Abschluss in der Tasche – sind die Lehr- und Wanderjahre jetzt vorbei?

Alles hat ein Ende – auch die angeblich schönste Zeit des Lebens. Und jetzt?

In meinem ersten Beitrag vor reichlichen vier Jahren hatte ich festgestellt, dass ein sesshaftes Leben einfach nicht zu meiner Lebenssituation als Student passt. Dafür bediente ich mich des historischen Begriffs der Lehr- und Wanderjahre, die sich auf die Ausbildung und anschließende Walz von Gesellen bezieht. Da ich seit wenigen Wochen den akademischen Grad Master of Arts führe, scheint die Frage berechtigt, ob meinem nomadischen Leben damit endlich ein Ende gesetzt ist.

Diesen Eindruck bekomme ich zumindest, wenn mich mein Umfeld tagtäglich danach fragt: “Wirst du jetzt endlich sesshaft? Wie geht es jetzt weiter?” Ehrlicher Weise kann ich diese Fragen schon gar nicht mehr hören und darauf ohnehin nur antworten, dass ich weder noch weiß. Deshalb verweise ich wohl künftig einfach auf diesen Artikel. ☺️

18 Umzüge in sechs Jahren

Nein, du hast dich nicht verlesen. So oft bin ich in den vergangenen Jahren tatsächlich umgezogen. (Plus 1, weil ich momentan nicht mehr in Leipzig wohne und gerade wieder bei meinen Eltern verweile, bis ich mehr weiß. Bald Plus 2, weil ich wahrscheinlich nicht in dem Ort bleiben werde, in welchem ich aufgewachsen bin.) Die genauen Details erspare ich dir.

Jedes Mal, wenn ich an einen neuen Ort komme oder dorthin zurückkehre, dauert es eine Weile, bis ich mich wieder eingerichtet habe. Wahrscheinlich geht das schneller als bei den meisten anderen Menschen, weil ich mir dafür über die Jahre hinweg Methoden angeeignet habe, die es mir wesentlich vereinfachen. Nichtsdestotrotz beansprucht mich jeder neuer Ort, eben weil ich nicht nur an der Oberfläche kratzen, sondern tiefer eintauchen möchte. Freilich bleiben dabei teils andere Dinge auf der Strecke, beispielsweise routinierte Produktivität. (Ja, daran arbeite ich noch immer.)

Dafür birgt jede Konfrontation mit dem Neuen aber auch die großartige Chance, die eigene Komfortzone, persönliche Grenzen und natürlich auch den Horizont zu erweitern. Durch häufigere Umzüge, setzte ich mich dem bewusst öfter aus, habe schier unglaubliche Erfahrungen sammeln können und Heimat(en) sowie persönliche Beziehungen von ganz anderer Seite schätzen gelernt. Gleichzeitig habe ich zuletzt aber auch bemerkt, dass meine Lernkurve stagniert. Während für Sesshafte jede Reise etwas abseits der Routine darstellt, hat sich für mich unterwegs zur Routine entwickelt.

Jetzt, da ich mal zur Ruhe komme, fällt mir auf, dass ich die letzten sechs Jahre nicht nur physisch permanent in Bewegung war, sondern auch im Kopf. Es gab keinen Moment, wo ich mal nicht gewusst hätte, was ich im nächsten halben Jahr tun würde. So entstand bei mir sowohl in der Lebensplanung als auch im Studium der Eindruck, dass ich eigentlich noch gern einen Moment verweilen und sowohl Erfahrung als auch Wissen in einem Bereich vertiefen würde. Das hat jedoch weder der akademische noch mein Reiseplan zugelassen.

Bin ich reif für eine Basis?

Das lässt unwillkürlich die Frage aufkeimen, ob ich denn nun endlich bereit für eine Basis bin. In Zeiten von Web 2.0 und der damit verbundenen Mobilität hat sich der Begriff Homebase in diesem Zusammenhang etabliert. Auch sehr beliebt: [belieber Name] is a [beliebige Stadt]-based [beliebige Berufsbezeichnung]. Das verdeutlicht recht eindrucksvoll, wie stark Menschen sich teilweise mit Orten identifizieren.

Im Grunde mache ich das auch, nur werden es bei mir zunehmend mehr Orte. Nicht umsonst habe ich diese Liste, auf der ich führe, wo ich gern mal wohnen würde. Gleichermaßen ist mir aber auch schon sehr lang bewusst, dass Orte zwar Erinnerungen bei mir wecken, diese Orte aber nie dieselben sind, insbesondere dann nicht, wenn meine Herzensmenschen dort nicht mehr wohnen.

Außerdem entfacht jeder Ort neue Beziehungen, die alle aufrecht zu erhalten, meine Kapazitäten weit übersteigen. Ob es nach dem Studium tatsächlich so viel schwieriger ist, an einem neuen Ort Freundschaften zu schließen, weiß ich noch nicht, werde ich aber wohl bald herausfinden. Andererseits frage ich mich neuerdings zunehmend, was ich an manchen Orten eigentlich möchte. Warum will ich da wohnen?

Dann ist da ja noch mein Leben auf den Gleisen. Angesicht meiner letzten Monate in Leipzig, habe ich mal zusammengerechnet, von wie vielen Tagen, an denen ich mich in ein WG-Zimmer eingemietet hatte, ich tatsächlich in diesem übernachtet hatte.

