Eine Geschichte über freie Wahl

Den ersten Kontakt hatten wir, als ich ein Jahr alt war. Damals wusste ich überhaupt nicht, was vor sich geht. Ich wurde wortwörtlich einfach ins kalte Wasser geschubst.

Der Trubel hielt nur kurz an, störte zwar meine Ruhe, aber die Gründe dafür waren mir egal. Hauptsache, ich wurde wieder in Frieden gelassen. Das war sie also, meine Taufe. Und mein erster Kontakt mit Religion.

In den darauffolgenden Jahren sind wir uns immer wieder begegnet, wenngleich auch unter anderem Namen. Weihnachtsmann, Osterhase und Zahnfee wurden in mein Leben gebracht, glaubhaft etabliert und anschließend wieder herausgerissen. Plötzlich hieß es, es gäbe sie nicht mehr.

Natürlich war ich mir dessen bereits vorher bewusst. Unlängst hatte es Gerüchte unter meinen Altersgenossen gegeben. Dennoch gab ich mein Bestes, den Glauben daran, oder zumindest den Schein dessen, aufrechtzuerhalten. Anderen Menschen zu Liebe. Sie hatten immer dieses Strahlen in den Augen.

Mit dem Ende von Weihnachtsmann, Osterhase und Zahnfee trat eine neue Figur in mein Leben; von noch nie da gewesener Größe: Etwas namens Gott. Ich sollte Christ werden.

Da hat mich niemand reingezwungen. Meine Eltern stellten mir die freie Wahl, ob ich in der Schule Religion oder Ethik belegte – ich wählte Ethik, weil ich auf mehr Wissen aus war. Im Jugendalter stellten sie mir frei, ob ich eine Konfirmation oder Jugendweihe ablegte. Ich wählte Erstere. Heute frage ich mich: Warum eigentlich?

Es hatte unlängst Gerüchte unter meinen Altersgenossen gegeben. Dennoch gab ich mein Bestes, den Glauben daran, oder zumindest den Schein dessen, zu wahren. Ich habe es wirklich versucht. Auch anderen Menschen zu Liebe. Sie hatten immer diese Enttäuschung in den Augen.

Als Jugendlicher hatte ich es genossen, auf christliche Freizeiten zu gehen, habe Jugendgruppen geleitet und versucht, die Vereinbarkeit von Religion und Wissenschaft nicht nur mir selbst, sondern bei Interesse auch anderen zu erklären. Das war nicht immer leicht.

Heute frage ich mich, weshalb ich nach der Nichtigkeitserklärung von Weihnachtsmann & Co. KG eigentlich direkt wieder an etwas geglaubt habe, von dem mir nur andere Menschen erzählt haben. Oder warum mir nie die Parallele zu wissenschaftlichen Inhalten aufgefallen war, die ich ja ebenfalls nur von anderen Menschen erzählt bekommen oder in Büchern gelesen hatte.

Dann habe ich ebendiese, Menschen, für das Scheitern von Religion verantwortlich gemacht. Sie war wie ein drückender Schuh, von anderen Personen unabhängiger  Glaube hingegen fühlte sich nach Freiheit an. Ironischer Weise waren wir uns innerhalb unserer Gemeinschaft darüber einig.

Schon erstaunlich, welche hochgradigen Auswirkungen unser Geburtsort mit sich bringt. Wahrscheinlich wäre ich heute Hindu, wenn ich in Indien geboren worden wäre. Ist Religionsfreiheit wirklich frei? Wie kann ich mich für eine andere Religion entscheiden, wenn ich nie mit ihr in Kontakt komme? Und sollte ich nicht auch ausschließlich durch eigene Denkarbeit zu deren Inhalten kommen können?

Wenn ich meinen Gehirnschmalz einsetze, komme ich nicht zu dem Schluss, dass heilige Schriften von höheren Wesen stammen. Das haben Menschen verfasst und übersetzt und zwar vor Tausenden von Jahren. Umso bedenklicher finde ich es, dass diese Schriften heute noch als Leitfaden für ein gutes Leben herhalten sollen.

