Was dir niemand über “tierleidfreie” Produkte erzählt

Seitdem Veganismus zunehmend mehr Anklang findet, hält in gleichem Maße eine wachsende Anzahl an Siegeln Einzug. Vegan, ohne Tierversuche, no animals harmed, cruelty-free und dergleichen versprechen Produkte, bei deren Herstellung keine Tiere zu Schaden gekommen sein sollen. Doch das geht meines Erachtens noch gar nicht weit genug.

Vorab sollte ich erwähnen, dass ich mich nicht vegan, sondern vegetarisch ernähre, und auch nicht komplett vegetarisch lebe. Dennoch mache ich mir sehr viele Gedanken um meinen Konsum und darum, wie ich ihn nachhaltiger gestalten kann. Regelmäßig löst das bei mir auch interne Konflikte aus. Doch zurück zum eigentlichen Thema:

Der ursprüngliche Sinn eines Siegels besteht darin, unmissverständlich zu verstehen zu geben, dass ein Gegenstand oder Brief unversehrt ist. Wenn diese mit einem intakten Siegel versehen sind, impliziert dies, dass es noch nicht geöffnet worden war. Was früher einst aufwändig mit Wachs, Prägestempeln und Kordeln hergestellt wurde, wird heutzutage oft schlichtweg mit Papier erreicht: Bei vielen Lebensmitteln werden die Verpackungsöffnungen mit einem überlappendem Papierstreifen oder Plastiksteg versehen, um denselben Effekt zu erzielen.

Die Siegel im übertragenen Sinne, welche uns im Alltag derzeit wesentlich häufiger begegnen dürften, funktionieren ähnlich. Denn auch solche sollen vermitteln, dass man sich auf gewisse, je nach Siegel definierte, Kriterien und Qualitäten verlassen kann. Das trifft auf Biosiegel ebenso zu wie auf von führenden Zahnärzten empfohlen, dermatologisch bestätigt und Made in Germany. Letzeres diente ursprünglich als Schandsiegel und sollte beim Kauf in Großbritannien vor minderwerter Qualität warnen und so dazu führen, dass vornehm britische Produkte erworben wurden. Dieses Beispiel veranschaulicht schon einen weiteren Zweck von Siegeln: Vertrauen schaffen und Menschen zum Kauf ermutigen. Bei vielen Siegeln kennen wir jedoch die exakten Kriterien, die zur Auszeichnung führen, überhaupt nicht. Wer sind denn diese “führenden Zahnärtzte”, die scheinbar jede beliebige Zahncreme empfehlen? Worin liegen die Unterschieden zwischen den Dutzenden von Siegeln, die ökologisch nachhaltige Produkte auszeichnen wollen? Was bedeutet es denn nun, wenn ein Produkt als tierleidfrei deklariert wird?

Im Grunde soll es implizieren, dass bei der Herstellung einer Ware keine Tiere direkt zu Leid kommen. Allerdings dürften wir mittlerweile wissen, dass alles, was wir produzieren, nicht nur bei der Erschaffung selbst Auswirkungen auf die Welt hat. Auch wenn niemand direkt zu schaden käme, gibt es stets indirekte Schäden. Anstelle von Materialien tierischen Ursprungs werden stattdessen meist mineralölbasierte Kunststoffe verwendet. Was passiert mit diesen Produkten nach der Herstellung? Nehmen wir zum Beispiel einen Pullover aus Kunstfasern statt Wolle: Beim Waschen landen sie im Abwasser, dann in Flüssen, schließlich in Meeren, wo sie von maritimen Tieren für Plankton gehalten und gefressen werden, bis sie daran ersticken. Bei der Entsorgung wird der Pulli verbrannt. Die dabei freigesetzten Schadstoffe werden wiederum von Tieren eingeatmet.

Das gleiche Prinzip gilt für Produkte ohne Inhaltsstoffe tierischen Ursprungs, die auf Palmöl setzen. Dieser Inhaltsstoff ist ohnehin in unglaublich vielen Produkten enthalten: Süßigkeiten, Kosmetikartikel, Seifen, Fertigprodukte, Reinigungsmittel, Biosprit, … Für die Industrie erweist sich Palmöl als Favorit, denn der Ertrag je Fläche ist vergleichsweise hoch. Für die besagten Flächen werden jedoch große Mengen Regenwald gerodet, was einen Lebensraumverlust für zahlreiche Tierarten zur Folge hat. Deshalb kann ich vegan definitiv nicht mit tierleidfrei gleichsetzen und vermeide Palmöl, so gut es mir möglich ist.

