
Gerechter Weise sollte ich hier anmerken, dass es sich in Europa oder anderen Orten dieser Welt nur bedingt anders verhält. Vielerorts werden Touris tourenweise (haha) von einem Hotspot zum nächsten gekarrt, ohne die tatsächliche Landeskultur kennenzulernen. Im Falle des Werbeclips wirkt es aber nicht so, als hätte man dazu überhaupt die Chance.
Fremde Kultur vs. eigenes Werteverständnis
Nachdem im September bekannt gegeben wurde, dass es sich für Tourismus öffnen möchte, wurden eigens Verhaltensrichtlinien für Tourist.innen veröffentlicht, damit es nicht zum kulturellen Krawall zwischen Einheimischen und Angereisten kommt. Damit einher wurde ebenfalls ein Strafenkatalog publiziert, womit die Probleme für mich persönlich beginnen.Ein essentieller Teil des Reisens beinhaltet die Konfrontation von eigenen Wertvorstellungen mit bis dato unbekannten. Entsprechend zwängt sich nun die Frage auf, wie weit ich eigentlich bereit bin, die eigenen Werte hintenanzustellen.
Ein Großteil besagten Katalogs scheint selbstverständlich, wenn es beispielsweise um Sachbeschädigung oder Körperverletzung geht. Ein paar wirken auf Europäer übertrieben, etwa die Strafe für Vordrängeln (Briten und Deutsche seien hier ausdrücklich ausgenommen). Und dann gibt es einige, die zunächst unscheinbar wirken, bei näherem Hinsehen jedoch unangenehme Auswirkungen mit sich bringen.
“Unanständiges Verhalten, das sexuell anmutendes Handel beinhaltet.” – Freilich könnte man nun sagen, dass man sich ja auch in Deutschland eine Erregung öffentlichen Ärgernisses einhandelt, wenn man im öffentlichem Raum, Sex hat. Doch wo genau die Grenze zu sexuell anmutendem Handeln liegt, hängt in erster Instanz stark vom Kulturkreis ab. Wenn sich Genitalien berühren? Oder doch schon bei den Lippen? Und wie sieht es mit den Händen aus?
In Europa sind wir es gewohnt, unsere Zuneigung freizügig zur Schau stellen zu können. In anderen Ländern gelten andere Sitten. Droht mir also die Todesstrafe, wenn ich meinem Herzblatt ein Küsschen gebe? Im Falle Saudi-Arabiens tatsächlich “nur” lebenslange Haft, aber selbst das finde ich bereits schlimm genug.
Sind fehlende Menschenrechte ein Ausschlusskriterium für Reisen?
Zugegebener Maßen betrifft dieses Beispiel mich persönlich, weil es mich in meiner Sexualität einschränkt. Natürlich könnte ich das für eine gewisse Zeit dulden, denn schließlich lebe ich dort ja nicht auf Dauer. Es ist also generell eher eine Frage, ob ich mich freiwillig in diese unangenehme Situation begeben möchte. Persönlich verlasse ich gern meine Komfortzone, um anhand neuer Erfahrungen und Herausforderungen zu wachsen. Letztlich stellt sich also eher die Frage: Wo ziehe ich die Grenze?
Im Falle Saudi-Arabiens sind dies fehlende Menschenrechte. Ja, auch dieses Land wird zunehmend liberaler. Doch noch immer ist dort Unterdrückung alltäglich und Menschenrechte nicht garantiert, wie unter anderem der Mord am Journalisten Jamal Khashoggi vor einem Jahr deutlich macht. Die Tat an sich schockierte mich bereits, aber die Tatsache, dass bis heute auf keiner Ebene Konsequenzen folgen, kann ich nach wie vor nicht begreifen.
