Braucht es den CSD überhaupt noch?

Die Pride Season neigt sich dem Ende zu, aber irgendwie ist es ja doch jedes Jahr dasselbe: Party, Party, Party! Und die Ehe für alle haben wir ja nun schon seit letztem Jahr. Da stellt sich mir zwangsläufig die Frage: Braucht es all diese Partys und Paraden überhaupt noch? Es sind doch mittlerweile alle gleichberechtigt…

So in etwa verlief eine Diskussion, die ich diesen Sommer hatte – mit einem Mitglied der queeren Community. Ich war dieses Jahr auf keiner der Paraden, weil ich reisebedingt zu keiner Zeit am richtigen Ort gewesen wäre und nicht extra in andere Städte fahre, um CSDs mitzunehmen. (Und ja, obwohl CSD sogar einer der wenigen Tage ist, die ich als Feiertag anerkenne.)

Auf den ersten Blick scheint die Argumentation auch schlüssig: In Deutschland gibt es mittlerweile die Ehe für alle und auch in allen anderen Belangen gibt es gesetzlich keine Diskriminierung mehr. Wozu also all die Paraden, wenn es nur noch Party statt Politikum ist? Hier sind drei Gründe, weshalb es den CSD immer noch braucht – aller Feierei und Kommerzialisierung zum Trotz.

Solidarität

Dass die Ehe für alle 2017 vom Bundestag beschlossen wurde, war längst überfällig. Leider gibt es auch heute noch eine lange Liste von Ländern, in denen es nicht für alle möglich ist, unabhängig von der biologischen Geschlechterkonstellation zu heiraten, oder Beziehungen abseits der Heteronormativität unter Strafe stehen – bis hin zur Todesstrafe.

Freilich sollte man über diese Unmenschlichkeit nicht einfach hinwegsehen. Doch Boykott halte ich noch weniger für die richtige Herangehensweise. Stattdessen sollte man auf die Lage – auch im wohl situierten Deutschland – aufmerksam machen, Solidarität zeigen und die hiesigen Politikschaffenden dazu auffordern, das Thema Gleichberechtigung und Menschenrechte mit zum Thema bei internationalen Beziehungen zu machen.

Es gibt noch mehr

Gleichgeschlechtliche Beziehungen zwischen zwei Menschen sind eine Sache, aber bei weitem nicht die ganze Bandbreite an sexueller Vielfalt. Es gibt nicht nur schwarz und weiß, sondern ein riesiges Spektrum. Außerdem ist Sexualität nichts fixes, sondern im Fluss.

Was ist also mit den Menschen, die sich nicht ihrem biologischen Geschlecht zugehörig fühlen, auf mehrere Geschlechter stehen oder auf gar keins? Was ist mit all denen, für die die klassische Geschlechterunterteilung nicht funktioniert und die keine der Schubladen für sich annehmen wollen? Was ist mit Beziehungen zwischen mehr als zwei Menschen?

Ja, es wurde mittlerweile gerichtlich entschieden, dass es eine Möglichkeit geben soll, amtlich eintragen zu lassen, wenn man sich weder zu weiblich noch männlich zugehörig fühlt. Die Diskussion darum lässt aber eine ziemlich offensichtliche Lösung außen vor: Warum das Geschlecht nicht komplett außen vor lassen? Wäre das nicht Gleichbehandlung par excellence?

Behandeln wir doch einfach alle als Menschen. Alle dürfen mit allen tun und lassen, was alle Beteiligten wollen. Fertig. Das biologische Geschlecht sollte weder in der Praxis noch im Amtsverkehr Relevanz haben, wenn wirklich alle gleichbehandelt werden. Wozu also überhaupt der Vermerk?

Kritische Menschen könnten nun Sicherheitsbedenken äußern. Dem setze ich entgegen, dass Personenbeschreibungen in vielerlei Hinsicht unstete Merkmale beinhalten, die sich leicht ändern lassen. Das beginnt bei Bärten, Frisuren und Augenfarbe (Kontaktlinsen machen’s möglich), hört aber ganz sicher nicht beim Geschlecht auf – ob kosmetisch (künstliche Bärte oder Prothesen) oder operativ sei mal dahingestellt.

Aufklärung ist keine einmalige Angelegenheit

Beim Gesetz darf nicht Schluss sein, denn das allein schafft noch nicht eine neue Realität, sondern nur den Rahmen dafür. Deshalb braucht es auch weiterhin Aufklärung.