Übersicht Nächte zu Hause und anderswo

Während meiner Zeit in Leipzig habe ich nur 70 von 153 Nächten zu Hause geschlafen.

Das Ergebnis ist erschreckend und berechtigt Zweifel an der Aussage, man bräuchte eine feste Basis als Rückzugsort. Vielmehr, meine ich, brauchen wir eine feste Basis an Menschen, auf die wir uns verlassen können. Insofern repräsentiert mein Wunschzettel eher eine Ansammlung naiver, romantischer Träume, die aber nicht zwingend die Auswahl meines nächsten Wohnorts bestimmen.

Nächstes Jahr wird unter Umständen ohnehin noch mal alles ganz anders, weil ein ganz besonderer Herzensmensch (mein Partner aus Israel) und ich erstmals die Chance haben werden, längerfristig zusammenzuwohnen. Aber wo?

Das Arbeitsdilemma

Besagtes Bedürfnis, mich auf eine Sache zu fokussieren und mich darin zu spezialisieren, bevor ich zur nächsten hechte, möchte ich künftig bei meiner Arbeit auf keinen Fall untergraben. Bis dato habe ich ja neben meinem Studium freiberuflich als Filmemacher gearbeitet, was mir die nötigen Finanzen und Freiheiten gewähren konnte, die so ein nomadisches Leben überhaupt erst möglich machen. Für ein mobiles Leben ohne studentischen Status reicht mein Kundenstamm momentan aber noch nicht aus.

Zudem habe ich gemerkt, wie stark mir Dunkelheit und Schmuddelwetter der deutschen Winterzeit zusetzen. Das schreibt doch quasi danach, direkt ins Ausland zurückzuziehen, oder? Mich lässt es eher in einem Dilemma zurück: Selbstständigkeit oder Festanstellung? In- oder Ausland? Dazu ein paar Einsichten und Erfahrungen, die ich in den vergangenen Monaten hatte:

  1. Ich vermute, dass mir nur volle Selbstständigkeit die Freiheiten geben wird, die ich gern hätte. Nun kann ich mich direkt in dieses Abenteuer stürzen oder zunächst mehr Erfahrung, Kontakte und finanzielle Reserven in einer Festanstellung aneignen.
  2. Im Vergleich zu Studium + Selbstständigkeit, klingt eine 40-Stunden-Woche nahezu erholsam, auch wenn ich eigentlich finde, dass die Menschen weniger arbeiten sollten. Aber in der richtigen Anstellung könnten solche 40 Stunden genau der Fokus sein, den ich mir gerade wünsche.
  3. Arbeit im Ausland hat nicht nur seine sonnigen Seiten. Das beinhaltet andere Bewerbungsanforderungen und -verfahren im Vergleich zu den hiesigen in Deutschland sowie teilweise miserable Bedingungen im Job.

Es gibt hier nicht die vegane eierlegende Wollmichsau in Bioqualität. Das ist aber auch in Ordnung. Ich finde, dass ich mir gerade nach dem Studium nicht den Stress antun muss, direkt den perfekten Job zu finden bzw. zu erschaffen. Ich werde nicht von heute auf morgen den Traumjob haben. Der Weg dorthin ist ein Prozess, an dem ich kontinuierlich werkle.

Wie geht es also weiter?

Ehrlich gesagt genieße ich gerade diese Phase, in der alles möglich und noch nichts festgeschrieben ist. Ohne die “Lasten” des Studiums habe ich endlich genügend Raum, um ein paar Projekte anzugehen, die bei bei meinem mobilen Leben schon viel zu lang auf der Strecke geblieben sind.

Ich sehe mich auch in Zukunft nicht sesshaft werden. Das haben mir vor allem die letzten Monate gezeigt. Aber ich strebe an, die Frequenz meiner Ortswechsel etwas zu reduzieren. Deshalb empfinde ich die Zeit hier bei meinen Eltern gerade auch sehr befruchtend: Ich weiß, dass ich nicht am Ende des Wochenendes schon wieder zum nächsten Ort aufbreche, wie das die letzten Jahre der Fall war. (Darüber freut sich auch Kater Charlie, der derzeit deutlich mehr Streicheleinheiten und Leckerlies bekommt.)

Insbesondere heuer habe ich ja gelernt, dass fixe Pläne für die ferne Zukunft oft nichts nützen, weil sie binnen Sekunden zunichte gemacht werden können. Entsprechend verschwende ich darauf auch keine Zeit mehr und behalte sie lieber als Visionen im Hinterkopf. Sonst halte ich alles so organisch wie eh und je. Oder, wie man so schön sagt: I go with the flow. Und das fühlt sich gut an.

Alles Liebe

Philipp

PS: Dass ich nicht aufhören werde, Neues zu lernen, dürfte ja ohnehin klar sein, oder? 😉

2 Kommentare

Antworten

  1. Gratulation! :)

    Bin gespannt wie es mit dir weiter geht, insbesondere wohin es dich noch führt.

    Hoffe noch viel von dir zu lesen :)

    LG

    • Hallo Anna,

      vielen Dank! Womöglich hat man es dem Beitrag entnommen, dass ich ebenso gespannt bin. :)

      Lieber Gruß
      Philipp

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