Ein Land ist mehr als seine Politik
Nun ist Saudi-Arabien bei Weitem nicht das einzige Land, in dem Menschenrecht nicht den gleichen Standard genießen, wie in Deutschland. Auch in den Vereinigten Staaten von Amerika gibt es noch die Todesstrafe. Dennoch reisen dort jährlich Millionen von Menschen hin. Auch in Israel gibt es sie in Ausnahmefällen per Gesetz noch, wenn auch bereits seit Jahrzehnten nicht mehr praktiziert.
Im Falle Israels bin ich dort auch nicht mit politischen Entscheidungen einverstanden; ebenso wenig wie bei einigen anderen Ländern dieser Welt – Deutschland inbegriffen. Hinzukommt der derzeitige Rechtsruck vieler Länder. Nichtsdestotrotz mag ich diese Fleckchen Erde.
Es ist also diskutabel, ob man ein Land nicht besuchen sollte, nur weil gewohnte Standards dort nicht eingehalten werden. Radikalisierung wird es wahrscheinlich immer wieder geben. Doch hören wir deshalb mit dem Reisen auf und strafen die komplette Bevölkerung damit, indem wir in diesem Land nicht unser Geld ausgeben?
Was richtet weniger Schaden an?
Zu Beginn dieses Beitrags habe ich mich gefragt, was Tourismus mit einem Land macht. Freilich hat er nicht nur negativen Einfluss, denn mit all den Menschen aus verschiedenen Ecken der Welt, die in ein Land reisen, findet in gewisser Weise und wenngleich mal mehr oder mal weniger ein Austausch mit den Einheimischen statt. Alle Tourist.innen bringen ihre eigenen Werte, ihre eigenen Wohlstand und ihre eigenen Sitten mit. Entsprechend findet der interkulturelle Austausch nicht nur für die Reisenden, sondern auch die Ansässigen statt.
Nehmen wir als Beispiel emanzipierte Frauen aus westlich geprägten Ländern: Wenn diese in ein unter diesem Aspekt konservatives Land reisen, erzeugen sie Brüche mit den dort gewohnten Sitten und zeigen: Es geht auch anders. Frauen können auch ohne Mann reisen und selbstbestimmt Entscheidungen treffen. Über längere Zeiträume hinweg, in denen diese Tatsache immer wieder von Reisenden vorgelebt wird, kann entsprechend das Begehren in den hiesigen Frauen geweckt werden, diesen Standard auch leben zu wollen.
Andererseits kann man natürlich auch behaupten, ein Land sei selbst daran Schuld, wenn sie noch keine Demokratie und Gleichberechtigung haben und sämtliche politische Entscheidungen von der Bevölkerung mitgetragen oder zumindest toleriert würden. Entsprechend brächte das alleinige Vorleben von demokratischen Werten, insofern dies überhaupt möglich ist, freilich nichts. Die Einheimischen müssten selbst aktiv werden, wenn sie eine Demokratie wollten. Diktaturen, die nichts gegen Menschenrechtsverletzungen tun, sollten nicht auch noch mit finanziellen Mitteln von Reisenden unterstützt werden.
Die blaue Brille
Beide Standpunkte schauen meines Erachtens von oben herab auf fremde Kulturen: Auf der einen Seite, wenn man davon ausgeht, dass westliche Werte das Nonplusultra seien und ignoriert, dass anderorts andere Ansätze womöglich die passenderen sein können und es nicht nur eine richtige Antwort, die des kulturellen Westens, auf die Probleme dieser Welt gibt. Gleichermaßen störe ich mich an der Haltung, dass es die westlichen Moralapostel als Retter brauchte. Andererseits ignorieren wir allzuoft, dass es auch in Deutschland erst seit etwa 100 Jahren das Frauenwahlrecht gibt und Menschen abseits der Heteronorm erst seit kurzer Zeit ähnliche oder ansatzweise gleiche Rechte genießen.
Als überzeugter Anhänger von Menschenrechten ist es mir nichtsdestotrotz ein Anliegen, dass diese weltweit geboten sind. Auch wenn Selbstbestimmung und freie Liebe, wie wir es gewohnt sind, nicht für jede Person auf der Welt das Richtige ist, halte ich es für essentiell, die Freiheit zu haben, zu wählen welches Leben man leben möchte, nachdem man verschiedene Optionen gesehen hat.
