Na, wie geht dieser allseits bekannte Spruch zu Ende?

Über einen Perspektivwechsel für Menschen, die mit preußisch-protestantischer Arbeitsmoral aufgewachsen sind.

Es war mal wieder einer dieser Tage, an denen ich spät nach Hause kam, nur noch ins Bett wollte, aber noch eine Schüssel mit Hefeteig auf mich wartete, die zu Semmeln verarbeitet werden wollte. Die Zeit für den Teig war mehr als reif. Und schließlich wollte ich doch morgens frische Teigwaren zum Frühstück.

Was du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen.

Redensart

Volkskrankheit “Aufschieberitis”

Als Kind habe ich diesen Spruch häufiger gehört. Er soll Prokrastination, also dem Aufschieben von Aufgaben, obwohl man Gelegenheit zur Erledigung hat und um die negativen Konsequenzen bei Nichterledigung weiß, entgegenwirken. Besonders drastisch zeigt sich das bei langfristigen Aufgaben und Arbeiten. Denn dann sammelt sich die Arbeitslast, während sich der zur Verfügung stehende Zeitraum bis zur Frist verkürzt. Das wiederum führt dazu, dass der Druck, unter welchem die Aufgabe erledigt werden muss, steigt.

Die oben zitierte Redensart soll diesem Vorbeugen: Kannst du es sofort erledigen? Dann tu es doch direkt!

Besonders deutlich zeigt sich die Wirksamkeit von solchen Aufgaben im Alltag bei vielen Mini-Aufgaben. Wenn etwas unter zwei Minuten zur Erledigung dauert, kann man es auch direkt abarbeiten, statt die Durchführung erst zu planen. Das spart Zeit und Stress und ist somit nicht nur effektiv, sondern auch effizient. Es gibt jedoch auch eine Kehrseite für Menschen wie mich.

Bloß nicht faul sein!

Im Alltag habe ich weniger ein Problem, mit einer Aufgabe zu beginnen, als einen Schlusspunkt zu finden. Fange ich einmal mit einer Arbeit an, tue ich mich schwer, den Absprung zu schaffen. Stattdessen vertiefe ich mich so sehr, dass ich oft genug die Zeit vergesse und in der Folge…

… denke, dass ich gerade noch ein Zeitfenster von fünf Minuten habe, um dieses oder jenes zu erledigen.

… oft zu spät aufbreche, um entspannt an einen anderen Termin zu kommen. Stattdessen komme ich etwas abgehetzt an.

… abends den Absprung nicht schaffe und früh genug schlafen gehe. Am nächsten Tag fehlt mir dann entweder Schlaf oder Zeit.

Es gibt nämlich auch das Gegenteil von Prokrastination. Dieses heißt Präkrastination und bedeutet, dass man alle Aufgaben stets schnellstmöglich abarbeitet. Das Problem hierbei: Man kann schnell in ein Hamsterrad gelangen, in dem Arbeit nie endet, sondern stets neue nachkommt. Es gibt bekanntermaßen immer etwas zu tun. Ehe man sich versieht, brennt man aus. Das muss aber nicht so sein.

Kann das nicht bis morgen warten?

In meinem Fall bin ich äußerst dankbar für meinen Partner und Kolleg*innen, wenn sie mich fragen, ob das wirklich heute noch sein muss. Denn diese simple Frage zwingt mich, kurz noch einmal darüber nachzudenken und neu zu entscheiden.

Gleichermaßen ruft es mir ins Gedächtnis: Arbeit ist unendlich, meine Lebenszeit nicht.

Auch wenn die mir anerzogene preußisch-protestantische Arbeitsmoral mir oft genug im Weg steht und ich das Gefühl habe, rund um die Uhr zu tun haben zu müssen, weiß ich doch in meinem Inneren eigentlich, wie wichtig Freiräume und Leerlauf sind, um kreativ sein zu können. Also sollte ich auch entsprechend planen und für ausreichend Erholung ohne jedwede Arbeit sorgen.

Also buk ich die Semmeln am nächsten Tag und siehe da: Die Welt ging davon nicht unter.

Priorisierung lernen

Über Priorisierung habe ich schon etliche Male geschrieben, unter anderem hier. Priorisierung lässt sich darüber hinaus aber auch lernen. Eine Methode, die zumindest für den Einstieg geeignet ist nennt sich Eisenhower-Matrix. Diese wurde nach dem früheren US-Präsidenten Dwight D. Eisenhower benannt, obwohl nicht bekannt wäre, dass er sie selbst je angewandt hat. Allerdings soll er einst bei einer Rede einen früheren Hochschulpräsidenten zitiert haben:

“I have two kinds of problems, the urgent and the important. The urgent are not important, and the important are never urgent.” Zu Deutsch: “Ich habe zwei Arten von Problemen, die dringenden und die wichtigen. Die dringenden sind nicht wichtig und die wichtigen sind nie dringend.”

