Mach was draus!

All diejenigen, die etwas länger mitlesen, dürften schon mitbekommen haben, dass ich mit Nationalgefühl nichts anfangen kann. Alle anderen sind nun ebenfalls in dieses offene Geheimnis eingeweiht. Dennoch war ich auch heuer zu den Feierlichkeiten des israelischen Unabhängigkeitstages Yom Ha’Atzma’ut – und habe es genossen.

Womöglich liegt es an meiner deutschen Staatsbürgerschaft, der damit verbundenen Geschichte und der damit einhergehenden Verantwortung, dass sich ebendiese niemals wiederholen wird, dass ich keinerlei Nationalstolz empfinde. Dabei wuchs ich in der Bundesrepublik Deutschland auf, verdanke ihr den Großteil meiner Bildung und diente sogar ein Jahr in der deutschen Bundeswehr.

Trotzdem kann ich Nationalgefühl oder, schlimmer gar, Nationalstolz überhaupt nicht nachempfinden. Wenn die deutsche Nationalmannschaft gewinnt, egal ob Männer oder Frauen, ob in Fuß-, Hand- oder irgend einer anderen Ballsportart, bin ich dem gegenüber ebenso gleichgültig wie einer Niederlage. Es affektiert mich schlichtweg nicht – wenn man von etwaigen dadurch verursachten, Störungen meines Alltags absieht. Wenn die deutsche Nationalhymne erklingt, regt sich in mir nichts. Und wenn ich irgendwo deutsche Flaggen hängen sehe, ist das einzige Gefühl, das ich spüre, Verwunderung ob des schlechten Designs.

Es geht auch anders

Natürlich kann ein gesundes Nationalgefühl auch gelingen, ohne dass man nationalistische Tendenzen annimmt oder die eigene Nationalverdrossenheit so deutlich äußert wie ich. Bereits letztes Jahr zum 70-jährigen Jubiläum des Staates Israel ist mir aufgefallen, dass sich andere Länder leichter damit tun. Natürlich ist die Geschichte Israels ebenfalls nicht unumstritten. Nichtsdestotrotz nehme ich hier jedes Mal eine stärkere Identifikation mit dem Land wahr – manchmal in Verbindung mit und andere Male losgelöst vom Staat und damit verbunden der Politik.

Womöglich liegt es an der Geschichte des unterdrückten Volkes, das nach Jahrtausenden endlich einen eigenen Staat bekam und diesen nun mit allen Mitteln verteidigt. Oder an der Tatsache, das Israelis, Männer wie Frauen, mehrere Jahre Wehrdienst leisten und daher das Gefühl bekommen, das Land mit aufgebaut zu haben. Oder aber am Abwehrreflex gegen extremistische Randgruppen, um den Status als liberalstes Land im Nahen Osten aufrecht zu erhalten. In jedem Fall stelle ich wiederkehrend fest, dass sich Israelis stärker in die Politik einbringen. Auch wenn die jüngeren Jahrgänge ebenso die Nase voll haben von den politischen Verhältnissen wie in Deutschland, setzen sie sich, d.h. zumindest der säkular-jüdische Teil, weiter damit auseinander, bleiben aktiv und feiern den Unabhängigkeitstag.

Im kleinen Kreise

Die öffentlichen Feierlichkeiten sind zu meiner Überraschung heuer nicht minder groß ausgefallen wie zum großen Jubiläum letztes Jahr. Man kann allerdings auch in familiärerer Umgebung feiern. Von Politik und Propaganda fehlt dort dann jegliche Spur. Vielmehr wird das jüdische Kulturgut gefeiert – und Barbecues, weshalb an diesem Tag über dem gesamten Land Rauchschwaden schweben.

So folgten mein Freund und ich dieses Jahr der Einladung von Erez, einem Nachbarn und langjährigen Freund seiner Eltern. Vor fünfzig Jahren führten dessen Eltern bereits die Tradition ein, alljährlich zum Unabhängigkeitstag Freunde und Nachbarn zum – wie sollte es anders sein – Barbecue einzuladen. Anlässlich der vielen vegetarisch und vegan Lebenden der jüngeren Generationen wurde das komplette Buffet auf vegetarische Kost umgestellt, wenn man von den in Landesfarben blau und weiß gehaltenen, aus Fischgelatine hergestellten Gummidavidssiegeln absieht. Der gastgebende Haushalt stellt Garten sowie Wohnzimmer und ein paar Getränke, die Gäste bringen alle Salate, Aufläufe oder, wie in unserem Fall, Kuchen mit Flaggen-Design mit.

Im Garten zwischen den Tafeln werden alle willkommen geheißen. Hier und da wird bekundet, wie lang man sich nicht mehr gesehen hat, dass man so groß geworden sei und wie schön es ist, dass man dieses Jahr wieder mit dabei ist. Alle erkundigen sich nach ihrem Befinden, dem Status quo sowie den Zukunftsplänen und bei mir entsteht der Eindruck, als wären all die Gäste eine einzige große Familie, die sich einmal im Jahr trifft. Ich mag diese Herzlichkeit.