Im Umgang mit fremden Kulturen sehe ich nicht den einen richtigen Weg, aber sehr viele, die nicht hilfreich sind:
- Wenn wir von uns unbekannten Kulturen lesen, hilft es nicht, über diese zu urteilen, bevor wir sie nicht selbst erlebt haben.
- Wenn wir in Kontakt mit uns fremden Kulturen treten, hilft es nicht, die eigene als die bessere hochzuhalten.
- Wenn wir innerhalb unseres eigenen Kulturkreises von den Erfahrungen berichten, hilft es nicht, diese als Fakten zu vermitteln.
Stattdessen halte ich es für hilfreicher, sich, ob mit oder ohne Vorurteilen, auf fremde Kulturen einzulassen – sei es auch nur temporär. Bei Kontakt halte ich es für hilfreicher, einen Dialog zu halten, also auch 50% einfach nur zuzuhören, anstatt selbst zu reden. Zurück im eigenen Kulturkreis halte ich es für hilfreicher, immer wieder zu betonen, dass es sich um die persönlichen Eindrücke handelt. Womöglich reist eine Woche später jemand aus dem Publikum selbst hin und hat ganz andere.
Meine persönlichen verbotenen Reisesüchte
Obwohl ich bereits über verbotene Reisesüchte geschrieben habe, kamen meine persönlichen Top 3 (ohne Rangreihenfolge) noch gar nicht zur Ansprache. Hier sind sie also:
- Iran
Über Iran hört man viel in den Nachrichten, aber wer kann schon behaupten, das Land selbst erlebt zu haben? Da Iran und Israel seit der Gründung letzteres verfeindet sind, kann ich leider nicht selbst in den Genuss kommen, ohne mir weitere Reisen nach Israel zu verschließen. - Nordkorea
Zwar halte ich nicht viel von Diktaturen, allerdings frage ich mich, wie das Alltagsleben in diesem Land tatsächlich aussieht und für Einheimische anfühlt, da meine Meinung über das Land vor allem durch Medienberichte wie dieser geprägt ist. Außerdem gibt es in Nordkorea lediglich organisierte Reisen, die eine authentische Erfahrung meines Erachtens nicht zulassen. - Syrien
Seit Jahren herrscht dort leider Bürgerkrieg, weshalb Jahrtausende alte Kulturgüter zerstört werden. Außerdem herrscht mit dem Nachbarland Israel Krieg, weshalb ich im Anschluss an eine Reise dorthin Schwierigkeiten hätte, wieder nach Israel einzureisen. Daher bleibt mir auch dieser Wunsch vorerst verwehrt.
Welche Länder sind deine verbotenen Reisesüchte? Und wie gehst du mit solchen Ländern um? Schreib es gern in den Kommentaren oder in Form einer persönlichen Nachricht.
Alles Liebe
Philipp
Jasmin
11/04/2022 — 07:26
Hallo Philipp,
letztens habe ich erfahren, dass man einen zweiten Reisepass beantragen kann, der genau wie ein normaler Reisepass ist und es ermöglicht z.B. in den Iran einzureisen, obwohl du bereits in Israel warst.
Über das Alltagsleben in Nordkorea habe ich von Yeonmi Park sehr viel gelernt. Sie selbst ist aus Nordkorea geflohen und produziert YouTube-Videos über das Leben dort. Vielleicht interessiert dich das.
Philipp
20/04/2022 — 06:35
Hallo Jasmin,
von der Möglichkeit zu einem zweiten Reisepass weiß ich tatsächlich schon. Allerdings wage ich ehrlich gesagt zu bezweifeln, dass die Behörden in den betreffenden Staaten davon nicht dennoch Wind bekämen.
Danke für den Tipp! Yeonmi Parks Geschichte und ihre Erfahrungen interessieren mich tatsächlich.
Herzlicher Gruß
Philipp