Darauf basierend legt man zunächst eine Liste mit allen Aufgaben an. Diese Aufgaben weist man im Anschluss folgenden vier Bereichen zu und handelt entsprechend der Anweisung:

DRINGENDNICHT DRINGEND
WICHTIGwichtig und dringend
Diese Aufgaben erledigt man sofort selbst.
wichtig, aber nicht dringend
Für diese Aufgaben setzt man sich einen Termin in den Kalender und erledigt sie zum besagten Termin.
NICHT WICHTIGdringend, aber nicht wichtig
Diese Aufgaben delegiert man an fähiges Personal.
weder wichtig, noch dringend
Diese Aufgaben streicht man von der Liste, ohne sie zu bearbeiten und macht sich keine Gedanken mehr über sie.
Die Eisenhower-Matrix

Ergänzend dazu sei gesagt:

  • Kümmert man sich stets nur um Aufgaben, die wichtig und dringend sind, ist es nur eine Frage der Zeit, bis man ausbrennt. Ziel sollte es deshalb sein, solche Aufgaben erledigt zu haben, bevor sie dringend werden.
  • Langfristig möchte man generell nur an Aufgaben arbeiten, die wichtig, aber nicht dringend sind. Dabei handelt es sich jedoch um ein Ideal, das für die meisten von uns schwierig zu erreichen sein dürfte.
  • Unabhängig davon sind, wie das Zitat schon nahelegt, die wenigsten Aufgaben wichtig und dringend. Wenn sie doch auftreten, deuten sie in jedem Fall darauf hin, dass zuvor etwas bei der Priorisierung nicht geklappt hat.
  • Auch Delegation möchte gelernt sein. Allerdings bin ich mir der Tatsache bewusst, dass die Eisenhower-Matrix aus Verwaltungskreisen stammt und nicht alle Menschen die Möglichkeit zur Delegation haben. Im Alltag findet aber bei vielen Menschen unbewusst Delegation statt, beispielsweise an Partner*innen bei Aufgabenteilung, Kinder, die für kleine Einkäufe in die Spur geschickt werden, oder bei der Nutzung von Lieferdiensten für den Wocheneinkauf. Genau genommen ist selbst die Tatsache, dass die wenigsten Menschen ihre Lebensmittel selbst anbauen eine Art von Delegation.
  • Das größte Potential steckt jedoch im Streichen von Aufgaben, die weder wichtig noch dringend sind. Denn ihnen liegt kein Wert inne, sie tragen nicht zu unserem Wohlbefinden oder der Besserung unserer Fähigkeiten und Lebensumstände bei, und haben bei Nicht-Erledigung keine Konsequenz für uns.

Der letzte Punkt ist meines Erachtens der Wichtigste, denn diesen können wir alle umsetzen, egal, über welche Mittel wir verfügen. Manchmal erscheinen Aufgaben nämlich zunächst gar nicht als solche, doch aufgrund unserer Gewohnheiten diktieren wir uns selbst, dass wir dieses oder jenes noch tun müssten. Spontan fallen mir dazu drei Beispiele ein:

  1. Soziale Medien
    Auch wenn ich intuitiv anders fühle, kümmert es in der Realität keinen Menschen, wenn ich eine Woche oder gar einen Monat lang nichts in den sozialen Medien veröffentliche. Genauso wenig entgeht mir, wenn ich diese “Neuigkeiten” verpasse. Prinzipiell dienen sozialen Medien entgegen der Propaganda vor allem einem Zweck: Werbung. Entsprechend behandle ich sie in meinem Alltag. 🚮
  2. Nachrichtenkonsum
    Spätestens, wenn ich sämtliche Zusammenhänge allein aus den Überschriften von Nachrichtenmeldungen erfasse und mich darüber ärgere, dass in den ausführlichen Texten alles immer nur wiederholt wird, weiß ich, dass ich meinen Nachrichtenkonsum getrost etwas drosseln kann. Ja, es passiert viel in der Welt, aber wenn etwas wirklich wichtig ist, findet die Nachricht auch außerhalb der Presse ihren Weg zu mir. Andernfalls lohnt es sich oft genug, “unwissend” auszuharren und das Update abzuwarten, weil sich manche Nachrichten durch Zeit von selbst erledigen. Und warum allgemeine öffentliche Nachrichten Fußballergebnisse als Eilmeldung rausgeben, erschließt sich mir bis heute nicht. In meinen Augen definitiv ein Fall von falscher Priorisierung.
  3. E-Mails beziehungsweise Nachrichten beantworten
    In diesem Punkt hatte ich zu Studienzeiten noch meine Stirn gerunzelt, stimme meinen früheren Professor*innen aber mittlerweile vorbehaltlos zu. Sie pflegten zu sagen: “Ich lese alle E-Mails, antworte aber nur auf die wichtigen.” Nachvollziehbar, wenn man am Tag hunderte von Nachrichten erhält. Man braucht sich ja nur mal überlegen, wie viel Zeit das kostet, wenn die Beantwortung einer E-Mail im Schnitt zwei Minuten in Anspruch nimmt. (Bei 100 E-Mails am Tag wären das drei Stunden und zwanzig Minuten.) Und auch hier gilt: Manche Nachrichten erledigen sich mit der Zeit von selbst.

In diesem Sinne: Lasst uns mehr Mut zur Lücke haben.

Wie leicht fällt es dir, bei Aufgaben loszulassen? Sortierst du rigoros aus oder stopfst du dir den Tag voll? Teile deine Tipps gern in den Kommentaren.

Alles Liebe
Philipp