Nach dem Essen folgt der Tanz; praktischer Weise mit vollem Magen und im Kreis, wie es bei jüdischen Tänzen so üblich ist. Jeder Tanz hat seine eigene Choreographie, die mittlerweile nur noch die älteren Generationen können und im wahrsten Sinne des Wortes Schritt für Schritt an die jüngeren weiterreichen. Zum Glück wiederholt sich die gleiche Schrittfolge immer wieder und wieder, sodass der Einstieg zunächst sehr leicht fällt. Während die Lieder gewöhnlich allerdings zwischen fünf und zehn Minuten andauern, enthält die verwendete CD kürzere Versionen. Also versuche ich, mir alle drei Minuten eine neue Choreographie von den benachbarten Mittanzenden abzuschauen, die sie selbst gerade erst lernen. Spaß macht es trotzdem und so schwitzen wir Tanz für Tanz das gehaltvolle Abendmahl wieder weg.

Take it, change it or leave it

Dieses Sprichwort aus dem Englischen besagt, man solle etwas entweder akzeptieren, wie es ist, es nach den eigenen Wünschen abändern oder eben links liegen lassen. Nach meiner Erfahrung mit Yom Ha’Atzma’ut, habe ich einen simplen Ansatz entdeckt, mit gesellschaftlichen Verhältnissen umzugehen, die ich nicht ändern kann, beispielsweise öffentlichen Feiertagen.

Im Fall von vielen religiösen oder eben nationalpolitischen Feiertagen geht es mir so: Am liebsten würde ich sie abschaffen, allerdings liegt das außerhalb meines Machtbereichs. Selbst wenn ich sie links liegen lasse, feiert ein Großteil der Bevölkerung dennoch und der daraus resultierende Ausnahmezustand affektiert meinen Alltag. Darum komme ich also zumindest nicht herum. Mir bleibt aber noch Option 3: Ändere es.

Im Fall von öffentlichen Feiertagen bedeutet das, sie so zu gestalten, dass sie für mich angenehm werden. Das Beisammensein mit lieben Menschen, gemeinsam köstliche Gerichte zu verspeisen und Brauchtum von einer Generation zur nächsten weiterzureichen, empfinde ich definitiv so. Selbst wenn ich also nicht den öffentlichen Feiertag ändern kann, kann ich ihn zumindest auf meiner persönlichen Ebene ganz nach meinen Vorstellungen anpassen. Es braucht nur etwas Eigeninitiative!

Äquivalent lässt sich das auch für andere Bereiche anwenden:

  • Du gehst nicht gern auf Arbeit? Dann gestalte das Arbeitsklima dort doch nach deinen Vorstellungen, so weit du kannst.
  • Deine Wohnung gefällt dir nicht, aber umziehen ist gerade keine Option? Vielleicht tut es ja auch ein neuer Anstrich oder etwas Umräumen, damit du dich wohler fühlst.
  • Dir gefällt nicht, dass dein Leben so stark von externen Einflüssen beschränkt wird? Dann fang doch im Hier und Jetzt an und tue das, was du möchtest.

Wie gehst du mit Gegebenheiten um, die nicht deinen Vorstellungen entsprechen und von außen auferlegt werden? Akzeptierst du sie, wie sie sind, oder erschaffst du ein florierendes Land, wenn du ein Stück Wüste erhältst, wie es Israel Jahr für Jahr feiert?

Alles Liebe
Philipp

2 Kommentare

Antworten

  1. Hallo Philipp,
    wieder mal ein wunderbarer Beitrag, der mich gerade mal wieder SEHR zu nachdenken anregt… Arbeitsklima umgestalten? Extere Einflüsse auf mein Leben? wenn sich das doch wirklich so einfach ändern lassen würde…. Nein, einfach natürlich nicht, einfach ist nichts und geschenkt gibt es auch nichts. Aber es gibt leider leider auch Faktoren, die ich nicht wirklich änder kann, bzw. dann widerum die nächsten Probleme mit sich bringen würde.
    Viele liebe Grüße ,
    Nicole

    • Hallo Nicole,

      schön von dir zu lesen! Vielen Dank für das Lob.

      Dass es einfach ist, mag ich auch nie behaupten. Es geht mir vielmehr darum, dort anzupacken, wo wir selbst Veränderung herbeiführen können, anstatt sich auf die Bereiche zu fokussieren, die außerhalb unseres Machtbereichs liegen. Man könnte auch sagen: Den großen Unterschied macht, ob wir uns auf die Probleme oder mögliche Lösungen ebendieser fokussieren.

      Lieber Gruß
      Philipp

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