Leider ist oft gar nicht direkt ersichtlich, ob ein Produkt nun Palmöl enthält oder nicht. Dass sich hinter den Begriffen pflanzliches Öl oder pflanzliches Fett zumeist Palmöl verbirgt, ist mittlerweile recht bekannt. Viele Inhaltsstoffe geben indirekt einen Hinweis darauf, denn bei Begriffen wie sodium palmate oder cetyl palmitate gibt das zweite Wort mit dem Stamm palm (= Englisch für Palme) darauf Aufschluss, woraus denn das Sodium beziehungsweise Cetyl gewonnen wird. Freilich lässt sich auch auf andere Variationen anwenden. Und hierin liegt auch die Schwierigkeit: Industrielle Unternehmen sind bei der Schöpfung neuer Begrifflichkeiten äußerst kreativ. Während meiner Recherche bin ich unter anderem auf diese Liste gestoßen, die mein komplettes Weltbild wie ein Kartenhaus zusammenfallen ließ. Bis dato war ich nämlich noch fest davon überzeugt, Palmöl so gut wie möglich zu vermeiden. Dank dieser Liste weiß ich, dass ich den herstellenden Unternehmen ordentlich auf den Leim gegangen bin. Ob die Liste vollständig ist, vermag ich leider nicht zu sagen.

Diese Szenarien mögen wie Haarspalterei klingen. Mit meiner Illustration möchte ich definitiv nicht gegen vegane Produkte propagieren, sondern dazu anregen, Dinge zu Ende zu denken. Ehrlicher Weise weiß ich selbst nicht, welches Produkt die bessere Alternative darstellt. In der Frage Vegan oder plastikfrei? stehe ich selbst immer wieder im Konflikt. Ein Baumwollpulli schneidet wegen Pestiziden schlechter ab, kann also auch nicht wirklich als tierleidfrei deklariert werden, zumal Baumwollwäsche häufiger gewaschen werden sollte als welche aus Wolle. Persönlich überzeugen mich Produkte am meisten, die letztlich wieder kompostiert werden können. Cradle to cradle nennt sich das dann – noch ein Siegel.

Und was lernen wir daraus?

Augen auf beim Wochenkauf.

Philipp Drehmann

Idealerweise wären alle Produkte:

  • bio
  • plastikfrei
  • vegan
  • palmölfrei
  • biologisch abbaubar / cradle to cradle

Habe ich etwas vergessen? Realistisch ist das wohl ohnehin kaum. Dafür gibt es zwei Gründe:

  1. Leider sind gute Produkte auch zumeist teurer. Wenn also all diese Siegel erfüllt werden sollen, stiege der Preis auf ein Niveau, das sich nur ein kleiner Teil der Bevölkerung leisten könnte.
  2. Aus irgendetwas bestehen Produkte immer. Für die Herstellung werden Flächen benötigt. Wenn nun alle plötzlich von Palm- auf Sonnenblumenöl umstiegen, würde das noch nicht bedeuten, dass es in Summe nachhaltiger wäre.

Also zählt auch hier wieder: Weniger ist mehr. Wir können nicht ohne Fußabdruck existieren, aber wir können ihn verringern, indem wir weniger konsumieren.

Welche Siegel überzeugen dich? Wie beurteilst du die Frage nach dem gesamtökologischen Fußabdruck von Produkten? Und wo recherchierst du das? Ich freue mich auf Tipps!

Alles Liebe
Philipp

2 Kommentare

Antworten

  1. Moin Philipp,
    ich kann dir nur sagen, kein Siegel überzeugt mich mehr, ich hab da kein Vertrauen mehr. Irgendwie ist bei allen irgendwo ne Macke drin.
    Einzig regional, allerdings schauen wie weit ist das gefasst, halten. Und wo das eben nicht geht, Dinge sehr lange verwenden und nicht dauernd was holen.

    Lg Aurelia

    • Hallo Aurelia,

      dieses Gefühl kenne ich. Im Grunde wird regional ja mittlerweile ebenfalls wie ein Siegel verwendet, ohne das genau klar ist, was noch dazugehören darf.

      Dinge sehr lange zu verwenden, ist eh das Gebot der Stunde, greift bei Lebensmitteln des täglichen Bedarfs jedoch weniger. Und hier würde ich mir ja sogar noch einige eindeutige und klar verständliche Siegel wünschen.

      Alles Liebe
      Philipp

Schreibe einen Kommentar zu Philipp Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert