Am Vatertag ist es in meiner (Erst-)Heimat ein lang gehegter Brauch, auf Wanderschaft zu gehen. Mit Bollerwagen und Bier ausgestattet, begeben sich mittlerweile alljährlich nicht nur Väter, sondern Menschen aller Geschlechter, ob mit oder ohne Kind, auf Wanderschaft von einem Dorf zum nächsten, um dort einzukehren und Roster zu verzehren.

Auch ich habe mich heuer wieder auf Wanderschaft begeben, wenngleich auch auf andere Art, die mir mal wieder die Augen geöffnet hat.

Da ich bereits vor Jahren sowohl Fleisch als auch Alkohol nahezu vollständig aus meinem Leben verbannt habe, sind die meisten Bräuche zum Vatertag nunmehr lebendige Erinnerungen aus meiner Jugend, die alljährlich Nostalgie bei mir auslösen. (Außerdem wäre es mir viel zu anstrengend, einen mit Bierkisten beladenen Bollerwagen durch Felder und Wälder zu zerren, wo ich doch inzwischen minimales Gepäck schätzen gelernt habe.) Was ich jedoch nach wie vor in vollen Zügen genieße und befürworte, sind die kollektiven Wanderungen durch die Natur: Herrliches Wetter, Bewegung an frischer Luft und Gemeinschaft – eine unschlagbare Kombination für Glück im Alltag!

Entsprechend habe ich mich auch dieses Jahr einer Wanderung angeschlossen, entgegen aller Tradition mit meinen Eltern. Im Grunde erscheint es doch auch logisch, dass man am Vatertag etwas mit dem eigenen Vater unternimmt, oder? Da mein Papa allerdings Ornithologe ist und mit Alkohol ebenso wenig anfangen kann, wie ich, gestaltete sich die Wanderung etwas anders als gewöhnlich: Wir zogen los, um ein Gebiet in unserer Region zu kartieren. Konkret heißt das, dass wir entlang eines vorbestimmten Pfades um eine Talsperre liefen und unterwegs alle Vögel in eine Karte einzeichneten, die uns auffallen.

Ein neues Level der Achtsamkeit

Da ich gern auch lange Strecken wandere, bin ich es gewohnt bis zu 30km am Tag zurückzulegen. Also sollten 14km kein Problem sein, dachte ich. Allerdings laufe ich normal durch und hatte unterschätzt, wie stark es an den Kräften zehren kann, alle paar Meter innezuhalten, schließlich sollten wir ja lauschen, welche Vögel unterwegs zu hören und zu sehen sind.

Immer wieder bewusst den Fluss des Fuß-an-Fuß-Setzens zu unterbrechen, stehen zu bleiben und zu lauschen, welche anderen Lebewesen uns umgeben, ist auch dann eine Achtsamkeitsübung par excellence, wenn ich nicht einen Vogel korrekt zuordnen kann. Mein Vater hat da als langjähriger Ornithologe natürlich wesentlich mehr Übung und Treffsicherheit.

Während ich mich jahrelang damit begnügt hatte, mich einfach nur an den Anblicken und Gesängen der Vogelwelt zu erfreuen und mich das Auswendiglernen von Vogelgesang kaum vom Hocker bewegen konnte, habe ich mittlerweile mehr Anreiz: Ich meine, wie cool ist das denn, anhand von Geräuschen erkennen zu können, was sich alles um einen herum bewegt? Das ist wie Spurenlesen, nur noch ein Level höher!

Alle Vögel sind schon weg

So zumindest lautet meine traurige Erkenntnis dieses Tages. Wir sind zwar um eine Talsperre herum, aber Wasservögel gab es kaum noch, von Brutpaaren ganz zu schweigen. Insgesamt hat der Vogelbestand wie auch alle anderen Tierbestände weltweit abgenommen. Während meiner Kindheit sind jeden Herbst gewaltige Schwärme von Staren über unsere Heimat gezogen, sodass der Himmel am Tage schwarz war. Heute sichtet man mit Glück noch ein paar einzelne.

Während unserer Wanderung wird auch klar, warum: Wir Menschen dringen vor, wo wir nur können. Himmelfahrtskommandos (so bezeichnen wir die Trupps an Menschen mit Bollerwagen) dringen mit lautstarken mobilen Boxen in Naturschutzgebiete vor und beschallen Wald und Flur, Angler kampieren rings um die Ufer, wo sich nur genug Platz für ihre Klappstühle findet, und Kajakfahrer nutzen das schöne Wetter, um in die entlegensten Buchten vorzudringen. Da würde ich mich als Vogel auch belästigt fühlen.

Natürlich sehe ich auch die andere Seite, denn auch ich fahre gern Kajak und übernachte draußen. Allerdings gibt es dafür Grenzen. Genauso wie ich meine Rückzugsräume benötige, braucht die Natur auch welche. In Israel wird das geschickt gelöst, indem Nationalparks vor Dämmerungsbeginn geschlossen werden, sodass Tiere in Ruhe essen können. Auch wenn ich es schade finde, dass man dort für Nationalparks Eintritt zahlt, sehe ich zunehmend Vorteile für die Umwelt dort. Ein möglicher Konsens wäre, Angel und Kajakzeiten zu begrenzen. Was spricht dagegen, es einfach auf nach die Brutsaison zu verlegen?

Mission Müll

Schon seit ein paar Jahren ertrage ich es nicht mehr, menschengemachten Müll in Landschaft zu sehen, weshalb ich ihn meist einfach mitnehme, auch wenn ich ihn nicht mitgebracht habe. Zwar ekle ich mich davor, im Gegenzug fühle ich mich dann aber richtig gut, wenn ich eine Tüte Müll richtig entsorge, die dann nicht mehr unsere Umgebung verseucht.

Dieses Mal mit dabei: Unzählige Plastikverpackungen und Dosen, ein Einweggrill, ein Schwimmer von Anglern, Überreste eine Schlauchboots und, ja, auch eine Unterhose – wie auch immer die dorthin gekommen ist. Es schockiert mich immer noch, was manche Menschen zurücklassen, scheinbar unwissend oder ignorant darüber, dass dieser Müll nicht verrottet.

Wie lang halten wir es aus?

Für mich ist Umweltschutz mittlerweile nicht mehr eine Frage der Weltenrettung. Ja, es sterben zunehmend mehr Arten aus. Ja, es gibt immer weniger natürliche Grünflächen und dafür mehr Müll. Aber ich weiß, dass die Erde im Zweifelsfall den längere Atem hat. Wenn auch noch so viele Arten verschwinden, wird Mutter Natur die von uns Menschen beanspruchten Gebiete zurückerobern, sobald wir weg vom Fenster sind.

Wenn eines Tages unser Universum implodiert, wird alles, was wir heute als gut oder schlecht bewerten, ohnehin hinfällig. Die eigentliche Frage lautet, ab wann wir selbst unseren Planeten nicht mehr als lebenswert genug für uns erachten und wie wir ihn dann behandeln. Momentan sieht es so aus, als würden wir ihn ebenso entsorgen, wie all die Einwegverpackungen, sobald wir die Möglichkeit dazu bekommen.

Himmelfahrtskommando hat nicht ohne Grund eine Doppelbedeutung: Es steht entweder für die feuchtfröhlichen Wandertrupps zum Vatertag oder für eine militärische Einheit, die eine Mission in dem Wissen antritt, ihr eigenes Leben zu opfern. Im Umgang mit unserem Planeten habe ich den Eindruck, dass wir beides sind. Warum sonst stellen wir Naturschutz immer hinten an?

Alles Liebe
Philipp