Ein deutscher Zug in Israel? Ja, das mag unangenehme Konnotationen wecken, ist dieses Mal aber eine gute Sache. Nach langer Zeit hat sie endlich eröffnet: Die neue Zugstrecke zwischen Tel Aviv und Jerusalem. Und darüber freuen sich hierzulande alle wie kleine Kinder kurz vorm Geburtstag.

So wirklich reibungslos funktioniert der neue Bahnhof natürlich noch nicht und die Strecke von Tel Aviv zum Flughafen ist auch noch nicht komplett elektrifiziert, weshalb man noch nicht in den Genuss der gesamten Strecke kommt. Das tut der Freude jedoch keinen Abruch, wenn am Eröffnungstag Familien, Soldaten, Studierende und viele andere zum ersten Mal die neuen Hallen betreten. Denn eindrucksvoll ist der neue Bahnhof.

Foto Riesige Rolltreppen

Achtzig Meter unter der Erde

Da Jerusalem äußerst hügelig ist und der Anstieg zu steil wäre, um die Züge an der Oberfläche fahren zu lassen, legt der Zug große Teile in Tunneln zurück. Entsprechend befinden sich die Gleise des Bahnhofs auch achtzig Meter unter der Erde. Damit gehört er zu den am tiefsten unterirdisch gelegenen Bahnhöfen der Welt. Insgesamt sechs Rolltreppen, drei davon überdimensional lang, bringen die Fährgäste zu den Gleisen.

Auf dem Weg dorthin passiert man schwere Stahltore. Diese können bei Bedarf geschlossen werden, um den Bahnhof als Luftschutzbunker zu nutzen. Platz genug ist dort jedenfalls; für die derzeitige Nutzungsrate sogar viel mehr als nötig. Aber das ändert sich in naher Zukunft womöglich. Denn in unmittelbarer Nähe des Bahnhofs entsteht bereits seit einigen Jahren ein neues Handels- und Geschäftszentrum. Das zeugt von Israels ambitionierten Plänen für Jerusalem.

Foto Stahltor

Eingeschränkte Reisemöglichkeiten

Der öffentliche Nahverkehr stellt einen Ausdruck für Freiheit dar und ist in diesem Zusammenhang sowohl im Nahen Osten insgesamt als auch in Israel ein Bote für Optimismus. Auch wenn viele Israelis darauf schimpfen, insbesondere weil er an Schabbat nicht verkehrt, zeigt sich doch große Freude bei Jung und Alt, nun da endlich mit mehrjähriger Verspätung die neue Zugverbindung eröffnet und ein mobileres Leben ermöglicht, nachdem Jahre lang riesige Bohrer Tunnel in die Berge westlich von Jerusalem gruben.

Aus Europa kommend wirkt diese Euphorie womöglich etwas kindisch und überkandidelt. Aber wir haben ja auch leicht Reden, schließlich können wir in ganz Europa frei reisen, ohne auch nur einmal den Pass zücken zu müssen. Wir können frei wählen, ob wir zu Land, Luft oder Wasser reisen und kommen ziemlich weit.

Israel hat gerade einmal die Größe Hessens. Lange Zeit war es überhaupt nicht möglich, ins Ausland zu reisen, ohne dabei in den Flieger zu steigen. Mittlerweile wurden zwar die Grenzen zu Ägypten und Jordanien geöffnet, nachdem Friedensverträge geschlossen worden waren, doch ich bemerke wiederkehrend, dass unter Israelis noch Ängste schwelen, die einstigen Feindesländer zu besuchen. Während die Halbinsel Sinai nach wie vor ein beliebtes Reiseziel darstellt, reisen immer noch ebenso wenig Israelis nach Jordanien, wie Jordanier die israelische Grenze überschreiten. Insbesondere in ländlichenGebieten habe ich in Jordanien schon Antisemitismus erfahren. Da wird es also noch etwas Zeit und vor allem Austausch bedürfen, bevor diese Hemmschwellen abgebaut sind.

Auch inländisch gibt es starke Einschränkungen in Hinblick auf die Reisezeit. Einerseits ruht sämtlicher öffentlicher Nahverkehr an allen Sams- und Feiertagen. Andererseits behindert der dreijährige Wehrdienst direkt nach der Schule die Reisemöglichkeiten der Jugend. Während es in Deutschland mittlerweile nahezu Tradition ist, nach dem Abi erstmal für ein Jahr zu verreisen, kommen viele Israelis erst dazu, nachdem sie ihre Wehrpflicht hinter sich gebracht und ein wenig Geld angespart haben.

