Das Gute sehen in düsteren Zeiten

Zurück in Berlin – die Medien kennen nur noch ein Schlagwort, die Grenzen werden dicht gemacht, die Supermärkte leergekauft. Ich bin quasi zu Hause eingesperrt, soll trotzdem arbeiten, kann aber meinen typischen Freizeitbeschäftigungen in keiner Weise nachgehen. Ja, ein Großteil meiner Albträume ist tatsächlich Realität geworden. Das ist aber nur meine subjektive Wahrnehmung. Objektiv betrachtet ist Corona eine feine Sache.

Von kindlicher Naivität auf den Boden der Tatsachen

Noch letzte Woche genoss ich die schier endlose Freiheit des Reisens: offene Grenzen, frei verfügbare Zeit, maximale Selbstbestimmung. Kaum bin ich zurück, fühle ich mich gefangen – nicht etwa im Alltag, sondern in der eigenen Wohnung. Trotz hoch- und runtergepulter Nachrichten, denen ich nirgends entkommen konnte, habe ich mir keine Sorgen gemacht. “Das wird sich schon einrenken!”

Wieder in Deutschland setze ich mich zwangsläufig stärker mit dem Thema auseinander, beobachte gespannt, wie sich Menschen achtlos in die Hand oder anderen ins Gesicht niesen, sich im Anschluss nicht die Hände waschen und trotzdem Lebensmittel über die Theke reichen. Lange Zeit war ich der Meinung, Erwachsene wüschen sich auch ohne Empfehlung regelmäßig die Hände mit Seife. Dabei hätte ich es besser wissen sollen, wo ich doch so oft Menschen dabei erwischt habe, wie sie dem selbst nach dem Toilettengang nicht nachkamen. In dieser Hinsicht bin ich ehrlich gesagt überrascht, dass sich das Virus in unserer globalisierten Welt nicht viel schneller verbreitet hat.

Also harre ich zu Hause aus – auch ohne Symptome. Nicht etwa, um mich selbst, sondern andere und unser Gesundheitssystem zu schützen, was andernfalls binnen weniger Tage kollabieren könnte.

#stayathome #flattenthecurve #stophoarding

Leider ist das noch nicht bei allen angekommen. Dass Subjektivität allzuoft in den Vordergrund rückt, macht sich auch dadurch bemerkbar, dass entgegen all der Appelle Supermärkte leergekauft würden, als gäbe es morgen keine mehr. Dabei gibt es objektiv keinen Grund zur Annahme, denn von allen ist die Lebensmittelbranche wohl eine derjenigen, die am wenigsten von Importen abhängig ist, wenn wir uns statt auf exotische Früchte auf das Wesentliche fokussieren. Apropos Das Wesentliche: Wer sich an diese nützliche Liste vom Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenschutz hält, hat in wahrscheinlich 99,9% der Fälle ausreichend vorgesorgt. (Wer es gern etwas ausführlicher mag, klickt hier.)

Auch wenn wir die nächsten Wochen und Monate zu Hause festsitzen und das womöglich der schlimmste Sommer seit Langem wird, wären sämtliche Beschwerden gegen Corona und die damit verbundenen Maßnahmen, um unsere Gesellschaft nicht komplett zusammenbrechen zu lassen, Jammern auf hohem Niveau. Denn im Grunde geht es uns immer noch gut, was am unermüdlichen Einsatz derer liegt, die momentan nicht zu Hause bei ihren Liebsten bleiben können. Etwas Dankbarkeit und sich einfach an die Empfehlungen von Expert.innen zu halten, ist da sicherlich nicht zu viel verlangt.

Subjektiv vs. objektiv

Dass die nächsten Monate für viele Menschen hart werden, steht außer Frage. Allerdings können wir als Einzelperson nur bedingt etwas an der Situation ändern. Wir können aber sehr wohl unsere Perspektive auf Corona verändern, anstatt den Kopf in den Sand zu stecken. In solchen Situationen gehe ich gern mal einen Schritt zurück und versuche, sie möglichst nüchtern zu betrachten. Ja, COVID-19 verursacht eine Krise für unser derzeitiges System. Doch welche positiven Aspekte können wir darin womöglich sehen?

Das Geheimnis liegt in der Unterscheidung zwischen subjektiver Wahrnehmung und objektiver Betrachtung. Ein Beispiel:

Als die RMS Titanic 1912 sank, kamen ca. 1500 Menschen ums Leben. Sowohl für die Verstorbenen als auch für die überlebenden Angehörigen eine Tragödie, derer man lieber nicht Teil sein möchte – so die subjektive Perspektive. Objektiv betrachtet lag die damalige Weltbevölkerung zwischen 1,65 und 2 Milliarden Menschen. Die Opfer machten also höchstens rund 0,000091% der Weltbevölkerung aus, fielen quasi gar nicht ins Gewicht.

Subjektiv gesehen mögen wir uns den eigenen Tod nicht vorstellen. Objektiv hingegen müssen wir alle eines Tages sterben. Wir wissen nur nicht wann und weshalb, was wohl einige von uns bevorzugen.

Subjektiv mögen wir Sorge vor einer Erkrankung mit COVID-19 haben. Objektiv ist es eine weitere Mutation eines Virus, gegen den manche von uns Antikörper bilden und somit immun werden und andere nicht.

Subjektiv sind die verhängten Ausgangssperren, alle Einschränkungen und die Erscheinung, dass zum ersten Mal in vielen unserer Leben nicht alles im Überfluss vorhanden ist, äußerst unangenehm. Objektiv zeigt uns das:

Die Welt dreht sich nicht nur um uns

Unsere eigene Wahrnehmung zeugt von Egozentrik, sei es als Einzelperson, als Gruppe, zu der wir gehören, oder als Menschheit. Wir leben aber nicht allein auf dieser Welt. Während viele kapitalistisch orientierte Unternehmen also gerade zusammenklappen mögen, läuft aufgrund von Corona derzeit auch viel richtig. Um einige Beispiele zu nennen:

Uns Menschen mag es aufgrund des Virus vergleichsweiße schlecht gehen, doch die übrigen Lebewesen auf unserem Planeten erfreuen sich dafür umso besserer Gesundheit. Da stellt sich freilich die Frage, ob das Virus nicht tatsächlich das beste ist, was der Erdengemeinschaft hätte passieren können, wenn ein kleiner Virus in wenigen Wochen mehr erreicht, als alle Menschen zusammen, die sich seit Jahren für Klimaschutz einsetzen.

Gleichzeitig zeigt Corona unsere Grenzen auf und macht deutlich, dass wir nicht das Ende der Fahnenstange und ganz gewiss nicht mächtiger als die Natur sind, sondern ein Teil von ihr – ganz wie damals, als die Titanic entgegen der Meinung, die Menschheit sei der Natur überlegen, eben doch sank.

Plötzlich muss es gehen

Not macht bekanntermaßen erfinderisch. So überrascht es nicht, dass plötzlich vieles geht, was jahrelang als Schnapsidee abgetan wurde: Eltern können zu Hause bleiben, um sich um ihre Kinder zu kümmern und müssen deshalb nicht auf ihren Lohn verzichten. Unterreicht findet online statt. Home Office ist plötzlich der neue Standard für einen Großteil der in Büros Beschäftigten. Unternehmen, die nicht essentiell sind, werden vorübergehend geschlossen. Wer jetzt ortsunabhängig arbeiten kann, verfügt über einen großen Vorteil. Für Meetings wird nicht mehr in den Flieger gestiegen, sondern der Rechner hochgefahren. Dass die Digitalisierung und die dafür nötige Infrastruktur nicht ausreichend vorangetrieben wurden, macht sich nun umso stärker bemerkbar.

Ich hoffe inständig, dass Corona sowohl gesellschaftlich als auch wirtschaftlich und politisch einen Wandel anstößt, denn hier steckt richtig viel Potential für Transformation! Was spricht dagegen, künftig weiterhin von Home Office und ortsunabhängigem Arbeiten weiterhin Gebrauch zu machen? Wieso sollten Eltern nicht prinzipiell mehr Präsenz zu Hause zeigen dürfen? Wozu sollten wir mehr produzieren, als wir benötigen? Videokonferenzen anstelle Charterflügen beim nächsten Gx-Gipfel könnten der Normalfall werden.

Insbesondere in Hinblick auf Klima- und Umweltschutz sehe ich hier viele Chancen, dass nach Corona Verordnungen erlassen werden, die besagen: Unsere Klima kollabiert, deshalb wird die Anzahl an Flügen, die eine Person im Zeitraum von zehn Jahren tätigen kann, begrenzt. Unsere Ressourcen sind begrenzt und dein Handy funktioniert noch einwandfrei; also bist du nicht berechtigt, ein neues zu kaufen. Die Zukunft unserer Kinder ist gefährdet, deshalb machen wir jetzt Schluss mit Kapitalismus, der ohnehin nicht funktioniert.

Zurück zur Subjektive

Jetzt magst du dich fragen, wie dir all das akut in der Gegenwart weiterhelfen soll, wo es gerade schwierig ist. Ehrlich gesagt fühle ich mich genauso wenig wohl damit, nicht so freizügig leben zu können wie sonst, nicht den ganzen Tag mit Freunden draußen verbringen kann, wo gerade der Frühling voll durchstartet und keinem meiner gewohnten Hobbys nachgehen kann. Ich habe aber Alternativen, denn die von außen aufgezwungene Verknappung schafft andere Möglichkeiten:

  • Statt mich auf das zu fokussieren, was mir gerade fehlt, konzentriere ich mich lieber auf das, was ich habe. Da wären beispielsweise noch einige Bücher, die ich lesen möchte, um nur eine von vielen Unterhaltungsmöglichkeiten zu nennen.
  • Ich kann zwar nicht draußen rumstromern, wie ich möchte, aber mich um ein paar häusliche Dinge kümmern, die schon länger liegengeblieben sind. #fruehjahrsputz
  • Noch so eine lästige Aufgabe: Steuererklärung – wenn ich sie jetzt mache, brauch ich meinen Sommer nicht damit vergeuden, falls die Beschränkungen dann schon wieder aufgehoben sein sollten.
  • Auf alle trifft dieser Punkt nicht zu, aber ich kann aufgrund der ganzen abgesagten Projekte Überstunden abbauen.
  • Apropos Arbeit: Mein Arbeitsweg ist nicht so lang, aber da quasi mein gesamter Alltag gerade zu Hause von statten geht, bleibt mehr Zeit für andere Dinge anstelle von Wegen.
  • Solch eine reduzierte, entschleunigte Zeit ist ideal, um neue Routinen zu etablieren.
  • Es gibt da noch das eine oder andere Projekt, für das ich sonst kaum Platz finde. Dafür ist nun etwas Raum frei geworden. Jetzt brauche ich ihn nur noch zu füllen!

Fokus auf Negativität ist selten produktiv. Wenn wir unsere Blickrichtung oder unseren Standpunkt wechseln, machen wir uns das Leben oft leichter.

Deshalb interessiert mich an dieser Stelle: Welche positiven Aspekte kannst du COVID-19 abgewinnen? Schreib es gern in die Kommentare. Meine Liste ist definitiv nicht abgeschlossen.

Alles Liebe und Hände waschen nicht vergessen ;)
Philipp

2 Kommentare

Antworten

  1. Lieber Philipp!

    Hab mich echt gefreut, in der aktuellen Lage wieder was von dir zu lesen. :)

    Mir geht es zur Zeit in Österreich ähnlich, bis auf das,
    dass wir schon seit einer Woche gesetzliche Ausgangsbeschränkungen haben, was vielen Menschen (mich eingeschlossen) nicht leicht fällt. Es ist ein gewaltiger Einschnitt in alles, was wir bisher in einer demokratischen Gesellschaft für selbstverständlich genommen haben.

    Während ich deinen Beitrag gelesen hab, musste ich mehrmals an ein Video denken, welches ich gestern von einer engen Freundin geschickt bekam:
    https://m.youtube.com/watch?feature=youtu.be&v=sgm9E_cmvWA

    Es hat mich daran erinnert, meinen Blickwinkel anzupassen und (auch in vermeintlich negativen Situationen) das Positive nicht zu übersehen – wie du ja auch. :)

    In diesem Sinne, sei achtsam und bleib gesund.

    Liebe Grüße,
    Matthias :)

    • Hallo Matthias,

      das Video bringt enthält noch einen wichtigen Punkt, den du auch gerade schon zur Ansprache gebracht hast: Man weiß erst, was man hatte, wenn man es verloren hat.

      Ich bin gespannt, ob wir uns wirklich nachhaltig ändern werden, oder ob die Kräfte überwiegen, die alles schnellstmöglich zurück in den Status präcoronaler Zeiten bringen wollen.

      Lieber Gruß aus Berlin
      Philipp

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert