The Shabbat Experience III

Jeden Freitag Sonnenuntergang ertönt in Jerusalem sowie vielen anderen Orten Israels ein Horn, das den Schabbat, den jüdischen Ruhetag einläutet. Damit einher kehrt für 25h Stillstand ein: Die Geschäfte haben geschlossen, öffentliche Verkehrsmittel liegen ruhig und ja, es wird auch die ein oder andere Straße gesperrt.

Zwangsläufig stellt sich also die Frage, was man als nicht-jüdisch-orthodoxer Zeitgenosse tun soll. Hier sind ein paar Vorschläge.

Die Tatsache, dass in ganz Israel Schabbat ist, heißt nicht, dass er von allen gehalten wird. Jüdisch zu sein, ist nicht gleichbedeutend mit Religion, sondern vor allem ein kulturelles Erbe. Entsprechend findet in den meisten Familien jeden Freitag ein gemeinsames Abendessen statt, auch wenn ein Großteil der Bevölkerung säkular lebt. (Zum Glück!) Denn das eröffnet zumindest ein paar Möglichkeiten zur aktiven Erholung.

Doch was tun, nachdem man sich von der digitalen Welt entkoppelt hat und wenn man keine Familie oder Freunde hat, um gemeinsam die Zeit zu verbringen? Zu Hause sitzen und auf Sonntag warten? Muss nicht sein! (Und wäre ja auch gar nicht aktiv…)

Foto Kurz nach Schabbat in Mea She'arim
Kurz nach Schabbat in Mea She’arim

Erkunde die Gegend

Und zwar zu Fuß! Da keine Öffis verkehren, bleiben nur Privatauto, Fahrrad oder Fußbus. Ich empfehle Letzteres, denn an keinem anderen Tag der Woche (außer einmal jährlich an Yom Kippur) sind die Straßen so frei wie an Schabbat. Besonders in orthodoxen Nachbarschaften sind sie sogar abgesperrt, damit die Ruhe der Anwohner nicht gestört wird. Entsprechend nutzen viele Bewohner die Möglichkeit, sie komplett für sich zu beanspruchen und begeben sich auf ausgiebige Spaziergänge. Wer kein Auto hat, kommt ohnehin schlecht aus der Ortschaft heraus. Eine Möglichkeit sind von Arabern betriebene Moniot Sherut (Sammeltaxen) oder ein Taxi, allerdings sind diese an Schabbat besonders teuer. Warum also nicht einfach bleiben, wo man ist? Sowohl in Jerusalem, als auch in Tel Aviv warten einige Viertel mit ihrer eigenen Geschichte auf, die geradezu entdeckt werden wollen.

Allerdings Vorsicht in orthodoxen Vierteln. Die Bewohner leben hier in ihrer ganz eigenen Welt. Vor ihren Augen rate ich an Schabbat davon ab, Fotos zu schießen, da dies den allwöchentlichen Feiertag der Orthodoxen stört: Die Benutzung elektronischer Geräte ist (ihnen) nicht gestattet. Bei “Zuwiderhandlung” riskiert man, von mehreren Männern auf der Straße angegangen und angeschrieen zu werden. Und das ist, so viel kann ich aus eigener Erfahrung sagen, unschön.

In ländlichen Regionen ist es ohne Auto schwierig, überhaupt irgendwohin zu kommen. Deshalb rate ich hier zu einem (Leih-)Fahrrad.

Foto Turning the World Upside Down von Anish Kapoor
Turning the World Upside Down von Anish Kapoor

Bilde dich fort

Zum Beispiel in einem der hervorragenden Museen, die Israel zu bieten hat und auch an Shabbat ihre Pforten öffnen. Im Gegensatz zum Vereinigten Königreich ist der Eintritt zwar oft nicht frei, doch er lohnt sich nichtsdestotrotz.

Das Israel-Museum in Jerusalem, 1965 als Nationalmuseum direkt neben der Knesset gegründet, wartet nicht nur mit spannenden, stetig wechselnden Archäologie- und Kunstausstellungen auf, sondern birgt auch einige Schätze jüdischer Geschichte in seinem Inneren. Neben den Schriftrollen vom Toten Meer im Schrein des Buches (es handelt sich um Schriftrollen mit biblischen Texten, die in Höhlen nahe des Toten Meeres gefunden wurden), gibt es außerdem die originale Inneneinrichtung von diversen Synagogen verschiedener Epochen und Regionen der Welt, sowie eine beeindruckende Nachbildung des Zweiten Tempels. Und an einigen Stellen wirkt das Museum wie ein Kunstobjekt für sich.

Apropos Kunst: Das Tel Aviv Museum of Art bietet Besuchern eine wohlinszenierte Sammlung klassischer und zeitgenössischer Kunst. Das beinhaltet nicht nur gemalte Werke und Skulpturen, sondern auch audiovisuelle Installation und Live-Events, sowie Ausstellungen, die sich mit der Rolle von Kunst im Wandel der Zeiten auseinandersetzen. So stellte beispielsweise die Austellung Fake? die durchaus berechtigte Frage, ob das Fälschen von Kunst nicht eine Kunst für sich ist.

Wem Kunst und Archäologie nicht zusagt, dem sei noch Yad Vashem ans Herz gelegt. Das wohl bekannteste Holocaust-Museum klärt umfassend über eine der größten Katastrophen der Menschheit im 20. Jahrhundert auf. Dieses Museum fordert mindestens einen ganzen Tag ein: Selbst wenn man nicht den ganzen Tag im Museum selbst verbringt, rate ich, sich etwas Zeit zur Verarbeitung der Eindrücke zu geben. Ja, wir hören in unserer Schulzeit sehr oft über die Gräueltaten der Nazis. Doch angesichts dieser Verbrechen an der Menschlichkeit, kann daran nicht oft genug erinnert werden. Vergessen ist keine Option.

Foto Grenzmauer in Bethlehem
Grenzmauer in Bethlehem

Erlebe die Westbank

Besonders von Jerusalem aus ist es zum Westjordanland nicht weit. Freilich kann man viel über das Internet und andere Plattformen erfahren, aber ich finde es wichtig, beim Besuch einer völkerrechtlich derart umstrittenen Region beide Seiten kennenzulernen. Deshalb: Steig in einen der arabischen Busse und begegne auch der palästinensischen! Die verkehren unter anderem in Ost-Jerusalem, wo kaum israelische Busse verkehren, sowie an Schabbat, da sie nicht von jüdisch-gläubigen betrieben werden.

Entsprechend sind im Westjordanland an Schabbat auch die übrigen Geschäfte geöffnet. Ramallah beispielsweise präsentiert sich die ganze Woche hindurch als geschäftige Stadt. Wenn du sowohl du mehr über den Konflikt zwischen Palästinensern und israelischen Siedlern herausfinden möchtest, ist dieser wohl an keinem Ort so deutlich spürbar wie in Hebron. Wenn etwas etwas idyllischer sein darf, rate ich zu Jericho und dem spektakulären Ausblick vom Kloster oder einem Ausflug in die judäische Wüste. Bethlehem empfinde ich persönlich als etwas überlaufen, allerdings gibt es auch ruhigere Ecken und allem voran die im wahrsten Sinne des Wortes eindrucksvolle, von Israel errichtete Betonmauer, die viel mehr ist als ihre faktische Struktur.

Egal, worauf deine Wahl fällt: Nimm etwas Zeit mit. Es lohnt sich.

Entspann dich

Schabbat ist als Zeit der Ruhe und Regeneration vorgesehen. Auch wenn das unter den Maßnahmen, die religiöse Menschen dafür treffen, eher stressig wirkt, ist Schabbat nicht ohne Grund der entspannteste Tag in Israel. Erholung ist wichtig und Langeweile ein längst verkanntes Gut in unserer Gesellschaft.

Deshalb sei an dieser Stelle gesagt: Es muss nicht immer aktive Erholung sein. Manchmal tut es einfach nur gut, nichts zu tun zu haben.

Hast du schon Erfahrung mit Schabbat in Israel gemacht? Wie hast du ihn verbracht? Teile es gern in den Kommentaren.

Alles Liebe
Philipp

2 Kommentare

Antworten

  1. Guten Morgen,
    Das hört sich nach einem tollen Ritual an. Und mal sehr konträr zu der “westlichen Welt“, in der alles am Besten 24/7 zur Verfügung stehen muss. Mir gefällt der Gedanke, dass es einen Tag in der Woche gibt, an dem “die Zeit still steht“.
    Liebe Grüße, Nicole

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