Ein paar Auszüge aus der Bibel:

Du sollst nicht bei einem Mann liegen wie bei einer Frau; es ist ein Gräuel.

– 3. Mose 18, 22 (via bibleserver.com)

Das ist homophob.

Wenn sich in einer deiner Ortschaften, die Jahwe, dein Gott, dir gibt, jemand findet, ein Mann oder eine Frau, die etwas tun, was Jahwe, dein Gott, als böse ansieht, wenn jemand seinen Bund übertritt und anfängt, andere Götter zu verehren und sich vor ihnen niederzuwerfen: vor der Sonne, dem Mond oder dem ganzen Heer der Sterne, was ich verboten habe, und es wird dir berichtet und du hörst davon, dann sollst du das genau untersuchen. Und wenn sich der Bericht als wahr erweist, wenn es stimmt, dass diese Schandtat in Israel verübt worden ist, dann sollst du jenen Mann oder jene Frau, die diese böse Sache getan haben, aus deinem Ort hinausführen und zu Tode steinigen.

– 5. Mose 17, 5 (via bibleserver.com)

Das ist intolerant und Anstiftung zum Mord.

Wenn ein Mann dabei ertappt wird, dass er ein unberührtes Mädchen vergewaltigt, muss er dem Vater des Mädchens 50 Silberstücke geben. Er muss das Mädchen zur Frau nehmen, weil er es entjungfert hat; er darf es zeitlebens nie mehr wegschicken.

– 5. Mose 22, 28-29

Und das verstößt gegen die Grundrechte, ist frauenfeindlich und in höchstem Grade menschenverachtend.

Nun mögen manche Menschen freilich meinen, dass solche Texte doch im Kontext der jeweiligen Zeit gesehen und nicht wörtlich genommen werden sollten. Das sehe ich genauso – und zwar für das gesamte Schriftwerk. Dieses ist nämlich nicht zeitgemäß. Umso fragwürdiger finde ich es, dass auf ebensolches Regeln und Gesetze für das gemeinsame Zusammenleben begründet werden sollen, denn schließlich gäbe es ja auch Gebote, die im Interesse unserer Gesellschaft seien.

Mir behagt diese Doppelmoral überhaupt nicht.

Natürlich können sich alle die Kirschen aus Büchern rauspicken und ihre Leben gestalten, wie sie möchten. Nur kann mir niemand glaubhaft machen, dass eine Religion auf den Inhalten von ebendiesen begründet wird. Denn egal von welcher Seite ich es betrachte, ob ich nun unzeitgemäße Inhalte ausblende oder anfange, Jahrtausende alte Texte zu interpretieren, läuft es auf vor allem auf eines hinaus: Willkür.

Auch (schein)heilige Texte sind von Menschen verfasst worden und sind somit Zeitzeugen. Jeder darauf folgende Übersetzung ist eine Interpretation von vielen möglichen. Was nehme ich an? Was nicht? Das ist eine Entscheidung von Einzelpersonen. Mit Göttlichkeit hat das nichts zu tun. Und damit möchte ich auch nichts zu tun haben, auch wenn ich dazu genötigt werde.

Deutschland und die meisten Staaten in Europa sind nicht so säkular, wie man auf den ersten Blick vermuten mag. Dass ausgerechnet Sonntag Ruhetag ist und die meisten gesetzlichen Feiertage im Jahr christlich-religiös sind, ist kein Zufall. Laut EKD sind 59,6% der deutschen Bevölkerung Christen. Wie viele dieser 48.417.000 Menschen sind tatsächlich überzeugte Christen und stimmen den Lehren der Kirche uneingeschränkt zu, wenn im Jahr mehr als 270.000 Menschen austreten? Und sollten Kinder nicht selbst entscheiden dürfen, ob sie sich einer Religion anschließen, wenn sie mündig dazu sind?

Ich bin einer von diesen Ausgetretenen. Denn Lebenssituationen ändern sich und den Lehren all der Religionen, mit denen ich mich bisher auseinandergesetzt haben, widersprechen in ihrer Summe meinen Werten.

