Der Countdown läuft, ich nicht

Letzte Woche kam ein kleiner Brief aus Frankfurt am Main an. Darin beschrieb der städtische Marathon, wie sehr er sich darauf freue, wenn wir uns endlich wieder zum Laufen sehen könnten, und, dass er alles dafür in Bewegung setzen würde, damit das Ereignis stattfinden kann. Dieses wäre übrigens genau heute in fünf Monaten. Angemeldet bin ich. Bereit fühle ich mich nicht.

Im Grunde war ich nie ein Wettbewerbsmensch, insbesondere in Hinblick auf Sport. Das machte ich, zumindest als Erwachsener, stets für mich selbst, um fit und gesund zu bleiben. Die Teilnahme meines Vaters an diversen Marathons änderte an dieser Einstellung auch nichts. Erst als ich vor einigen Jahren den Marathon in Jerusalem vom Straßenrand aus erlebte, erfasste mich das Marathon-Fieber, denn es begeisterte mich, wie es gar nicht darum geht, besser zu sein als die anderen. Für die meisten Teilnehmenden geht es schlichtweg darum, die Strecke zu schaffen oder gegebenenfalls die eigene Bestzeit zu schlagen. Im Mittelpunkt steht also der Wettbewerb mit dem eigenen Ich; das gegenwärtige möchte besser werden als das vergangene. Damit kann ich mich als Optimierungsliebender sehr gut identifizieren. Also meldete ich mich nach der pandemiebedingten Absage des Marathons vergangenes Jahr direkt wieder an. Wenigstens einmal wollte ich diese immense Strecke von 42,195km schaffen.

Seitdem ist mir einiges widerfahren. Mein Körper läuft schon seit geraumer Zeit nicht mehr so recht rund. Meine Gastritis kehrte zurück und verursachte eine Ösophagitis. Letztere wurde chronisch, es entwickelten sich Geschwüre in meiner Speiseröhre und Angst vor Krebs in meinem Kopf. Da jegliches Essen so schwer fiel, verlor ich zwischen zehn und zwanzig Prozent meines Eigengewichts. An Sport war nicht zu denken. In der Folge baute ich noch weiter ab. Mein israelischer Partner bezeichnete mich als Silhouette eines Holocaust-Überlebenden. Das deutschsprachige Äquivalent wäre wohl Strich in der Landschaft oder Spargel. Der geschrumpfte Umfang meiner Arme legte letzteren Vergleich zumindest nahe.

Also stehe ich hier fünf Monate vor dem großen Tag und weiß noch gar nicht so recht, ob ich dieses Jahr, wenn der Marathon denn tatsächlich stattfinden wird, überhaupt in der Lage sein werde, an ihm teilzunehmen. Ehrlich gesagt hatte ich fast ein wenig gehofft, dass Großveranstaltung auch heuer für den Rest des Jahres nicht erlaubt würden, damit es nicht meine Schuld wäre, wenn ich dieses Jahr keinen Marathon renne.

Doch dann kam der Brief und damit verbunden eine innere Gewissheit, dass zumindest die Veranstaltung stattfinden wird. Gleichzeitig entflammte in mir ein Feuer, es unbedingt zu probieren und nicht schon jetzt die Flinte ins Korn zu werfen. Ohne Frage gilt meiner Gesundheit Vorrang. Sollte ich gesundheitlich nicht in der Lage, den Marathon zu laufen, werde ich mich nicht unnötigen Risiken aussetzen. Doch zulegen muss ich ohnehin und mehr Sport für eine Rückkehr zur Gesundheit benötige ich auch. Warum also nicht ein “kleines” Ziel setzen?

In regelmäßigen Abständen werde ich hier darüber berichten, wie es mit meiner Vorbereitung läuft. Zuletzt habe ich mich schon mal an kürzere und mittellange Distanzen bis zehn Kilometer gewagt. Das ist freilich noch sehr weit von der immensen Distanz eines Marathons entfernt. Außerdem fühlte ich mich außerordentlich langsam. Doch irgendwo muss ich ja (wieder) anfangen. Bis ich auf meinen Stand wie vor meiner Krankheit komme, wird noch einige Zeit und vor allem Training nötig sein. Aber aufgeben möchte ich nicht, weder meine Gesundheit, noch mein Ziel, heuer einen Marathon zu laufen.

Alles Liebe
Philipp

6 Kommentare

Antworten

  1. oh man ey…Gute Besserung!
    Vielleicht kannst du zumindest einen Marathon gehen, so als Training? Oder du machst einfach den Megamarsch mit. Das sind 50 km zu Fuß rund um Berlin gehen – das is aber schon im August!

    • Hallo Cloudy,

      vielen Dank für die Besserungswünsche und den Tipp mit dem Mega-Marsch.

      Auf die Idee bin ich tatsächlich noch gar nicht gekommen. Was ich im Sinn hatte, geht aber in eine ähnliche Richtung: Um ein Gefühl für die Länge zu bekommen, wollte ich mit Inline-Skates ein paar Runden auf dem Tempelhofer Feld drehen, die von der Länge her einem Marathon entsprechen. Aber vom Timing her erscheint mir der Mega-Marsch auch ganz gut gelegen – fast genau zwei Monate vor dem Marathon. Da bleibt noch genügend Zeit für Erholung und Anpassungen beim Training. :D

      Lieber Gruß
      Philipp

  2. Hallo PHilipp, weiterhin gute Besserung! Ich denke, genau das ist gut und richtig, was den Stress minimalisiert. Denn Stress ist nunmal so gar nicht gesundheitsfördernd.
    Sonnige Grüße aus‘m Pott,
    Gabi

    • Hallo Gabi,

      hab vielen Dank!

      Da hast du Recht. Laufen und Sport im Allgemeinen reduziert meinen Stresspegel auf jeden Fall spürbar – solang ich es nicht übertreibe. Deshalb gehe ich es Schritt für Schritt langsam an und versuche, mich nicht unter Stress zu setzen. :)

      Lieber Gruß aus dem (zur Zeit) sonnigen Berlin
      Philipp

  3. Hallo Philipp,
    ich lese ja mittlerweile nur noch sporadisch mit. Kommentare hinterlasse ich auch nicht mehr viele :-) Aber hier muss ich einfach auch. Ich wünsche dir natürlich auch weiterhin alles Gute und übertreib es nicht. Wie oben schon erwähnt wurde sind auch kleine andere Ziele in ähnlicher Richtung eine Option. Auch außerhalb des Marathons. Mein Vorschlag wäre Walking gewesen. Ist zwar deppert mit den Stecken, aber ich finde das hilft wirklich ‘Tempo’ zu machen. Der Körper wird in der Bewegung stabilisiert. Man wackelt nicht unnötig und kommt dadurch flotter und energieärmer vorwärts.

    Ich selbst bin über 10 km nie hinausgekommen. Nach dieses Distanz kam ich immer als Elend in der Hüfte zurück :-) und hab das Ziel eines Marathons wegen Gelenkschmerzen nach Jahren des Joggens aufgegeben.

    Liebe Grüße (heute mal ohne der üblichen Gedankentretminen aus München)
    Claudia

    • Hallo Claudia,

      vielen Dank für die Anregung! Walking finde ich sehr faszinierend! Hast du dazu Erfahrung in Kombination mit vorderfüßigem Gehen? Das habe ich nämlich noch nicht gesehen, allerdings mag ich auch nicht wieder zum Fersengang zurückkehren.

      Lieber Gruß aus Berlin
      Philipp

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