Erinnerungen an Freiheit

Früher gab es bereits einen Zug von Istanbul nach Kairo, der auch Palästina durchquerte. In der Folge der Gründung Israels ist das Streckennetz aufgrund der verhärteten Fronten und geschlossenen Grenzen hin zu Ägypten, Syrien und dem Libanon mittlerweile unterbrochen. Trotz der wiedereröffneten Grenzen wurden die Zugverbindungen nicht wiederhergestellt. Stattdessen kommen weitläufig Busse zum Einsatz, die die Grenzen jedoch nicht überqueren.

Einst haben die Busse Reisende durch den gesamten Nahen Osten gebracht. Davon zeugen heute noch Erinnerungen von Menschen, die ich hierzulande antreffe. Unter ihnen befindet sich Marie. Die Französin ist führt bereits seit mehreren Jahrzehnten ein kleines Café auf der Halbinsel Sinai mit ihrem Mann Fuad. Als sie noch jünger war, fuhr sie nach ihren jährlichen Heimatbesuchen mit dem Zug bis Istanbul und ab dort mit Bussen bis ans Rote Meer. Die genaue Route änderte sie nach Belieben und erkundete so große Teile des Nahen Ostens.

Auch in den Palästinensischen Autonomiegebieten keimt allem voran Nostalgie auf, wenn an das ehemalige Transportmittel der Wahl zurückgedacht wird. Das wird besonders deutlich, als ich die Gelegenheit bekomme, mit einer Fernsehproduktion durch Bethlehem zu fahren – in einem umfunktionierten Traktor, der genauso aussieht, wie die Busse “aus der guten alten Zeit”. Das Interesse ist groß und Menschen aller Generationen scheinen sich an eine Epoche der Reisefreiheit zu erinnern – sei es aus den eigenen Erlebnissen oder Erzählungen anderer.

Foto Bus 47

Ein Schritt in die Zukunft

Zugverbindungen sind also schon länger Mangelware in Israel. Von der ursprünglichen Langstreckenverbindung ist nur noch ein kleiner Teil übrig geblieben, wovon diverse alte Bahnhöfe, die mittlerweile als Märkte oder Erholungsorte genutzt werden, zeugen. Doch das ändert sich jetzt, denn endlich, nach mehreren Jahren Verspätung, hat die neue Verbindung eröffnet – zumindest teilweise. Vom Flughafen Ben Gurion nach Jerusalem fahren alle halbe Stunde jeweils ein Zug in beide Richtungen. Als Eröffnungsgeschenk gibt es die ersten zwei Monate sogar kostenfrei und Schokoladenpralinen für alle Mitfahrenden.

Ein komplettes Novum ist die Zugverbindung freilich nicht. Bisher gibt es nämlich schon eine historische Verbindung zwischen Jerusalem und Yafo, die zwar schöne Aussichten bieten soll, dafür aber wenig Komfort bietet, da der Bahnhof Malchas sehr weit außerhalb von Jerusalems Stadtzentrum liegt und die reine Fahrtzeit mit zwei Stunden mehr als doppelt so lang wie die äquivalente Busverbindung dauert.

Die neue Verbindung birgt nämlich nicht nur eine praktische, sondern allem voran auch politische Natur: Seit seiner Gründung im Jahre 1948 beansprucht der Staat Israel Jerusalem als seine Hauptstadt. International ist dies jedoch nach wie vor nicht anerkannt, weshalb die meisten Staaten ihre Botschaften in Tel Aviv unterhalten und Botschafter nahezu täglich nach Jerusalem pendeln. Zumindest der Bevölkerung wird es so einfacher denn je gemacht, sich frei zwischen der ideologischen und wirtschaftlichen Hauptstadt Israels zu bewegen.

Noch ist fraglich, welche mittel- und langfristigen Auswirkungen die neue Verbindung nach sich ziehen wird. Es wird definitiv mehr Touristen in die Stadt spülen, da es nun noch einfacher für sie ist, direkt vom Flughafen in die heilige Stadt einzuchecken. Möglicherweise werden fortan alle mit Arbeitsplatz in Jerusalem, die aufgrund der hohen Religiosität keine Lust auf die Stadt haben, nach Tel Aviv ziehen und pendeln, was zu noch geringeren Steuereinnahmen und noch größerem Einfluss der orthodox-religiösen Bevölkerung in der Stadt führen würde. Oder zunehmend mehr Menschen ziehen nun nach Jerusalem, da sie zumindest in der Theorie jederzeit nach Tel Aviv können, wenn sie wollen. Immerhin sind die Mietpreise in der Metropole am Mittelmeer immer noch am höchsten im gesamten Land. Vielleicht ist Jerusalem also noch nicht ganz verloren.

Was hältst du von der neuen Zugverbindung? Nimmst du sie freudig für deine nächste Reise in Israel auf oder bevorzugst du ohnehin Roadtrips? Schreib es gern in die Kommentare!

Alles Liebe

Philipp