Ich hatte die Wahl, als mich meine Eltern gefragt hatten. Aber unbefangen war sie im Alter von 12 Jahren nicht. Dafür war der indirekte Einfluss meiner Familie zu stark. Denn es bedarf einiger Zeit ohne derer Einfluss und ein paar selbstständiger Reisen, um sich von den in die Wiege gelegten Grundsätzen freizumachen.

Wie siehst du das? Welche Erfahrungen hast du mit Religion gemacht? Und wie weit entscheidest du für deine Kinder?

Alles Liebe,
Philipp

5 Kommentare

Antworten

  1. Moin Philipp,
    sehr spannende Erfahrungen die du hier schreibst.
    Ich wurde nicht gefragt ob ich Getauft und Konfirmiert werden will, es war damals einfach so das es von den Eltern bestimmt wurde. Ich fand den Konferunterricht doof und bin einige male angeeckt beim Pastor weil ich den Sinn hinter den Gebeten und Geboten und diiese Allmacht die Gott haben soll nicht einfach akzeptieren wollte. Ich fand zwar die Geschichten (mehr ist die Bibel für mich nämlich nicht) spannend aber teilweise auch sehr unmenschlich. Heute würd ich dem Pastor ja glatt sagen:”erzähl mal aus der Bibel ich mag Horrorgeschichten.” *gg…
    Wenn jegliche Religion/Glauben abgeschafft würde, dann gäbe es bedeutend weniger Krieg auf Erden. Ist aber nur meine ganz persönliche Meinung.

    Bei unseren eigenen Kindern haben wir sie selbst entscheiden lassen ob sie Taufe und Konfirmation möchten. Und sie kannten meine/unsere kritische Haltung zum Thema Religion. Beide haben sich für die Taufe und Konfirmation entschieden.

    Liebe Grüße Aurelia

    • Hallo Aurelia,

      ich stimme dir zu. Die Geschichten sind echt schaurig und meines Erachtens auch nicht jugendfrei.

      Dass sich deine Kinder dennoch dafür entschieden haben, finde ich spannend! Wie sind sie denn mit Religion in Berührung gekommen? Und wie hat sich ihre Einstellung danach weiterentwickelt?

      Lieber Gruß,
      Philipp

      • Ich denke nach wie vor das zum einen die Klassenkameraden einen Anteil hatten und die Oma :-) Denn grad Oma, hat viel davon geredet, Taufe Konfirmation usw. und die ganzen Weihnachtslieder und Weihnachten in die Kirche latschen, da war Oma die treibende Kraft. Die Mädels haben sich auch ihren Paten für die Taufe ausgesucht, beide entschieden sich für Oma und die Jüngere zusätzlich für die Große :-) Beide mochten die Konferzeit, weil der Pastor ein sehr modern eingestellter war :-)
        Heute haben die beiden nicht mehr wirklich viel damit am Hut, soweit ich das beurteilen kann. Denn beide hinterfragen auch sehr gerne kritisch alles :-) Da kommt dann doch die Einstellung/Haltung von uns als Eltern wieder durch *gg… bin ich sehr zufrieden mit :-) Die beiden gehören übrigens zu deiner Generation, 25 und 29 sind sie :-)
        Lg Aurelia

  2. Ich finde Religion ist überflüssig und stimmt so in der heutigen Zeit nicht mehr. Dennoch bin ich kein Attheist, im Gegenteil. Man muss auch einfach wissen, dass die Bibel Übersetzungen nicht stimmen und hier die Macht komplett missbraucht wurde durch Verdrehungen der ursprünglichen Aussagen usw. Also das Ursprüngliche war ganz anders, leider.

    • Hallo Caro,

      vielen Dank für deinen Kommentar!

      Mich interessiert, woran du glaubst bzw. worauf du deinen Glauben fußt, wenn die Bibel für dich ebenfalls ausscheidet. Ich würde mich über eine Rückmeldung von dir freuen.

      Alles Liebe,
      Philipp

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert