Noch vor ein paar Wochen schrieb ich über ein Missgeschick am Teufelssee, das mir persönlich passierte. Nun erfuhr ich, dass mein “Erlebnis” wie ein sanfter Windhauch erscheint, wenn man es mit dem vergleicht, was anderen widerfährt.
So ein explodierender Reifen mag ja zunächst unterhaltsam klingen, doch im Vergleich zu der folgenden Nachricht, die es im Sturm von sozialen Medien über regionale Zeitungen in die internationale Presse geschafft hat, verblasst es dann doch etwas: Im FKK-Bereich des Teufelssees im Berliner Grunewald erleichtert eine Bache mit ihren zwei Frischlingen einen Mann um seine Tasche, die angeblich seinen Laptop enthalte. Als er es bemerkt, rennt er ihnen (nackt) entschlossen hinterher. Die Menschen nehmen Fotos auf und die Geschichte wird zum Selbstläufer.
Dass am Teufelssee so einiger Unsinn getrieben wird, war auch schon bekannt, bevor sich die obige Geschichte ereignete, wie dieser unterhaltsame, wenngleich teilweise auch wenig glaubwürdige, Artikel zu bezeugen vermag. Doch letzte Woche, genug der heiteren Unterhaltung, betrübte mich die Nachricht, dass die berühmte Bache zum Abschuss freigegeben werden solle, angeblich, weil sie den Menschen zu nahe komme. Wildtiere in Berlin sind unlängst keine Seltenheit: Abseits einer Varietät von Vögeln, hoppeln im Tiergarten regelmäßig Kaninchen vorbei und gelegentlich sieht man auch Füchse des Weges.
Dass die Bache momentan noch unter Mutterschutz steht und erst ggf. erst Herbst erlegt werden könnte sei dahingestellt. Mich stört die Perspektive dieser Meldung: Die Wildschweine kämen den Menschen zu nahe und wären in den Lebensraum der Menschen eingedrungen. Es gäbe zu viele Wildschweine in Berlin, weil sie keine natürlichen Feinde mehr hätten. Die Wildschweine stellten eine Gefahr für Menschen dar. Diese Aussagen ließen sich ebenso herumdrehen: Die Menschen kommen den Wildschweinen zu nahe und sind in ihren Lebensraum eingedrungen. Es gibt zu viele Menschen in Berlin, weil sie keine natürlichen Feinde mehr haben. Die Menschen stellen eine Gefahr für die Wildschweine dar.
Friedliche Koexistenz sieht anders aus. Auch wenn wir noch sehr weit davon entfernt sind, träume ich von einer Zukunft, in der weniger homozentrisch agiert und nicht nur das Wohl der Menschheit, sondern anderer Lebewesen mitgedacht wird.
Was meinst du: Ist dieser Wunsch zu naiv?
Alles Liebe
Philipp
Dieser Beitrag ist Teil der Reihe Tagebuch einer Großstadt.
Nicole
25/08/2020 — 07:31
Hallo Philipp,
Ich finde den Wunsch absolut gar nicht naiv. Ich glaube sogar, dass es realistisch wäre, wenn man Tiere nicht immer sofort verbannen würde. Man könnte es auch so deuten…. Die Wildschweine nähern sich den Menschen, ein Versuch sich kennenzulernen. Ich merke es mit den Tauben bei uns… Die werden immer “unvorsichtiger”, “zutraulicher”. Während sie “damals” weggeflogen sind als man nur ansatzweise in die Nähe kam, bleiben sie nun sitzen bis man fast drauf tritt…. Mit Eichhörnchen genauso… Wer sagt, dass es nicht auch irgendwann mit Wildschweinen so ist….
Und nun die Frage, wer naiv ist. Du oder ich? :D
LG Nicole
Philipp
25/08/2020 — 19:25
Hallo Nicole,
an deine Interpretation habe ich noch gar nicht gedacht! Großartig! Ich behaupte mal, weder du noch ich sind naiv, sondern sehen eher das Positive in der Welt. Man könnte auch sagen: Alle Lebewesen (auch Pflanzen etc.) sind Gewohnheitstiere, die auf dem Pfad zum nächsten Festmahl keine Mühen scheuen. :D
Lieber Gruß aus Berlin
Philipp