Ich habe auch schon in Deutschland Homophobie erfahren und das auch nicht nur in ländlichen Regionen, sondern auch in Großstädten. Nur weil wir heute – augenscheinlich – so tolerant sind heißt das nicht, dass es nichts mehr zu tun gäbe oder folgende Generationen vor Intoleranz gefeit sind. Im Gegenteil: Jede Generation bedarf eigener, stetiger Aufklärung, um die aktuelle Situation nicht nur beizuhalten, sondern auch zu verbessern.

Ein Teil davon kann auch das Gedenken sein, wie es bei CSDs neben all den Partys gewöhnlich geübt wird. Und selbst die Partys für sich sind eine Art der Community zu sagen: Wir sind schrill. Wir sind bunt. Akzeptiert uns so.

Der CSD hat also noch lange nicht ausgedient und wird es hoffentlich auch nie.

Wie sind deine Erfahrungen mit CSD-Paraden? Hast du selbst schon mal an einer teilgenommen? Teile dich gern in den Kommentaren mit.

Queere Grüße

Philipp

2 Kommentare

Antworten

  1. Was ist CSD?

    Und naja in einer Welt wo die Frau auch nur am Papier gleichberechtigt ist wird es wohl noch länger brauchen bis da irgendjemand dem Standard gleich ist. Wenn man so darüber nachdenkt eigentlich ziemlich schräg die Situation. Denn so viele Menschen bleiben als Standard dann gar nicht mehr übrig, daher stellt sich die Frage was der Standard eigentlich ist. Er ist auf alle Fälle männlich und heterosexuell, man kann davon ausgehen das er beruflich erfolgreich ist (weil sonst ist er ja ein Looser, das ist wiederum gesellschaftlich nicht tragbar), Alkoholkonsum oder der anderer Drogen (zB rauchen) nur gemäßigt (sonst wäre er ja zügellos und hätte sich nicht unter Kontrolle, das ist gesellschaftlich nicht tragbar) – aber ob das allein ausreicht? Der Standard wird von einer kleinen, man durchaus elitär sagen, Gruppe geprägt und wir Menschen, die Lemminge, gefangen in unserer Kultur, Religion, Stamm, Familienverband, Gesellschaft, wasauchimmer – laufen dem nach und jammern über Diskriminierung und tun aber aktiv nichts dagegen.

    Aktiv wäre ja schon mal das man selbst nicht mehr diskriminiert – das ist schon mal gar nicht so leicht wenn etwas negatives bzw. nicht so tolles gleich mal behindert ist oder schwul oder weibisch.

    Das weitere Problem ist, es werden nicht überall die gleichen Menschen bzw. gleiche Art von Menschen diskriminiert, ok manche Sachen ziehen sich durch wie ein roter Faden, aber es ist nicht überall gleich ausgeprägt, daher kann man das auch schwer global zusammenfassen.

    Ich nehme mich ja selbst nicht aus davon, es passiert einfach so leicht, weil es gesellschaftlich toleriert ist und sprachlich auch tief verankert ist. Ich bin zwar gegen das Binnen-I und solche Sachen aber über die Sprache entstehen Taten und das fängt dann doch bei der sprachlichen Bildung an.

    LG

    • Hallo Anna,

      danke für deinen ausführlichen Kommentar!

      Ich stimme dir zu, dass noch einiges an Arbeit nötig ist, um Diskriminierung zu elimnieren – insofern das überhaupt komplett möglich ist. Und ja, das fängt bereits bei Sprache an und Deutschland ist wie gesagt noch lange nicht so weit, wie einem gern glauben gemacht wird.

      Wichtig finde ich, dass man nicht anfängt, alle zu uniformieren, sondern Diversität feiert. Das geschieht unter anderem beim CSD (= Christopher Street Day = Pride auf Deutsch). Und sogar in queeren Kreisen finden Kategorisierung und Diskriminierung statt. Klar, ist ja auch leicht und passiert oft im Affekt oder aus der Gewohnheit heraus. Gerade deshalb finde ich es umso wichtiger, dass man aktiv darüber aufklärt und ein Bewusstsein schafft. Es wird sich nichts ändern, wenn wir es nicht anpacken. Jeder kleiner Schritt hilft!

      Lieber Gruß
      Philipp

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