“Sei nicht so undankbar!” – Wenn man diesen Satz hört, fühlt man sich schnell angegriffen oder schlichtweg nicht angesprochen. Doch wie dankbar sind wir wirklich? Die aktuelle Halloween-Saison hat das Thema für mich noch einmal präsenter werden lassen. Denn der Ursprung des Festes liegt im keltischen Samhain, welches auch das Ende der Ernte-Saison markierte – analog zum Erntedankfest.

Wie oft sprichst du am Tag deinen Dank aus? Und wie oft davon meinst du ihn wirklich? Seitdem ich in der Projektleitung tätig bin, sage ich stündlich mindestens ein Dutzend Mal Danke: Dafür, dass mir eine Information übermittelt wurde, dass auf meine Rückfrage reagiert wurde, dass etwas zu meiner Zufriedenheit erledigt wurde… Man könnte meinen, Dankbarkeitsbeipflichtungen nutzten sich ab und seien doch gar nicht nötig, wenn Leute schlichtweg ihre Pflichten erfüllten. Doch dem ist nicht so, denn ich bin tatsächlich dankbar für all diese Kleinigkeiten, wo ohne sie mein Arbeitsleben unbeschreiblich schwerfälliger würde.

Dieses Beispiel veranschaulicht schon, wie unterschiedlich die Sichtweisen auf Dankbarkeit ausfallen können. Dabei handelt es sich hier wenigstens um Sachverhalte, die eindeutig adressiert werden können: Die Kundin, den Kollegin, die Chefin, … Schwieriger verhält es sich mit Dingen, für die niemand direkt verantwortlich ist. Wem danken wir für den Umstand, in einem wohlhabendem Umfeld aufgewachsen zu sein oder in Friedenszeiten aufgewachsen zu sein? Den Eltern, die ebenso wenig dafür können, wo sie geboren wurden?

Solche abstrakten Aspekte nehmen wir rasch als gegeben hin, schließlich kennen viele von uns keine anderen Umstände. „Das war doch schon immer so!“ Manchmal merken wir erst, welche Annehmlichkeiten wir eigentlich genießen, wenn sie uns entzogen werden. Aktuell wird uns das besonders im Rahmen von Pandemie und Angriffskrieg auf die Ukraine mitsamt all ihren Auswirkungen deutlich. Denn plötzlich hörte die Reisefreiheit auf, noch bevor man sie wirklich schätzen gelernt hat. Kaum weg, jammern wir.

Generell bemerke ich zunehmend häufiger, dass es in der deutschen Mentalität eine Neigung zum Jammern gibt. Das stelle ich sowohl an mir selbst als und meiner direkten Umgebung als auch im öffentlichen Raum fest. Dabei geht es dem Großteil der Menschen objektiv betrachtet gut. Wieso begeben wir uns freiwillig in diese Opferolle? Vom Jammern allein wird jedenfalls nichts besser.

Aus meiner persönlichen Perspektive heraus empfand ich eine unbefristete Festanstellung stets als Albtraum: Zu wenig Raum, um über meine Zeit frei zu verfügen, Weisungsgebundenheit, wenig Spielraum bei Gehaltsanpassungen, sinnlose Aufgaben und Bürokratie, geistige Unterforderung, … Ihre Nachteile sehe ich nach wie vor. Allerdings bin ich inzwischen äußerst dankbar, mich momentan in einer zu befinden. Gerade jetzt bei der drohenden Rezession, werden viele Menschen an die Grenzen ihrer Existenz getrieben. Meinem Arbeitsverhältnis sei Dank hatte ich bis dato keine großen finanziellenEinbußen und wurde auch nicht durch Existenzängste geplagt, auch wenn ich noch oft genug über die Rahmenbedingungen lamentiere. So leicht ändern mich die Zeiten.

Gegen das Jammern helfen würde, einfach mal die Perspektive zu wechseln, ohne dass es einen äußeren Einflusses bedarf. Ein Beispiel: Wenn wir uns über das regenreiche Wetter aufregen, brauchen wir bloß mal an all die Dürreregionen in der Welt zu denken, die statt fließend Wasser nur über ausgetrocknete Flussbetten verfügen. Dann werden wir hoffentlich dankbarer und freuen uns sogar auf Regen!

Dass soll natürlich nicht heißen, dass wir unser Schicksal nicht selbst in die Hand nehmen dürfen, um es zu ändern. Aber Jammern allein ändert nichts und stellt daher keine gute Option dar. Also lautet die Devise: Entweder selbst anpacken, um die eigene Situation zu verbessern, – gegebenenfalls auch mit Hilfe – oder zumindest einfach mal die Perspektive wechseln.